Lauenburg. Einst fuhr er große Pötte: 80-Jähriger macht mit seinem Boot in Lauenburg fest und erzählt von seiner Spurensuche in der Vergangenheit.
Die Lauenburger Marina kennt Horst Wittenberg noch von seinem letzten Törn. Jetzt hat der mittlerweile 80-Jährige erneut dort angelegt. Hinter ihm liegen fast 1500 Kilometer, denn Winterberg hat die polnische Hafenstadt Swinemünde besucht – mit seinem nur 3,80 Meter langen Schlauchboot.
Am 10. Juni war Wittenberg in seiner Heimatstadt Nordenham gestartet. Dort kennt man den 80-Jährgen als „Schlauchboot-Mann“: 46 Jahre ist er als Matrose und Schiffsingenieur auf großen Pötten zur See gefahren. Privat habe er zwar auch mal ein Kajütboot besessen, doch in einem Schlauchboot sei das Erleben von Wind und Wellen viel intensiver. Und davon gab es auf seinem mehr als 1500 Kilometer langen Törn über Flüsse, Kanäle und die Ostsee mehr als genug.
Ein wagemutiger Törn als Trauerbewältigung
Doch der Grund für die Reise ist ein trauriger: Anfang des Jahres ist Winterbergs Frau gestorben. „Ich habe diese Reise auch gemacht, um nicht so viel nachdenken zu müssen“, sagt der 80-Jährige, der seine Frau zu Hause gepflegt hatte. „Sie hat gewusst, dass ich diese Reise noch machen will und hat gemeint, dass ich das zu ihren Lebzeiten wohl nicht mehr machen kann“, sagt der alte Mann mit belegter Stimme.
Die Tour über Flüsse und Kanäle hat er akribisch vorbereitet, hatte einen doppelten Kartensatz dabei, dazu seinen Kompass und ein Navigationsgerät samt Antenne am Heck des kleinen Schlauchbootes. Doch Wittenberg war nicht nur in einem offenen Boot unterwegs, er verzichtet auf seinem Törn auch auf jede Annehmlichkeit, übernachtete in einem kleinen Zelt und schlief manchmal sogar im Boot.
Langsam, aber mit geringem Spritverbrauch
Das Schlauchboot hatte er mit Bedacht ausgewählt: Es sollte nicht zu groß und zu schwer sein und möglichst wenig Tiefgang haben. Angetrieben wird das Boot mit Aluboden und drei Luftkammern von einem 9,9 PS starken Yamaha-Außenborder. „Das sind die besten Motoren“, sagt Wittenberg. Schon bei seiner ersten Reise, die ihn 2016 nach Lauenburg führte, war er mit einem kleinen Schlauchboot und einem nur 5 PS starken Außenborder unterwegs gewesen.
Damals war er auf der Spur einer Anekdote aus seiner Jugendzeit: 1969 war Wittenberg als „Einbrecher“ knapp der Polizei entkommen, als er nach einer durchzechten Nacht in den Kneipen der Elbstraße über die Regenrinne versuchte, in sein Hotelzimmer zu klettern. Damals war Wittenberg von Nordenham über die Nordsee in die Elbe gefahren. Diesmal nutzte er Weser und Mittellandkanal, doch um nach Swinemünde zu kommen, musste er die Ostsee befahren.
Doch warum hat er dann nicht ein größeres Boot mit stärkerem Motor genommen? „Ich habe alle Patente, könnte auch ein größeres Boot fahren“, sagt der Seebär: „Doch so ein Boot mit 50 PS-Außenborder verbraucht glatt 20 Liter pro Stunde, mein Boot kommt mit 2,3 bis 3 Litern aus“, sagt Wittenberg. Dank der neun Benzinkanister an Bord, die im Bug als Ballast verstaut sind, konnte er auch lange Strecken ohne Auftankten zurücklegen.
Bis zu zehn Stunden saß der 80-Jährige auf dem kleinen, dünn gepolsterten Sitz im Heck des Bootes und hielt die Steuerpinne mit der einen Hand fest. Auf Flüssen und Kanälen hält Wittenberg in der anderen Hand einen kleinen Spiegel, um zu sehen, was von hinten kommt. So auch auf der Havel-Oder-Wasserstraße bei Berlin. Während er im Spiegel einen großen Schubverband beobachtete, ließ er einmal kurz die Steuerpinne los, um eine Wasserstraßenkarte abzulegen – und da war es passiert: Der Außenborder drehte ab, das Boot lief auf eine Buhne auf und der Propeller war beschädigt.
Im Havel-Kanal ging der Propeller kaputt
Das hätte fast das Ende der Reise bedeutet, doch der erfahrene Skipper hatte natürlich einen Ersatz dabei. Im nächsten Hafen wurde der defekte Propeller, dem nun ein Teil eines Flügels fehlte, gegen das Ersatzteil getauscht. Doch aus der kurzen Reparatur wurde ein längerer Aufenthalt, denn ein neuer Ersatzpropeller, den er über den Hafenmeister bestellt hatte, ließ auf sich warten. Doch dort traf er Manu und Klaus: „Ich habe Manu meine Geschichte erzählt und wurde von ihr zum Essen auf ihr großes Boot zum Grillen eingeladen.“
Solche Begegnungen geschahen immer wieder: Auf der Rücktour auf dem Elbe-Lübeck-Kanal war er mit Carina und Jörn ins Gespräch gekommen. Die beiden Dänen waren ebenfalls mit einem großen Boot unterwegs, gingen plötzlich längsseits und reichten dem Senior einen Beutel ins Schlauchboot – gefüllt mit einem frisch gegrillten Fleischspieß, Bier und Brot. „Ich habe so viele tolle Menschen getroffen, die will ich später noch einmal besuchen – dann aber mit dem Auto“, sagt Wittenberg.
