Geesthacht. Mit den Punkten des Ökokontos werden Schäden an der Natur durch Bauvorhaben verrechnet. Warum die Fläche für Aufsehen sorgt.
Knicks, Wiesen, ein großer, dicht bewachsener tümpelartiger Teich: Geesthachts größte ökologische Schatzkammer liegt eingebettet zwischen Börmweg, Querweg und Wulfsweg und den nördlichen Ausläufern des Finkenweg Ost in der Oberstadt. Nun gibt es eine Diskussion um den Wert dieser Fläche. 54 Vogelarten wurden bei einer Zählung vor zehn Jahren in dem Bereich festgestellt, davon 28 Brutvogelarten, fünf Arten mit Brutverdacht und 21 Arten als Nahrungsgäste und Durchzügler.
Gut vertreten sind Goldammer, Dorn- und Mönchsgrasmücke sowie selten zu sehende Vögel wie Feldlerche, Braunkehlchen, Schafstelze und Neuntöter. Fünf Arten von Watvögeln wurden als Nahrungsgäste auf der Fläche gesichtet, so fand sich eine Bekassine auf dem Durchzug ein, zudem Kiebitze, die für die Brut dann aber den benachbarten Rübenacker bevorzugten.
Nirgendwo sonst im Land wächst das seltene Froschkraut so üppig wie in Geesthacht
Seltenste Pflanze ist das Froschkraut, das hier mit mehreren Tausend Exemplaren in so großer Menge wächst wie nirgendwo sonst in Schleswig-Holstein. Es macht sich in ganz Mitteleuropa sehr rar und steht unter strengem Schutz. Seinetwegen reiste eine Abordnung aus dem Umweltministerium an. Auch der stark gefährdete Sumpfquendel kommt am Ufer des Gewässers vor. Und im Frühjahr breiten sich wilde Tulpen an den Wegrändern aus.
Nachgewiesene Amphibienarten sind Grasfrosch, Erdkröte, Moorfrosch, Knoblauchkröte, Teichmolch, Kammmolch, Laubfrosch und Teichfrosch – „alle Arten, die in so einer Landschaft theoretisch vorkommen könnten, sind hier tatsächlich anzutreffen“, sagt Ulrike Stüber vom Geesthachter Fachdienst Umwelt.
Kurz: Die Fläche ist nicht nur ein Idyll, wie es selten geworden ist in der Metropolregion, sie ist zudem ökologisch überaus wertvoll. Aber wie wertvoll sollte sie sein? Darüber ist ganz unidyllisch eine Diskussion entbrannt. Denn das Areal ist Geesthachts einziges offizielles Ökokonto. Sein wie bei einem echten Konto angespartes (Öko-)guthaben wird gegengerechnet, um die Schäden zu kompensieren, die Bauvorhaben in der Stadt verursachen.
Gibt Geesthacht seine Flächen mittlerweile zu günstig her?
Das lässt die Stadt sich etwas kosten von den Investoren. 5,90 Euro pro Quadratmeter, um genau zu sein. Der Preis errechnet sich aus den Gesamtkosten für die Maßnahmen zur ökologischen Aufwertung und zum Grunderwerb von einem Landwirt im Jahr 2001, die mit rund 950.000 Euro veranschlagt werden. Bezogen auf die zur Verfügung stehende Größe von 16,6 Hektar ergeben sich so 5,90 Euro pro Quadratmeter.
Aber ist das mittlerweile zu günstig? „Natur hat ja ihren Wert. Warum soll man Natur immer für den gleichen Preis anbieten? Die Grundstückspreise steigen ja auch“, meinte Sonja Higgelke (Grüne) im Umweltausschuss. Mit der Argumentation steht sie nicht allein. Anvisiert wird deshalb von den Befürwortern einer Preissteigerung eine Anhebung auf 8,60 Euro.
Wird der Ausgleich zu teuer, steigen vielleicht die Investoren aus
Diesem Preis liegt eine angenommene Preissteigerung seit dem Aufbau der Fläche im Jahr 2003 von 45 Prozent zugrunde. Das Ökokonto würde heute so, wie es nun ist, rund 1.378.000 Euro in der Anschaffung kosten. Das entspricht einem Preis pro Quadratmeter beziehungsweise Ökopunkt von 8,60 Euro. „Dieser Preis wäre überdurchschnittlich hoch und schwer vermittelbar“, meint aber Ulrike Stüber.
