Geesthacht. Die Selbsthilfegruppe Trans* in Familie feiert einjährigen Geburtstag. Es ist eine Erfolgsgeschichte. Was Jessica Woehr noch vorhat

Vor einem Jahr wurde die Selbsthilfegruppe Trans* in Familie in Geesthacht gegründet mit einem weiterhin einzigartigen Angebot in der Region. Sie bietet für Eltern und Angehörige von Transgender-Kindern monatlich einen Anlaufpunkt für Fragen, Sorgen und Ängste. Die beiden Initiatoren Jessica Woehr und Katrin Zachmann sind selbst Mütter von Transkindern.

Beim Starttermin der Gruppe war Bürgermeister Olaf Schule der einzige Besucher. Er wollte den beiden Frauen seinen Respekt aussprechen. Jessica Woehr indes zweifelte damals nicht, dass sich die Resonanz noch einstellen würde. Gemäß des Austausches in den sozialen Netzwerken machte sie mindestens sechs Interessenten aus. „Die haben sich nicht getraut, das ist ja erstmal auch eine Überwindung, zu so einer Gruppe zu gehen. Beim nächsten Mal werden alle dabei sein“, war sich Jessica Woehr sicher.

Geesthacht: Selbsthilfegruppe für Eltern von Transkindern ist erfolgreich

Genau so kam es. Die Gründung der Gruppe ist ein voller Erfolg. 14 Familien mit Transkindern im Alter von 6 bis 21 Jahren tauschen sich mittlerweile bei Trans* in Familie aus. Sie kommen aus dem Umland von Reinbek über Schwarzenbek bis hin zur Grenze nach Mecklenburg. „Das ging nach dem Bericht in der Lauenburgischen Landeszeitung mit dem Zulauf ziemlich schnell“, berichtet Jessica Woehr. Ein Gefälle in der Akzeptanz, je weiter man sich von der Stadt weg Richtung Land entfernt, hat sie nicht festgestellt.

Jessica Woehr glaubt nicht, dass das Potential bereits ausgereizt ist. „Da ist immer noch eine große Hemmschwelle, sie ist nur ein bisschen weniger geworden“, hat sie ausgemacht. „Wir könnten noch mehr werden“, meint Jessica Woehr zum Wachstum. Es seien meistens Mütter, die zu den Treffen kommen, bei den Vätern sei noch Luft nach oben.

Die Hauptangst der Eltern: dass die Kinder angegriffen werden

Die Gruppe ist eine reine Elterngruppe. „Auch wenn die Kinder älter sind, die Ängste bleiben ja trotzdem. Gerade bei anstehenden medizinischen Sachen wie Operationen, und es geht auch um den Austausch, wie sich die Kinder psychisch verändern im Laufe der Zeit. Dafür sind wir da, um die Eltern aufzufangen“, erklärt Jessica Woehr. Alle fieberten mit, wenn der nächste Schritt bei einem der Kinder anstehe.

Die Urängste von Eltern mit Transkind drehten sich aber gar nicht so sehr um das Medizinische, sondern dass dem Kind etwas passiere. So wie Ende Mai auf dem Christopher Street Day in Hannover, als es queerfeindliche Angriffe mit Verletzungen gegeben hatte. „Viele der Älteren engagieren sich in der LGBTQ-Community, Sicherheit ist wirklich das Hauptding“, erklärt Jessica Woehr.

Auch die St. Salvatoris-Kirche gründet eine queere Gruppe

Das Thema ist seit der Gründung vorangekommen in Geesthacht. Es gibt mittlerweile eine weitere Gruppe in Hamburg, Katrin Zachmann macht regelmäßig Telefondienst, und bei Ärzten liegen Flyer, die im Bedarfsfall betroffenen Familien mitgegeben werden. Auch die St. Salvatoris-Kirche widmet sich zukünftig verstärkt dem Thema der Geschlechtsidentität, wenn auch nicht speziell zu Transgender.

Unter der Leitung des neuen Gemeindepädagogen Andreas Seifert trifft sich eine queere Gruppe für junge Leute im Alter von 13 bis 20 Jahren zum ersten Kennenlernen am Donnerstag, 31. August, um 17 Uhr im Jugendhaus am Kirchenstieg 1. Vorgesehen ist ein monatliches Zusammenkommen. Man muss kein Gemeindemitglied sein, um teilzunehmen.

Ratsfrau Jessica Woehr will das Thema auch in der Stadtpolitik voran bringen

Andreas Seifert war auch zu Gast auf dem Geburtstagsempfang der Gruppe, genau wie die Geesthachter Gleichstellungsbeauftrage Anja Nowatzky und Michael Fiebig (SPD), der bis zur konstituierenden Sitzung Noch-Vorsitzende des Sozialausschusses. So entsteht allmählich ein sich verzweigendes, übergreifendes Netzwerk.

Und: Das Thema hat mit Jessica Woehr höchstselbst nun einen Fuß in der Tür der Stadtpolitik. Sie ist für die CDU nach der Kommunalwahl im Mai jetzt Mitglied der Ratsversammlung und stellvertretende Vorsitzende des Sozialausschusses. „Das fließt natürlich in meine Arbeit ein, das werde ich anschieben“, verspricht Jessica Woehr.

Im Blickpunkt: Die Schultoilette für alle Geschlechter

Sie strebt an, dass Vertreter ihrer Gruppe für einen Vortrag in den Sozialausschuss eingeladen werden. Auch Unterstützung für Gruppen wie die der St. Salvatoris-Kirche steht auf ihrer Agenda. „Es geht dabei gar nicht um Geld, sondern allgemein, dass so etwas gefördert wird. Bisher stand so eine Thematik noch nicht auf der Tagesordnung“, erklärt sie.

Ein weiteres Anliegen: Dass in den Schulen die „Toilette für alle“ eingeführt wird, beginnend mit der Bertha-von-Suttner-Schule. Jessica Woehr ist dort im Elternbeirat. Getrennte WCs für die einzelnen Geschlechter sollen sie aber nicht ersetzen, nur ergänzen. Es gibt einen handfesten Hintergrund. „In Hamburg hatte eine Familie aus der Transgruppe massive Probleme, die Schule wollte durchsetzen, dass das Transkind auf die Behindertentoilette gehen soll“, berichtet Jessica Woehr.

Medizinische Zentren zeigen bisher wenig Interesse

„Mein Sohn (7) geht auf die Grundschule, er hat überhaupt keine Probleme, sei es mit den Umkleidekabinen, mit den Toiletten oder allgemein. Sie nehmen ihn so, wie er ist“, erzählt sie. Mit der Situation in ihrer Heimatstadt ist sie insgesamt zufrieden. „Geesthacht ist toll aufgestellt, alle sind sehr offen für das Thema“, findet Jessica Woehr.

Von den Verbänden und medizinischen Zentren vor Ort habe es allerdings bisher eher wenig Interesse gegeben. „Wer mich mal angefragt hat, ist die Flüchtlingshilfe, ob ich ein paar Vorträge halten könne“, sagt Jessica Woehr. Nun fährt sie für eine Woche zusammen mit ukrainischen Familien mit nach Travemünde und berichtet, was für ein offenes Land für alle Geschlechter Deutschland ist.

Das Treffen in Geesthacht ist jeden ersten Montag im Monat um 19 Uhr bei Kibis am Flottbeker Stieg 1, das Treffen in Hamburg jeden dritten Mittwoch im Monat um 19.30 Uhr beim Therapiehilfeverbund 4be an der Hammer Landstraße 56. Es wird gebeten, vorher Kontakt aufzunehmen. Die Mailadresse lautet transinfamilie@yahoo.com