Geesthacht. Hintergrund ist eine Kampagne gegen eine CDU-Politikerin in einer Facebookgruppe. Es sollen Schläge angedroht worden sein.
Als die Sitzung der Geesthachter Ratsversammlung am Freitag kurz unterbrochen wird, kommt es im Vorraum des Ratssaals zum Eklat. Marco Woehr, Mitglied des CDU-Ortsverbands, geigt Erdal Torun, Administrator der Facebookgruppe Geesthachter, die Meinung. Den Satz „Komm raus. Wir klären das“, soll Woehr laut CDU-Ratsherr Oliver Pachur zu Torun gesagt haben. Auch Schläge sollen angedroht worden sein. „Lass meine Frau in Ruhe!“, schnappt der Berichterstatter noch auf, als er hinzukommt.
Andere Politiker gehen dazwischen. Die Lage beruhigt sich wieder, doch Torun ruft trotzdem die Polizei. Beide Seiten erstatten später gegenseitig Anzeige wegen Bedrohung. Es sind nicht die ersten Anzeigen, wie sich später zeigt. Hintergrund ist eine Kampagne von Torun in der Facebookgruppe, in denen er in seitenlangen Beiträgen die CDU-Politikerin Jessica Woehr für ihr Engagement für die LGBTQ-Gemeinde angreift, sie persönlich diskreditiert und sogar Kindeswohlgefährdung unterstellt.
Polizeieinsatz bei Sitzung der Geesthachter Ratsversammlung
Die Gegenseite spricht von Rufmord, zumal Jessica Woehr sich dagegen nicht wehren kann: Torun hat sie aus der geschlossenen Gruppe geworfen, der knapp 7750 Mitglieder angehören. Ausgerechnet am internationalen Tag gegen Homophobie (17. Mai) eskalierte die Auseinandersetzung nun während der Ratsversammlung.
Im vergangenen Jahr hatte Jessica Woehr, die ein transsexuelles Kind hat, erst die Selbsthilfegruppe „Trans* in Familie“ in Geesthacht gegründet und später gemeinsam mit Max Hansen (Grüne) auch die AG Queer ins Leben gerufen. Weil sie auch kommunalpolitisch tätig ist, hat Erdal Torun eine Beschwerde bei der Verwaltung der Stadt nach Paragraf 16 der Gemeindeordnung wegen angeblicher Vorteilsnahme und Interessenkonflikten (Paragrafen 20, 21) eingereicht.
Erdal Torun spricht von „sexualisierenden Videos“ auf TikTok
Zusätzlich hat er 13 Fragen nach dem Informationszugangsgesetz an die Stadt geschickt, in denen er unter anderem wissen möchte, wie viele Personen ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister in den vergangenen 24 Monaten geändert haben. „Mich haben viele Eltern kontaktiert. Sie wollen nicht, dass Frau Woehr weiterhin ihre Ideologie verbreitet“, behauptet Torun gegenüber unserer Redaktion.
Auch ihre „sexualisierenden Videos“ auf Woehrs Tik-Tok-Kanal „verschlagen einem die Sprache“, behauptet Torun, zumal Woehr ja eine Kindertagespflege leite und ein öffentliches Amt bekleide: „Weshalb ich beim Amtsgericht Schwarzenbek einen Antrag nach §1666 wegen Überprüfung einer Kindeswohlgefährdung stellen muss!“
Jessica Woehr: „Vorwürfe an Haaren herbeigezogen“
Am vergangenen Donnerstag hatte Woehr wegen der Anschuldigungen, die sich seit Wochen hinziehen, ihrerseits eine Anzeige wegen Rufschädigung und Hetze gestellt. Zuvor war sie nach eigener Aussage bereits vom Staatsschutz in Lübeck als Zeugin geladen.
„Was Torun sagt, ist alles an den Haaren herbeigezogen. Ich leite ehrenamtlich eine Selbsthilfegruppe und engagiere mich in der AG Queer. Damit verdiene ich kein Geld. Auch war ich noch in keiner Schule. Und die Videos sind meine Privatsache“, sagt Jessica Woehr. Marco Woehr ergänzt: „Der will Jessica ruinieren, ist völlig auf sie fixiert. Und hat jetzt den Bogen überspannt.“
Erdal Torun war das erste Mal als Zuschauer bei einer Ratsversammlung anwesend. „Weil ich wissen wollte, was dort gesagt wird und wie es abläuft“, wie er angab. „Ich bin nicht homophob oder AfD-nah, wie man mir unterstellt. Ich schaue nur genau hin, was die da macht, und habe wohl den Finger in die Wunde gelegt“, sagt Torun.
