Lauenburg. Eisgang legte früher in der Zeit um Heiligabend die Schifffahrt meist lahm. Ruhe kehrte ein. Warum das heute ganz anders ist.
Früher war nicht nur mehr Lametta, sondern auch mehr Eis und Schnee zu Weihnachten. Auf alle Fälle in den Erinnerungen derjenigen, die in Familien der Binnenschiffer aufgewachsen sind. Mal wurde an Bord gefeiert, mal an Land, aber immer waren diese Tage etwas ganz Besonderes.
Horst Eggert vom Heimatbund und Geschichtsverein kennt sich aus mit den Bräuchen in der alten Schifferstadt. Er blickt auf auf die Zeit um 1920 zurück. „Wie jeder andere, so trachteten die Lauenburger Weihnachten nach Haus. Was sollten sie aber machen, wenn sie mit ihrem Schleppkahn weit hinter einem Dampfschlepper hingen, der einen Nothafen in der Saale ansteuern musste? Entweder sie blieben an Bord, heizten den Kanonenofen und hofften so auf etwas Wärme. Oder sie versuchten zum nächsten Bahnhof zu kommen. um doch noch rechtzeitig am Heiligen Abend bei ihren Familien zu sein“, erzählt er. Die Mutter schickte die Kinder dann mehrmals am Tag zum Bahnhof: „Kiekt mal, ob Vadder mitkomen is un helpt em drägen, he het bestimmt wat mitbröcht.“ Wer hatte damals schon ein Telefon? Hatte der Lauenburger Schiffer seinen tief eingeschneiten Heimathafen noch vor dem Zufrieren der Elbe erreicht, so konnten er und seine gesamte Familie sich glücklich schätzen.
Binnenschifffahrt: Lisa Reich sorgte für Behaglichkeit an Bord
Der Lauenburger Reeder Markus Reich ist der Spross einer alten Binnenschifferfamilie. Schon sein Urgroßvater war Schiffsführer. Als die Eltern Lisa und Werner Reich sich endlich ein eigenes Schiff zusammengespart hatten, spielte sich ihr Leben nur noch an Bord ab. Eine gemeinsame Wohnung an Land gab es für die Familie nicht. So war es in den 1950er-Jahren üblich. Der kleine Markus wuchs mit drei älteren Geschwistern auf. Später kam noch eine Schwester dazu.
„Wir waren selten alle zusammen an Bord. Mal war meine Mutter mit einem Teil der Kinder an Land bei den Großeltern, mal lebten wir bei Verwandten, vor allem während der Schulzeit. Aber wenn ich Weihnachten an Bord war, war ich das glücklichste Kind der Welt“, schwärmt Markus Reich. Es war die Mutter, die dann für besonders viel Behaglichkeit an Bord sorgte. „Von irgendwoher hatte Vater einen Tannenbaum organisiert, der liebevoll geschmückt wurde. Das ganze Schiff roch nach Mutters Grünkohl, den es immer an Heiligabend gab“, erinnert er sich. Und dann gab es Geschenke in der „guten Stube“ an Bord. „Damals waren die Flüsse im Winter meist zugefroren und die Schleusen geschlossen. Wir lagen also ohnehin fest und hatten Zeit füreinander“. sagt der 64-Jährige.
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Trübe Gedanken zum Fest auf einem anderen Schiff
In den 1950er-Jahren auch war ein anderes Binnenschiff unterwegs – allerdings auf dem Gebiet der DDR. Kapitän des Motorschiffes „Kurier“ war Otto Strube. Der Heimathafen lag in Parey, im ehemaligen Bezirk Magdeburg. „Wir hatten zu Weihnachten immer einen Baum an Bord und Mutter versuchte, es uns mit leckerem Essen richtig gemütlich zu machen“, erinnert sich Sohn Reinhard Strube. Doch bald überschatteten trübe Gedanken auch die Weihnachtsfeste. „In der DDR begann die Enteignungswelle. Wir hatten Angst um unser Schiff“, erzählt er.
Am 13. Oktober 1958 glückte Otto Strube und seiner Familie eine abenteuerliche Flucht. Die „Kurier“ war auf einer Leerfahrt von Magdeburg aus unterwegs. Was dann passierte, liest sich in der Lauenburgischen Landeszeitung vom 18. November 1958 so: „Strube ließ die Maschine mit voller Kraft laufen und war den anderen Schiffen bald voraus. Er passte die richtige Minute ab, riss das Steuer herum und machte kurz darauf in Gorleben, vier Kilometer von Schnakenburg entfernt, fest.“ Reinhard Strube war da gerade 17 Jahre alt.
Ein Weihnachtsbaum am Mast, einer unter Deck
Nach bis 1974 war die „Kurier“ in Norddeutschland unterwegs. Reinhard Strube fuhr noch eine Weile mit seinem Vater. Seit der Flucht in den Westen war Weihnachten ein doppelter Grund zur Freude. „Wir hatten immer zwei Weihnachtsbäume, einen am Mast und einen unter Deck“, erzählt er.
Wenn der heute 81-Jährige an die Weihnachtsfeste seiner Jugend zurückdenkt, kann er sich fast auch nur an Eis und Schnee erinnern. Im Nachlass seines Vaters hat er ein Bild gefunden, das diesen vor seinen eingeschlossenen Schiffen „Kurier“ und „Antje“ zeigt. „Das muss etwa Weihnachten 1968 gewesen sein“, vermutet Reinhard Strube.
Zeit ist Geld – auch zu Weihnachten
Auch wenn diese beiden Söhne aus Schifferfamilien in unterschiedlichen Systemen aufgewachsen sind: Ihre Erinnerungen an Weihnachten an Bord sind voller Wärme und Familienzusammenhalt. Reinhard Strube genießt heute sein Rentnerleben in Lauenburg. Markus Reich ist der letzte Reeder in Lauenburg. Zehn Schiffe fahren mittlerweile unter seiner Flagge.
Zeit für Weihnachtsromantik gibt es an Bord heute kaum, genauso wenig wie Eis auf den Flüssen. Zeit ist Geld, auch zum Fest. „Die Besatzungen arbeiten im Schichtsystem. Mitarbeiter sind drei Wochen an Bord und haben dann drei Wochen frei. Das wechselt dann von Jahr zu Jahr“, erklärt Reich. Die Schiffe an den Feiertagen still zu legen, könne sich heutzutage kein Reeder leisten. Jeder dieser Tage würde pro Schiff einen Verdienstausfall von 2400 Euro bedeuten.
Ob sich die Besatzungen seiner Schiffe zu Weihnachten einen Baum an Bord holen, weiß Markus Reich nicht. Leckeres Essen kommt aber auf jeden Fall auf den Tisch und Feierabend ist am Heiligabend auch früher als sonst. Natürlich wird den einen oder anderen an Bord auch etwas Wehmut erfassen, so wie die Schiffer in aller Zeit. Doch zum Glück gibt es ja heute Telefon.