Geesthacht. Ein Meisenpaar hat sich am Airport einen äußerst ungewöhnlichen Nistplatz ausgesucht – der aber auch lebensgefährlich ist.

Auf dem Hamburger Flughafen laufen zurzeit Reparaturarbeiten. Bis zum 28. Juni wird die oberste Deckschicht der Start- und Landebahn 05/23 – Niendorf/Langenhorn – erneuert. In dieser Zeit starten und landen alle Flüge über die Stadtteile Norderstedt und Alsterdorf.

Aber nicht alle Flieger halten sich an die Vorgaben. Ein paar besonders kleine sausen sogar kreuz und quer hin und her, ganz, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Kohlmeisen-Eltern sind es, die sich für den Nestbau eine ganz besondere Stelle ausgesucht haben: in einem rot-weiß gestreiften Pylon direkt an einem Schrankenpfosten bei einer der Zufahrtswachen zum Vorfeld des Flughafens.

Geesthachterin rettet Meisenfamilie auf dem Hamburger Flughafen

Acht hungrige Schnäbel zählte Tanja Kutzner im Nest -- es können aber auch noch mehr Küken sein, sie hockten mehrlagig übereinander.
Acht hungrige Schnäbel zählte Tanja Kutzner im Nest -- es können aber auch noch mehr Küken sein, sie hockten mehrlagig übereinander. © Privat / Privat

Ein gefährdetes Familienglück, denn wegen der Arbeiten auf dem Flugplatz steuern nun viele Lastwagen die Wache an, auch nachts. Die Schlange reicht zum Teil bis zur Hauptstraße zurück. Zum Glück gibt es das Geesthachter Nabu-Mitglied Tanja Kutzner. Sie arbeitet hier als Sicherheitsmitarbeiterin und hat sich der Meisen angenommen. „Ich habe viele Kollegen angestiftet und mich des Öfteren zu dieser Wache im Dienstplan hingetauscht. Ich vermute, dass die Meisen in den Vorjahren schon öfter hier gebrütet haben, denn das Nest ist riesig“, sagt Tanja Kutzner.

Nur fiel das bisher niemandem auf, die Vögel hatten drei Jahre lang ihre Ruhe. Aufgrund der geringeren Fluggastzahlen war die Wache während wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Deshalb bemerkte Tanja Kutzner erst jetzt, dass verdächtig oft Meisen oben in die Pylonöffnung hineinflogen. „Ich bin hingegangen und habe reingeguckt – direkt in viele hungrige Schnäbel“, erzählt Tanja Kutzner. Die Eltern haben das Geschehen derweil recht entspannt abgewartet.

Nabu-Experte hat von so einem Brutplatz noch nie gehört

Ein extrem ungewöhnlicher Platz, meint Dr. Friedhelm Ringe vom Geesthachter Nabu, dem Tanja Kutzner von dem Fund erzählte. „Sie gehen schon mal in Laternenmasten rein, aber von so einem Standort für ein Nest habe ich noch nie gehört“.

„Kohlmeisen benötigen ein Revier von 2000 bis 3000 Quadratmetern, um die Jungen zu ernähren“, erklärt der Biologe. Gut, wenn ein Wäldchen in der Nähe ist. Bis zu 350 Mal am Tag fliegen Meisen das Nest an, haben Ornithologen ermittelt. Herangebracht werden vor allem proteinreiche Insekten wie Blattläuse, Raupen oder auch Spinnen. Die Brutzeit dauert etwa zwei Wochen, die Nestlinge werden dann noch gut 20 Tage gefüttert.

