Börnsen. Im Juni 2005 wurde die Avia-Tankstelle in Börnsen überfallen. Es floss Blut. Warum es erst jetzt zum Prozess kommt.

Er wollte sich morgens nur schnell eine Zeitung holen, plötzlich befand er sich in Lebensgefahr. Ulrich Elsner erinnert sich gut an jenen 28. Juni 2005. „Hey, was ist denn hier los?“, entfuhr es ihm, als er damals, vor mehr als 18 Jahren, kurz vor 6 Uhr wie gewohnt die Avia-Tankstelle in Börnsen betrat. Zufällig war er mitten in einen Raubüberfall geplatzt. Drei Gangster wollten gerade aus dem Verkaufsraum flüchten.

„Der letzte stand zwei Meter vor mir, hielt eine Pistole auf Hüfthöhe und zielte auf meinen Bauch“, erzählt Ulrich Elsner unserer Redaktion. „Ich hob die Hände zum Zeichen, dass von mir keine Gefahr drohte“, berichtet er. Nach einer unendlich langen Schrecksekunde stürmte der Mann aus dem Shop. An der Zapfsäule wartete ein dunkelblauer Golf III, die Gangster rasten mit quietschenden Reifen Richtung Bergedorf davon.

Nach 18 Jahren: Tankstellenräuber gesteht und nennt Mittäter – Zeuge erinnert sich

Nun holen die Ereignisse von vor 18 Jahren den Stammgast der Avia-Tankstelle wieder ein. Ulrich Elsner ist als Zeuge vor das Landesgericht Lübeck geladen, weil einer der mutmaßlichen Täter gefasst worden sein soll. Sergijs P. wird wegen des Vorwurfes des schweren Raubes vor der VII. Großen Strafkammer seit Montag der Prozess gemacht.

Ulrich Elsner aus Börnsen sagte als Zeuge beim Prozess in Lübeck aus. Er ist Stammkunde der Avia-Tankstelle, wollte morgens um 6 Uhr eine Zeitung kaufen und kam dabei den Tätern in die Quere.
Ulrich Elsner aus Börnsen sagte als Zeuge beim Prozess in Lübeck aus. Er ist Stammkunde der Avia-Tankstelle, wollte morgens um 6 Uhr eine Zeitung kaufen und kam dabei den Tätern in die Quere. © Dirk Palapies | Dirk Palapies

Ulrich Elsner ist kein Feigling. Er rannte sofort nach draußen zu seiner Frau, die im Auto beim Seitenstreifen an der Lauenburger Landstraße auf ihn wartete. „,Sie fragte, ,was waren denn das für Idioten?’“, erinnert er sich. „Das war ein Überfall, ruf’ sofort die Polizei“, entgegnete Ulrich Elsner damals. Der in Wentorf gestohlene Golf wurde später an der Rothenhauschaussee auf Höhe des Kleingartenvereins leer aufgefunden. Die Motorhaube war noch warm, stellten Polizeibeamte fest. Aber die Täter waren verschwunden.

In knapp zwei Jahren wären die Ermittlungen eingestellt worden

Knapp 24 Monate nur fehlen, dann wären die Ermittlungen wegen des Überfalls eingestellt worden. Die Verfolgungsverjährungsfrist für so eine Tat endet nach 20 Jahren. Warum der Lette nun im Februar nach so langer Zeit ausfindig gemacht und vor Gericht gestellt werden konnte, bleibt unklar. Die Staatsanwaltschaft Lübeck weiß es auch nicht. „In welchem Kontext die Verhaftung erfolgte, ist hier nicht bekannt“, hieß es auf Anfrage unserer Redaktion.

Der mittlerweile 44 Jahre alte Angeklagte wurde in Westbelgien in der Stadt Kortrijk aufgegriffen. Dorthin war er kurz nach der Tat in Börnsen umgesiedelt. Er arbeite auf dem Bau, habe sich dort nichts zu Schulden kommen lassen, gibt er im Gerichtssaal an. Vielleicht habe ja „Kommissar Zufall“ bei seiner Festnahme geholfen, heißt es aus Kreisen der Polizei.

Der Angeklagte ist für die Polizei kein Unbekannter

Solche ungeplanten Glücksmomente für die Fahnder ergeben sich zum Beispiel immer mal wieder im Rahmen allgemeiner Verkehrskontrollen, wenn die Personalien der Autofahrer routinemäßige in der Datenbank überprüft würden. Da falle es dann natürlich auf, wenn gegen jemanden ein internationaler Haftbefehl vorliege wie im Falle Sergijs P., lautet eine plausible Spekulation.

