Geesthacht. Auf einer Feuchtwiese bei Hohenhorn ist ein Kiebitz-Küken geschlüpft. Ein seltenes Ereignis, denn der Kiebitz-Bestand ist geschrumpft.

Es ist ein rührendes Bild: Emsig tappst ein Kiebitz-Küken im Tarnkleid durch eine Feuchtwiese bei Hohenhorn und sammelt sich mühsam sein Essen zusammen. Mückenlarven und Würmchen stehen auf dem Speiseplan. Kiebitze sind Fleischfresser und müssen sich ihr Futter gleich selbstständig suchen. Papa Kiebitz hockt ein paar Meter entfernt auf einer Anhöhe und beobachtet mit Argusaugen, was dem Nachwuchs gefährlich werden könnte.

Davon gibt es hier eine Menge. Fuchs, Marder und Marderhund, Krähe, Kolkrabe und Greifvogel. Gegen die könnte sich das tapfere Kiebitzmännchen zur Wehr setzen, nur gegen einen Feind hätte er keine Chance. Ganz in der Nähe donnern die Autos einer viel befahrenen Straße vorbei.

Die Prognose für die Kiebitze sind düster aus

Natur-Experten wie der Biologe Dr. Friedhelm Ringe vom Nabu schauen mit einem wehmütigen Blick auf diese Szene: Vielleicht ist es das letzte Mal, dass er im Südkreis so etwas beobachten kann. Die Prognose für die Kiebitze sieht düster aus. „Es sind ursprünglich Steppenvögel, sie brauchen Flächen, die übersichtlich sind. Die gibt es hier nicht mehr, da geht es ihnen genauso wie Lerche, Schafstelze und Rebhuhn. Sie alle sind hier zum Aussterben verurteilt“, sagt Ringe.

Um eine Fläche zu schaffen, die den Kiebitzen gefällt, bräuchte es ungefähr fünf Hektar Land, meint Friedhelm Ringe. Die Pachtkosten betrügen dafür etwa 7.500 Euro jährlich. Das könne der Nabu nicht leisten. Für die Landwirte hat er Verständnis, die Zusammenarbeit mit den Naturschützern sei gut. Aber der Rahmen ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten sei nicht groß, sie unterlägen den ökonomischen Zwängen des Agrarsystems.

Das Weibchen ist nicht zu finden gewesen

So entstammen der Kiebitz und sein Küken den wahrscheinlich letzten vier Brutpaaren im Südkreis. Das Kleine ist Ende April in einem Erdbeerfeld von Jochen Putfarken aus dem Ei geschlüpft. Auch er sei ein Bauer, der große Rücksicht auf die Kiebitze nehme, lobt Dr. Ringe. Wegen der Trockenheit seien die beiden Vögel dann irgendwann losmarschiert. Die gut 600 Meter bis zum neuen Standort absolvierten sie wohl in einer hellen Mondnacht, zogen durch ein Getreidefeld, einen Acker und über eine Hauptstraße. Wo das Kiebitz-Weibchen geblieben ist, kann Dr. Ringe nur vermuten. Tot? Oder es hat sich einen neuen Mann gesucht.

Die Gelege der anderen Paare standen unter keinem guten Stern. Zwei Nester waren kurz nacheinander verschwunden, mal blieben Eierschalen zurück. Ringe hat Raubtiere im Verdacht, weniger die Greifvögel. Die Kiebitze sind sehr energisch, wenn es um die Verteidigung ihrer Brut geht. Gegen die Turmfalken aus der Hohenhorner Kirche etwa setzten sie sich schon erfolgreich zur Wehr. Das Problem: Je mehr sie sind, desto besser klappt die Abwehr von Fressfeinden. Und je stärker die Brutgemeinschaftt schrumpft, desto schwieriger ist es.

Seit 2010 schmolz der Bestand von zehn auf vier Brutpaare

Möglich, dass es nun sogar ganz vorbei ist mit brütenden Kiebitzen der Region. Denn die Erdbeerfelder werden jährlich versetzt. Und die sensiblen Vögel fanden bereits in der Vergangenheit nicht jeden neuen Standort geeignet. Von 2010, dem Jahr der Erstsichtung, schmolz der Bestand von mindestens zehn Brutpaaren auf nun nur noch vier. Zwischen 2014 und 2017 gab es gar keine Brut. „In den nächsten Jahren wird es somit kaum geeignete Brutbiotope geben“, glaubt Friedhelm Ringe. „Und sonst ist hier nichts mehr.“