Trotz Trockenheit: Die Meisen haben keine Probleme, eher die Amseln

Warnung vor ungewöhnlichem Flugverkehr: Ein Zettel weist auf das Nest bei einer der Zufahrten zum Hamburger Flughafen hin.
Warnung vor ungewöhnlichem Flugverkehr: Ein Zettel weist auf das Nest bei einer der Zufahrten zum Hamburger Flughafen hin. © Privat / Privat

Für Meisen sieht Friedhelm Ringe trotz der Dürre derzeit keine Probleme, eher schon bei den Amseln. Sie gehen für die Verpflegung des Nachwuchses gern auf Würmersuche, und das sei wegen der harten, ausgetrockneten Böden gerade schwierig. Trotzdem: „Ich bin gegen eine Sommerzufütterung“, sagt er. „Man sollte den Vögeln nur Wasser hinstellen, sonst kann man nicht helfen“.

Aus dem Nest gefallene Jungvögel könne man übrigens vorsichtig aufnehmen und zum Schutz in eine ungefährdete Stelle setzen wie eine Hecke oder ein dichtes Gebüsch, sie werden von den Eltern weiterversorgt. Sofern verfügbar am besten in einheimische Sträucher wie Weißdorn oder Schlehen, Zierhecken wie Liguster seien problematisch, weil es im Inneren zu wenig Querverbindungen gäbe. „Da fallen die Vögel durch“, sagt Friedhelm Ringe.

Fast der ganze Flughafen fieberte mit den Meisenschützern mit

Acht Meisenküken sind es, vielleicht auch mehr, so genau kann Tanja Kutzner das nicht sagen. Die flauschigen Federbälle haben sich im Pylon eng in mehreren Schichten zusammengekuschelt. Unter Einbeziehung des Nabu wurde diskutiert, was zu tun ist, um die Meisen im wahrsten Sinne „aus dem Verkehr zu ziehen“.

Auch die Kollegen bis hin zu den Supervisoren hatten nun von den ungewöhnlichen Flugbewegungen in ihrer unmittelbarer Nachbarschaft mitbekommen, die Vögel erlebten eine Welle der Hilfsbereitschaft. „Im Kern waren es zehn, die ein Auge drauf hatten, aber Bescheid wussten alle. 240 Leute im Gemeinschaftsdeck und in den Terminals.

In ansonsten beruflich genutzten WhatsApp-Gruppen verteilte Tanja Kutzner die Information, dass sich um die Meisen nach Absprache mit dem Nabu gekümmert’ werde. Sie bat die Kollegen, das Nest im Auge zu behalten und zu schauen, ob die Eltern sich bei der Versorgung der Küken gestört fühlen. Die Rückmeldungen waren durchweg positiv. „,Mensch, das finden wir toll, wir passen auf’“, bekam Tanja Kutzner immer wieder zu lesen.

Die Umsiedlung scheiterte: Das Nest war zu groß für den Nistkasten

Schließlich brachte Tanja Kutzner einen Nistkasten für eine empfohlene Umsiedlung aus dem eigenen Garten mit. Die Kohlmeisen sind schließlich Höhlenbrüter. Aber es gab ein Problem: Das XXL-Nest passte einfach nicht in die angedachte Behausung. Die gesamte Grundfläche des Pylon ist mehrstöckig ausgepolstert mit einem weichen Moosbett. Also gab es einen erneuten runden Tisch zur Meisenrettung.

Ergebnis: Der Pylon bleibt nun doch an Ort und Stelle auf dem Sockel vor dem Schrankenpfosten. Er wurde nur kurz vom Nest gehoben, um wegen eines möglichen Hitzestaus einige Löcher hineinzuschneiden. Den Küken machte die Arbeiten nichts aus. „Die Jungen haben fröhlich gezwitschert“, hat Tanja Kutzner festgestellt. Und die Altvögel ließen sich auch nicht stören und fütterten einfach weiter.

Die Erhaltungsmaßnahmen am Flughafen werden bis Ende September andauern, denn auch die zweite Start- und Landebahn wird noch erneuert. Die kleinen Vögel sind dann längst abgedüst. Kohlmeisen brüten meist nur einmal im Jahr, spätestens im Juli ist die Brutzeit beendet. Den Pylon an der Wache werden sie in der nächsten Saison umgestürzt vorfinden, um solche Aufregungen zu vermeiden – für die Mitarbeiter als auch für die Meisen.