Boizenburg. Kino Boizenburg zeigt „Für nichts und wieder nichts“ über drei Männer, die in die Mühlen der Justiz der ehemaligen DDR geraten waren.
Sie waren Anfang 20, standen am Anfang ihres Lebens – dann kamen sie ins Zuchthaus. Die Regisseurinnen Gisela Tuchtenhagen und Margot Neubert-Maric porträtieren in ihrem neuesten Dokumentarfilm „Für nichts und wieder nichts“ die Lebensläufe dreier Männer in der ehemaligen DDR. Am Dienstag, 25. April, sind sie mit ihrem Film im Kino Boizenburg zu Gast. Die Vorführung beginnt um 18 Uhr, der Eintritt kostet 8,50 Euro. Im Anschluss ist eine Diskussionsrunde mit den Regisseurinnen geplant.
Eigentlich wollten die Filmemacherinnen einen Film über plattdeutsch sprechende Häftlinge machen. „Unsere letzten drei Filme hatten wir in niederdeutsch gedreht“, sagt Tuchtenhagen, die wie Neubert-Maric in Hamburg lebt. „Utbüxen kann keenen“ – auf Hochdeutsch „Weglaufen kann keiner“ – hieß ihr letzter Film, in dem es um Sitten und Gebräuche im Umgang mit dem Tod ging. Bei einer Vorführung fragte ein Besucher nach dem nächsten Projekt, und als Tuchtenhagen von der Idee mit den plattdeutschen Häftlingen berichtete, empfahl er ihr einen Besuch bei Siegfried Jahnke. Der würde Platt sprechen und hätte in Bützow gesessen.
Kino Boizenburg zeigt „Für nichts und wieder nichts“
Das Zuchthaus Bützow bei Güstrow in Mecklenburg ist nicht erst seit DDR-Zeiten berüchtigt. Es galt als überfüllt und heruntergekommen. Hier saßen Siegfried Jahnke, Bruno Niedzwetzki und Klaus Rintelen mehrere Jahre, eingepfercht in Einmannzellen.
Zermürbt von endlosen Verhören und Gewalt hatten sie alles gestanden, was ihnen vorgeworfen wurde: Spionagetätigkeit, staatsgefährdende Hetze, Gefährdung der Verteidigungsbereitschaft der DDR. Viel Zeit ist seither vergangen, doch kein Tag, an dem sie nicht an damals dachten. Aus dem geplanten Film über plattdeutsch sprechende Häftlinge wurde so eine Dokumentation über DDR-Unrecht.
Geschichte des Zuchthauses beginnt im Jahr 1812
Die Geschichte der Justizvollzugsanstalt Bützow beginnt im Jahr 1812: Der preußische Staat ließ das ehemalige Bischofsschloss zum Gefängnis mit 20 engen, zum Teil halbdunklen Zellen sowie zwei saalartigen Zimmern für die weiblichen Gefangenen umbauen. Die Nationalsozialisten betreiben von 1939 bis 1944 in dem Gefängnis eine Hinrichtungsstätte, danach richtet die sowjetische Besatzungsmacht dort zunächst ein Repatriierungslager für Kriegsheimkehrer ein.
Ab Januar 1951 übernimmt die Volkspolizei die Zuständigkeit und verschärft die Haftbedingungen deutlich. Im Frühjahr 1953 beginnt mit der „Aktion Rose“ die spektakulärste der Enteignungsaktionen: Mehr als 447 Hotelbesitzer werden in den Ostseebadeorten verhaftet und nach Bützow gebracht, hinzu kommen weitere Inhaber von Dienstleistungsunternehmen.
Der Protest bestand im Boykott einer Vorlesung
Da saß Jahnke schon zwei Jahre im Zuchthaus: 1951 war der damals 21-Jährige wegen Kriegs- und Boykotthetze sowie Spionagetätigkeit angeklagt und zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden. „Wir waren acht Leute und die Zelle war zwei mal drei Meter groß“, erinnert sich der heute 93-Jährige.
Klaus Rintelen kam 1955 in Haft: Er war damals 25 Jahre alt und im letzten Semester seines Medizinstudiums. Wie Hunderte weiterer Studentinnen und Studenten hatte er im März gegen die Umwandlung der medizinischen Fakultät der Uni Greifswald in eine Militärmedizinische Akademie demonstriert. Der Protest war erfolgreich – für Rintelen endete er dennoch im Zuchthaus: Für die „Gefährdung der Verteidigungsbereitschaft der DDR“ wurde er zu einer zehnjährigen Haftstrafe in Bützow verurteilt.
Die drei Männer waren froh über die Zuhörerinnen hinter der Kamera
Anfang der 1960-er Jahre kam Niedzwetzki hinzu: Der damals 19-Jährige musste wegen staatsgefährdender Hetze, Propaganda und der Verbreitung von „Schundliteratur“ für drei Jahre ins Zuchthaus. Angst habe er bis heute: „Die sind ja noch da, die sind ja noch alle unter uns“, bekennt Niedzwetzki.
Über den Kontakt zu Jahnke kamen die Filmemacherinnen auch zu den anderen Protagonisten. Im Film erzählen sie ihre Geschichten. „Wir mussten sie nicht überreden“, sagt Trautmann: Die drei Männer seien froh gewesen über die Zuhörerinnen hinter der Kamera. Ihr Umfeld kenne diese Geschichten, die die Männer mit sich herumtragen, schließlich zur Genüge, so die Regisseurin: „Unser Arbeitstitel für den Film lautete deshalb auch zunächst ‘Ich musste jeden Tag daran denken’“.
Zuschauer in Ost und West reagieren mit Betroffenheit
Tuchtenhagen und Neubert-Maric hatten den Film 2021 beim Hamburger Filmfest erstmals vorgestellt, sind seither in Ost und West unterwegs. Im April wurde der Film bereits in Lüneburg, Rendsburg, Torgau und Wismar gezeigt. Die Betroffenheit des Publikums sei überall ähnlich, sagt Tuchtenhagen. Ressentiments, weil zwei „Wessis“ einen Film über ein besonders dunkles Kapitel der DDR-Vergangenheit gedreht haben, gab es nicht: „Es liegt vielleicht an der Art und Weise wie wir den Film gemacht haben“, sagt Tuchtenhagen.
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In langen Einstellungen kommen die drei Männer zu Wort. Außer dem, was sie erzählen, gibt es nur wenige weitere Informationen, so die Dokumentarfilmerin: „Wir haben etwa mal eingeblendet, dass es in der DDR etwa 250.000 politische Häftlinge gab.“
Die Filmemacherinnen
Die heute 79-jährige Gisela Tuchtenhagen war eine der ersten Absolventinnen der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Berühmt sind ihre Dokumentarfilme „Emden gehe nach USA“ über ein von der Schließung bedrohtes VW-Werk (1976) oder der fünfteiligen Zyklus „Heimkinder“ über das Johannes-Petersen-Heim in Hamburg (1984-1986).
Seit 1999 ist sie Mitglied der Akademie der Künste Berlin und seit 2000 Gastprofessorin an der Fachhochschule Dortmund. Mit Margot Neubert-Maric, seit 1974 freiberufliche Editorin für Spiel- und Dokumentarfilme sowie seit 2009 Vereinsvorsitzende der Filmschule Hamburg, hat sie die Produktionsfirma Utbüxen gegründet.