Aumühle. Grabstätte des Hitler-Nachfolgers ist immer wieder Anziehungspunkt von Neonazis und Gegenstand von Protest.
Der Waldfriedhof in Aumühle wäre ein friedlicher, idyllischer Ort unter alten, hohen Bäumen – wenn es dort nicht seit Januar 1981 das Grab des Hitler-Nachfolgers Karl Dönitz gäbe. Dönitz (1891-1980), der letzte Offizier im Generalfeldmarschallsrang und Chef der letzten amtierenden „Reichsregierung“, wurde im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zu zehn Jahren Haft verurteilt. Immer wieder mal ist sein Grab Anziehungspunkt für Neonazis oder Gegenstand des Protests, so zuletzt im Juni. Davon fühlen sich andere Hinterbliebene gestört.
In den vergangenen Jahren war es relativ ruhig um das Grab geworden. Zuvor wurde die Familiengrabstätte zum „Heldengedenken“ extremer Rechter genutzt: Zur Begräbnisfeier 1981 sollen 5000 Menschen erschienen sein, darunter 100 Ehrenkreuz-Träger sowie auch Mitglieder der NPD, auch nach dem Totensonntag 2012 berichtete die Bergedorfer Zeitung darüber, dass die Polizei eine NPD-Versammlung am Grab des Hitler-Nachfolgers auflösen musste.
Aumühle: Kann das Dönitz-Grab aufgelöst werden?
Doch Ende Juni wurde der Name des Hitler-Nachfolgers auf seinem Stein auf dem Familiengrab mit schwarzer Farbe besprüht, darauf ist in Rot das Wort „Nazi“ zu lesen. Da es sich um Vandalismus handelt, sei die Polizei verständigt worden, berichtet Friedhofswartin Dominique Polomski. Die Farbe soll möglichst schnell entfernt werden, der Auftrag läuft. Das war bis Montag, 24. Juli, also einen Monat später, allerdings noch nicht geschehen.
„Warum das diesmal so lange dauert, wissen wir auch nicht“, räumt Dominique Polomski ein. Die Friedhofswartin arbeitet seit 2016 in Aumühle, habe es jetzt jedoch zum ersten Mal erlebt, dass der Stein der Familie Dönitz beschmiert worden sei. „In den vergangenen beiden Jahren haben wir dort nichts mehr registriert“, erläutert die Friedhofswartin. „Da war unser größtes ,Vandalismus-Problem’, dass ein verliebtes Pärchen seine Initialen in eine Bank geritzt hatte.“ Damit könne man leben.
Kosten für Beseitigung der Schäden tragen die Nachkommen
Das Grab des Hitler-Nachfolgers, der nach seiner Haft bis zu seinem Tod in Aumühle gewohnt hatte, habe man wegen der Vorkommnisse in der Vergangenheit und wegen der historischen Relevanz besonders im Fokus. Wenn zu Jahres- oder an Volkstrauertagen dort zum Beispiel Kerzen oder Gestecke mit Hinweisen auf verbotenen politischen Hintergrund abgelegt würden, dokumentiere die Friedhofsverwaltung die Gegenstände und entferne sie sofort, berichtet Polomski. „Das ist bei diesem Grab mit der Familie so abgesprochen. Ich weiß überhaupt nicht, ob die Angehörigen von den Geschehnissen etwas mitbekommen.“
Die Kosten für die Beseitigung dieser Schäden tragen übrigens die jeweiligen Nutzer der Grabstätte. Entdeckt hat die Schmiererei ein Mann, der regelmäßig die Grabstätte seiner Familie auf dem Aumühler Friedhof besucht. Auf dem Weg kommt er am Dönitz-Grab vorbei. Sein Großvater sei von den Nationalsozialisten verfolgt worden und habe seine letzte Ruhe nur wenige Meter neben Dönitz’ Familie gefunden, berichtet er. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen.
Pilgerort für ewig Gestrige auf Waldfriedhof unerwünscht
Ihm wäre es am liebsten, wenn das Dönitz-Grab aufgelassen werden würde, damit es nicht länger Anziehungspunkt für ewig Gestrige und Aktivisten der Gegenseite bleibt. Das ist jedoch nicht so einfach möglich. „Es geht immer noch um ein Familiengrab“, sagt die Friedhofswartin. Laut Satzung haben die Angehörigen das Recht, das Grab jeweils nach Ablaufen der Ruhezeit von 25 Jahren fortzuführen. In dem Fall wird dies der Erbengemeinschaft mitgeteilt, sie dürfe dann entscheiden.
In der Satzung des Aumühler Friedhofs wird zudem auf eine Liste verwiesen, die zu erstellen sei. Sie soll künstlerisch oder historisch bemerkenswerte Grabmale enthalten. Dazu gehört auch die Grabstätte der Familie Dönitz. Erstellt wird die Liste vom Kulturwissenschaftler Nikolaj Müller-Wusterwitz. Er ist zudem Mitglied im Friedhofsausschuss. Bisher stehen 24 verschiedene Grabstellen auf dem Plan. „Es handelt sich dabei um kunstgeschichtlich wertvolle Grabstätten, um regionalgeschichtliche wie das Grab von Emil Specht und eben auch um historisch wichtige wie das Grab von Karl Dönitz“, sagt Müller-Wusterwitz.
Grabsteine könnten auch Denkmale werden
Neben dem Großadmiral, der überzeugter Nationalsozialist und glühender Verehrer Hitlers war, ist auch Georg von Schönerer (1842-1921) – Führer der Deutschnationalen und eines der Vorbilder des jungen Adolf Hitler – auf dem Aumühler Waldfriedhof bestattet. Der Umgang mit den beiden Gräbern wird kontrovers gesehen. Denn selbst wenn die Nachkommen sie auflassen wollten, könnte es sein, dass zumindest die Grabsteine als historische Zeugnisse weiter bestehen.
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In welcher Form, darüber würde zuerst der Friedhofsausschuss, dann der Kirchengemeinderat und im Zweifel die Rechtsabteilung des Kirchenkreises Lübeck/Lauenburg beraten. Ausgeschlossen sei jedenfalls, dass ein Verein mit politischem Hintergrund oder eine Partei die Unterhaltung der Grabstätte übernimmt, betont Dominique Polomski.
Ein Gedenkstein erinnert an Widerständler Rüdiger Schleicher
Auf einer Wegachse von der Kirche zum Friedhof steht das Ehrenmal für die Opfer der beiden Weltkriege. Müller-Wusterwitz hat dafür gesorgt, dass dort im Oktober 2020 auch der Gedenkstein für 30 russische Zwangsarbeiter einen Platz erhält. Ein weiterer Gedenkstein erinnert an Rüdiger Schleicher (1895-1945), der sich im Widerstand gegen den Nationalsozialismus engagierte. Schleicher war verheiratet mit Ursula Schleicher (1902-1983), einer Schwester des im KZ ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer (1906-1945).