Der Lette ist für die Polizei kein Unbekannter. Er wurde wegen einer früheren Straftat schnell als einer der möglichen Täter des Überfalls auf die Avia-Tankstelle identifiziert. Die Spurensicherer stellten seine Fingerabdrücke auf dem Fensterglas des Fluchtwagens und an der Zapfsäule fest. Nur die Fahndung nach ihm und den mutmaßlichen Komplizen blieb ohne Erfolg. Der internationale Haftbefehl wurde 2007 erlassen.

Die Kassiererin wurde wenig später ein zweites Mal überfallen

Auch Nicole F. ist als Zeugin vorgeladen. Die Kassierin, die immer noch bei Avia arbeitet, wurde im Juni 2005 schwer im Gesicht verletzt. Bei ihrer Aussage vor Gericht kämpft sie kurz mit den Tränen, als sie von den Geschehnissen erzählt. „Es kommt alles wieder hoch“, erklärt sie. Die damals 37-Jährige wurde im Februar 2007 erneut überfallen. Trotz allem: „Ich bin immer noch gern Kassierin“, sagt sie.

Die Avia-Tankstelle an der Lauenburger Landstraße in Börnsen wurde schon mehrfach von Räubern heimgesucht. Wegen eines Überfalls im Jahr 2005 gibt es nun einen Prozess vor dem Landgericht Lübeck.
Die Avia-Tankstelle an der Lauenburger Landstraße in Börnsen wurde schon mehrfach von Räubern heimgesucht. Wegen eines Überfalls im Jahr 2005 gibt es nun einen Prozess vor dem Landgericht Lübeck. © Dirk Palapies | Dirk Palapies

Sie habe gleich ein komisches Gefühl gehabt, als die drei Männer im Juni 2005 um 5.50 Uhr den Raum betraten, berichtet Nicole F.. Einer sei ihr besonders suspekt gewesen wegen einer bis zur Nasenwurzel ins Gesicht gezogenen auffälligen, zersausten Perücke. Er fragte nach einer russischen Zeitung.

„Als ich mich umdrehte, wurde ich bewusstlos geschlagen“

Der mit einer Schirmmütze bezahlte am Tresen die Tankrechnung und bestellte Kaffee. „Als ich mich wieder umdrehte, wurde ich bewusstlos geschlagen“, schildert sie die dramatischen Szenen. „Als ich mich hochrappelte, war mein T-Shirt voller Blut“. Aus der Kasse wurden 568 Euro gestohlen sowie Zigaretten aus dem Regal.

Anwalt Viktor Bach kämpft um das Strafmaß für seinen Mandaten. Sergijs P. gibt zu, damals dabei gewesen zu sein – mit viel Alkohol und Drogen intus. Demnach sei er der Mann gewesen, der an der Kasse bezahlt habe. Zugeschlagen und Ulrich Elsner mit der Waffe bedroht haben soll der Mann mit der Perücke.

Kann der Fahrer des Fluchtwagens ein Entlastungszeuge werden?

Viktor Bach hofft, durch die Befragung des Fahrers des Fluchtwagens nachzuweisen, dass Sergijs P. vorher weder von dem Überfall noch von dem Mitführen einer Waffen wusste. Den Namen des Fahrers gab Sergijs P. erst vor dem Landgericht bekannt. Dass er positiv für ihn aussagt, ist für ihn wichtig. Je nachdem droht eine Strafe zwischen einem Jahr und fünf Jahren Haft.

Aber: Der Mann ist schwierig zu finden. Letzter bekannter Aufenthaltsort in den Akten ist die Untersuchungshaftanstalt Hamburg vor 15 Jahren. Wo er jetzt lebt, war trotz großer Anstrengungen durch das Gericht am Montag nicht herauszubekommen. Aber Viktor Bach bekommt einen Aufschub. Ein Anwaltskollege könnte vielleicht einen Kontakt herstellen, vermutet er.

Der Prozess wird deshalb am Donnerstagnachmittag fortgesetzt.

Prozessbeginn wegen des Überfalls auf Avia-Tankstelle im Juni 2005 in Börnsen vor dem Landgericht Lübeck unter dem Vorsitz von Richterin Helga von Lukowicz. Rechts außen sitzt die Russisch-Dolmetscherin für den Angeklagten.
Prozessbeginn wegen des Überfalls auf Avia-Tankstelle im Juni 2005 in Börnsen vor dem Landgericht Lübeck unter dem Vorsitz von Richterin Helga von Lukowicz. Rechts außen sitzt die Russisch-Dolmetscherin für den Angeklagten. © Dirk Palapies | Dirk Palapies