Lauenburg. Viele Jahre stand die Verbrüderung von Lauenburg und Boizenburg nur noch auf dem Papier. Die Gründe waren Neid und Missgunst.
Als 1990 der Vertrag über die Städtepartnerschaft geschlossen wurde, war Lauenburgs Bürgermeister Thorben Brackmann noch nicht geboren. Sein Amtskollege Rico Reichelt aus Boizenburg war gerade mal zwei Jahre alt. Was bisher kaum mehr als ein Lippenbekenntnis war, wollen die beiden jungen Verwaltungschefs endlich mit Leben erfüllen: Zusammenarbeit zwischen Lauenburg und Boizenburg auf allen Ebenen, die den Namen Partnerschaft auch verdient.
Gleich nach seinem Amtsantritt hatte Thorben Brackmann Kontakt zu Rico Reichelt aufgenommen. „Schließlich verbindet uns einiges. Wir sind etwa gleich alt, neu im Amt und fast zur selben Zeit Vater geworden“, sagt er lachend. Inzwischen stehen beide in engem Kontakt. In der vergangenen Woche trafen sich die Amtsleiter der beiden Elbestädte.
Städtepartnerschaft Lauenburg und Boizenburg kurz nach der Grenzöffnung
Die Unterzeichnung der Städtepartnerschaft war damals die Krönung einer Zeit der großen Emotionen: Als am 9. November 1989 die Grenze für Bürger der DDR durchlässig wurde, hatten sich Lauenburger und Boizenburger im Freudentaumel in den Armen gelegen. Unter diesem Eindruck unterschrieben Lauenburgs Bürgermeister Hauke Matthießen und Boizenburgs Bürgermeister Uwe Wieben am 29. April 1990 die Urkunde für den Bund der beiden Städte. Politiker beider Städte setzten ebenfalls ihre Unterschrift unter den Vertrag.
„Der große Saal des Boizenburger Kulturhauses war bis auf den letzten Platz besetzt, als Stadtvertreter aus Boizenburg und Lauenburg ihre Partnerschaft besiegelten. Mit Tränen in den Augen sangen dann alle zusammen das Mecklenburg- und dann das Schleswig-Holstein-Lied“, so stand es damals in der Lauenburgischen Landeszeitung.
Planwirtschaft trifft auf die Wirtschaft des Marktes
Doch die guten Vorsätze wurden schnell von der Realität eingeholt: Sozialistische Planwirtschaft traf auf die Wirtschaft des Marktes. Hunderte von Arbeitsplätzen in den Boizenburger Fliesenwerken und der Elbe-Werft gingen verloren. Während Boizenburg vom wirtschaftlichen Umbruch gebeutelt wurde, kam auch Lauenburg nicht ungeschoren davon. Die Stadt, schon immer ein Armenhaus Schleswig-Holsteins, musste auf das Geld aus der Zonenrandförderung verzichten.
Der „Spiegel“ veröffentlichte am 2. September 1990 den Artikel „Man Uwe, so geiht dat nich“. Zentrale Figuren des Artikels sind die beiden Bürgermeister Hauke Matthießen und Uwe Wieben. „Im zehnten Monat nach der deutschen Revolution rühmen sich die rechtsseitig an der Oberelbe dümpelnden Städte ihrer nationalen Vorreiterrolle. Nirgendwo, hört man in den Rathäusern, sei die Annäherung zwischen den Teilstaaten vielversprechender gediehen als in diesem schleswig-holsteinisch-mecklenburgischen Mikrokosmos“, schreibt der Autor.
Aus den Partnerstädten wurden Konkurrenten
Aus heutiger Sicht muten die Beobachtungen des Journalisten merkwürdig an. „Hauke Matthiessen gilt das als Beispiel, das für das gesamte Beziehungsgeflecht steht. Immer wieder habe er seinem Pendant, Uwe Wieben, Unterstützung angedient: Komm rüber, täglich um acht, ich führ dir vor, wie man regieren muß.“ Der Autor legt noch einen drauf: „Wie ein armer Jakob, Sinnbild der zerfallenden DDR, wirkt dagegen Uwe Wieben, ein 42jähriger promovierter Kunsthistoriker.“
Als im Jahr 1995 ein deutsch-deutsches Vorzeigeprojekt platzte, stellte das die Partnerschaft auf eine erste harte Probe: Beide Städte hatten Anfang der 1990er-Jahre ein neues Krankenhaus in Boizenburg geplant. Doch dann zog das Land Schleswig-Holstein die Zusage über zehn Millionen Mark zurück. Bürgermeister Uwe Wieben trat mit anderen Protestierenden in einen Hungerstreik.
Boizenburg holte auf, Lauenburg blieb zurück
Doch das Blatt wendete sich bald: Während Lauenburg vergeblich um Investoren warb, ließen sich diese reihenweise in Boizenburg nieder. Kein Wunder: Mecklenburg Vorpommern rollte Unternehmen mit großzügigen Förderungen den roten Teppich aus. „Mit Fördersätzen von 50 Prozent können wir nicht konkurrieren“, bedauerte man in Lauenburg.
Mitte der 1990er-Jahre setzte sich die bittere Erkenntnis durch: Von einer Partnerschaft kann keine Rede sein. „Die Stimmung ist umgeschlagen“, sagte Jens Meyer im Juli 1996 gegenüber dem Hamburger Abendblatt. Aus der anfänglichen Euphorie seien Härte und Misstrauen geworden. Der Lauenburger SPD-Politiker hatte sechs Jahre zuvor als damaliger Erster Stadtrat die Verbrüderungsurkunde mit unterschrieben.
Gemeinsame Versorgungsbetriebe bis heute
Doch nicht alle Träume einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mussten begraben werden. Es war zunächst ein Versuch: Drei Monate vor der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 gründeten Lauenburg und Boizenburg in der DDR ein gemeinsames Stadtwerk.
18 Jahre später wurde aus der Zusammenarbeit auf vielen Gebieten der Energiewirtschaft ein gleichberechtigter Zusammenschluss: Die im Januar 2008 gegründeten Versorgungsbetriebe Elbe werden je zur Hälfte durch die Stadtwerke Boizenburg und die Stadtbetriebe Lauenburg getragen.
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Neubeginn ganz ohne Altlasten
Ganz ohne Altlasten wagen Thorben Brackmann und Rico Reichelt nun den Neuanfang. Beide Bürgermeister beschreiten in ihrer Amtsführung neue Wege. Unter anderem setzen sie auf die Wirkung der sozialen Netzwerke. „Wir werden auf jeden Fall weiter in Kontakt bleiben und zusammenarbeiten. Ich freue mich darauf“, schreibt der Boizenburger nach dem Treffen mit seinem Lauenburger Amtskollegen in sein Facebookprofil.
Neben dem Austausch innerhalb der Verwaltungen sollen auch die Kontakte zwischen den Bürgern der Städte intensiviert werden. Glücklicherweise sind die über die Jahre nicht ganz eingeschlafen. Vor allem die Sportler aus Lauenburg und Boizenburg haben die Fahne der Verbrüderung hochgehalten. So treten Läufer jedes Jahr zum Grenzlauf an. Ruderer fahren die Einheitsregatta und die Elbe-Velo-Tour war viele Jahre lange ein Höhepunkt für Radsportler aus beiden Städten.