Grüße aus der Partnerstadt an Swinemündes Stadtpräsidenten
Das gilt auch für Swinemünde: Dort half dem Senior die Mitarbeiterin der Bootstankstelle das Rathaus der polnischen Stadt zu finden. Denn dort sollte er Grüße aus Nordenham ausrichten: „Unser Ex-Bürgermeister und ich spielen in derselben Mannschaft Volleyball. Und als er hörte, was ich vorhabe, wollte er es nicht glauben“, sagt Wittenberg. Sollte er sein Vorhaben jedoch verwirklichen, sollte er Grüße an den polnischen Stadtpräsidenten überbringen, denn beide Städte verbindet seit 1992 eine Städtepartnerschaft. Zweimal marschierte Wittenberg durch die Stadt, fand jedoch das Rathaus nicht: „Ich habe mir dabei sogar Löcher in die Schuhe gelaufen.“
Als er am zweiten Tag endlich am Vorzimmer klopfte, wies ihn die Vorzimmerdame zunächst ab. Doch als sie hörte, dass er aus Nordenham komme, gab sie es weiter – und schon am nächsten Tag konnte Horst Wittenberg Stadtpräsident Janusz Żmurkiewicz persönlich treffen und seine Grüße überbringen. „Jemand von der Zeitung war auch da, aber ob die was gebracht haben, weiß ich nicht. Ich musste ja weiter“, so der Senior.
1945 flüchtete Winterberg als Zweijähriger mit Muter und Oma
Die Hafenstadt hat für den 80-Jährigen eine so große Bedeutung, weil er dort als Zweijähriger mit Mutter und Großmutter auf der Flucht vor der Roten Armee ein Schiff bestieg. Die „Gunther Russ“ – später fuhr er für die Ernst Russ-Reederei – sollte sie nach Westen bringen. „Die wollten die Gangway schon einholen, da ist meine Mutter einfach mit dem Kinderwagen drauf gefahren“.
An Bord habe seine Großmutter dann den „richtigen Riecher“ gehabt, so Wittenberg, und die Familie vom offenen Oberdeck ins Schiffsinnere gebracht – zum Glück: Russische Tiefflieger beschossen den Frachter und töteten die Flüchtlinge auf dem Oberdeck. „Deshalb wollte ich die Stadt unbedingt noch einmal sehen“, so Wittenberg. Doch fast wäre das schiefgegangen: Bei der Überquerung des Großen Haffs waren bei Windstärke vier bis fünf Wellen ins Boot geschlagen. Dabei war auch das Navigationsgerät heruntergefallen und zerbrochen.
Auf der Ostsee drohte das Schlauchboot zu sinken
Noch dramatischer war der Rückweg, der den 80-Jährigen und seine Nussschale entlang der Ostseeküste nach Travemünde führte: „Ich habe auf einmal gemerkt, dass mein Boot Schlagseite bekommt“, so der „Schlauchboot-Mann“. Durch den Wellengang hatte sich offenbar der Aluboden im Boot verschoben und eine Leiste hatte ein Loch ins Gewebe der einen Schlauchseite gescheuert. Wittenberg pumpte mit der Fußpumpe nach und versuchte vergeblich, an einer Tonne festzumachen, als er in einer Entfernung einen Schlepper entdeckte. „Als ich die um Hilfe bat, weil ich nach Kühlungsborn wollte, lachten die und sagten, schau doch mal am Heck vorbei. Da war der Hafen. Ich war so im Stress und so verzweifelt, dass ich Kühlungsborn gar nicht gesehen hatte“, so Wittenberg.
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Im Yachthafen konnte er das Loch flicken und setzte seine Fahrt bis Lübeck fort, von wo er dem Elbe-Lübeck-Kanal bis Lauenburg folgte. In der Marina legt Wittenberg bei Hafenmeisterin Yildiz Frühauf eine Pause ein, bevor es weiter nach Otterndorf an der Elbmündung geht. Von dort nutzt der 80-Jährige die Geeste nach Bremerhaven, und dann ist es nur noch ein Katzensprung nach Nordenham, wo ihn am Sonntag, 30. Juli, Verwandte und Freunde zurück erwarten – nach mehr als 1500 Kilometern.
„Mit einem geschlossenen Boot kommt man überall hin. Aber mit 80 Jahren in einem offenen Schlauchboot – ich glaube, das hat noch niemand vor mir gemacht“, sagt Wittenberg, fügt aber auch hinzu: „Es war schön, aber noch einmal werde ich so etwas nicht machen. Ich musste viel Courage aufbringen, aber ich bin froh, durchgehalten zu haben.“