Denn das Problem ist: Wird Geesthacht zu teuer mit den Flächen seines Umweltkontos, steigen die Investoren eines Projektes vielleicht aus. Denn sie sollen die Ausgleichsflächen in Geesthacht anlegen, das wird vertraglich mit ihnen exklusiv im Rahmen eines städtebaulichen Vertrages ausgehandelt. Im Grunde aber reicht ein Ausgleich in einem Landschaftsraum aus, der dem entspricht, in dem das Bauvorhaben durchgeführt wird wie zum Beispiel eine Geest oder eine Marsch. Das könnte dann theoretisch irgendwo weit weg sein, auch bei Flensburg.
Beim Start hatte die Fläche einen Wert von null Ökopunkten
Und Geesthacht hat Konkurrenz. Der aktuelle durchschnittliche Preis für einen Quadratmeter Ausgleichsfläche in Schleswig-Holstein beträgt 3,80 bis vier Euro. Somit ist Geesthacht bereits jetzt teurer als der Durchschnitt. „Die Stadt hat den Schaden, wir wollen die Flächen hier behalten“, sagt Ulrike Stüber.
Die Fläche am Börmweg wurde aus einer ehemals intensiv genutzten Ackerfläche entwickelt. Die Stadt kaufte das Gelände 2001 von einem Landwirt, der Ökowert pro Quadratmeter lag damals bei null Ökopunkten. Gestartet wurde mit den Maßnahmen 2003, gleich nach der ersten Aufwertung war jeder Quadratmeter bereits einen Ökopunkt wert. Gemeinden können sich diese Maßnahmen zur Aufwertung von den Naturschutzbehörde anerkennen lassen.
Die Fläche wird durch die Maßnahmen immer wertvoller
Das Prinzip mit den Ökopunkten funktioniert ähnlich wie mit den Zinsen bei einem Sparkonto. Die Fläche wird durch gezielte Maßnahmen immer wertvoller – nicht deshalb, weil sie größer wird, sondern weil sich zunehmend Artenreichtum bei Flora und Fauna einstellt. Es ist wie bei einem Muskel, der mit Training nicht dicker wird, aber ständig an Kraft zunimmt.
Nach zehn Jahren gab es einen Aufschlag von 30 Prozent, „und da wir noch eine Aufwertung für Artenschutz durchgeführt haben, gab es noch einmal einen weiteren Aufschlag von 50 Prozent“, berichtet Ulrike Stüber – „das ist die Verzinsung“. Automatisch lief der Vorgang nicht ab, die Stadt musste einen Antrag bei der unteren Naturschutzbehörde stellen. Jeder Quadratmeter ist nun also 1,8 Ökopunkte wert. Aber dabei bleibt es, mehr ist nicht drin.
Irgendwann sind die Punkte des Ökokontos aufgebraucht
Da für jedes Bauvorhaben entsprechend der auferlegten Ausgleichsfläche Punkte vom Ökokonto abgezogen werden, sind die des Geesthachter Ökokontos irgendwann aufgebraucht. Gegengerechnet wird nicht 1:1 in Quadratmetern, sondern in der Differenz des Ökowertes der Flächen. Je hochwertiger ein Grund und Boden ist, der bebaut werden soll, desto mehr muss ein Bauherr in Ökopunkte investieren – und desto teurer wird es, weil den Punkten ihr Quadratmeterpreis zugrunde liegt.
Die Fläche, die bebaut werden soll, nimmt ein Landschaftsplaner vorher unter die Lupe. Er wird in der Regel extern beauftragt. Von ihm abzuwägende Schutzgüter sind dabei nicht nur die Einflüsse auf die vorhandene Artenvielfalt, sondern auch auf den Boden generell, auf Wasser, Luft, vorgefundene Biotope, Mensch und das Landschaftsbild.
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„Wenn das Ökokonto irgendwann aufgebraucht, ist dann muss man gucken, ob man irgendwo ein neues Ökokonto beginnt. Aber so weit sind wir lange noch nicht“, sagt Ulrike Stüber. Ob es für Investoren künftig teurer werden soll, wird der nach der Kommunalwahl neu zusammengesetzte Umweltausschuss entscheiden. Das verzwickte Thema wurde zur Beratung in den Fraktionen vertagt.