Ältestenrat der Stadtvertretung will den Vorfall aufarbeiten
Derweil trat Jessica Woehr in eigener Sache unter dem Punkt „Verschiedenes“ noch mal an das Rednerpult: „Ich werde mich weiter für Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit für alle einsetzen. Und zum Internet: Echte Infos holt man sich in der Realität und nicht in einer Facebookgruppe.“
Ein politisches Nachspiel hat der Vorfall: Am Mittwoch kommt der Ältestenrat der Stadtvertretung zu einer Sondersitzung zusammen, um die Ereignisse aufzuarbeiten. Die CDU Geesthacht schreibt vorab in einer Stellungnahme: „In den letzten Monaten war zu beobachten, dass provokante Situationen in einer Geesthachter Facebookgruppe zu Rufschädigungen unseres Fraktionsmitgliedes geführt haben. Dass diese Situationen überhaupt entstehen konnten und nicht in den Anfängen unterbunden wurden, ist zu missbilligen. Gleichwohl ist die Androhung körperlicher Gewalt nicht zu entschuldigen. Wir werden die Sachverhalte fraktionsintern aufarbeiten und keine voreiligen Entscheidungen treffen.“
Es gibt vereinzelte Rücktrittsforderungen gegen Jessica Wöhr
Für Christoph Hinrichs (Bürger für Geesthacht, BfG) steht derweil fest: „Frau Woehr sollte von sämtlichen Ämtern zurücktreten. Ich akzeptiere die Hintergründe, aber das Verhalten ist inakzeptabel. Wenn ein Ratsmitglied ein Mitglied einer anderen Fraktion wegschubst, ist das nicht zu entschuldigen.“
Sein Ortsvorsitzender Christian Barbarousis hatte sich schlichtend zwischen die Streithähne gestellt. Daraufhin hatte Jessica Woehr zu ihm gemeint: „Lass die das mal regeln.“ Einen Schubser konnte unser Redakteur nicht ausmachen, auch das Bildmaterial gibt das nicht her.
Jessica Woehr sagt: „Ich hatte Angst vor Torun. Der hat mehrfach gesagt: Das war noch nicht alles.“ Trotzdem gehen selbst einige CDU-Mitglieder auf Distanz zu ihr: „Die TikTok-Videos lassen Seriosität vermissen. Ich wäre dafür, Frau Woehr erst mal rauszunehmen“, so Oliver Pachur.
Ali Demirhan: „Facebookgruppe kein demokratisches Forum“
Die SPD-Fraktionsvorsitzende Petra Burmeister betont: „Für die SPD-Fraktion ist unerlässlich, dass Sitzungen und Termine der ehrenamtlichen Kommunalpolitik in einem gesitteten und gewaltfreien Rahmen stattfinden. Lautstarke verbale Auseinandersetzungen im Vorraum, möglicherweise mit Beleidigungen oder Drohungen, gehören nicht dazu.“
Ali Demirhan (Grüne) fand den Polizeieinsatz überflüssig („Aus meiner Sicht nicht mehr notwendig“), dafür hat er zur Facebookgruppe Geesthachter eine eindeutige Meinung: „Das ist kein demokratisches Forum. Der Administrator bestimmt, was erscheint und was nicht und welche Meinung vertreten werden darf“, so Demirhan. Als Beispiel führt er die Demonstration „Nie wieder ist jetzt“ gegen die AfD im Januar an: „Als das Plakat zur Ankündigung gepostet werden sollte, durfte es nicht erscheinen, weil dort eine Regenbogenfahne abgebildet war.“
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In der Vorweihnachtszeit hatte es in Geesthacht anonyme Drohbriefe gegen die St.-Salvatoris-Kirche gegeben, die einen antisemitischen und antiisraelischen Hintergrund hatten. Daraufhin waren alle Termine mit Kindern abgesagt worden. Weihnachtsgottesdienste fanden unter Polizeischutz statt, der Staatsschutz ermittelte. Gemeindepädagoge Andreas Seifert ist bekennend homosexuell und mit einem Juden verheiratet und hatte im Sommer 2023 eine queere Jugendgruppe ins Leben gerufen. Und in Ahrensburg sieht sich ein queerer Politiker anonymen Bedrohungen ausgesetzt.