Ahrensburg/Hamburg/Kiel. Briefe, Mails, eine Schlinge: Grüner aus Ahrensburg wird seit Monaten tyrannisiert. Polizei schützt Stadtverordnete. Kein Einzelfall.
Es beginnt im Oktober. Ob jetzt Mitte Oktober 2023 oder am Ende, Stephan Lamprecht weiß es nicht mehr genau. Es ist auch nicht wichtig für ihn. Wichtig ist nur, dass es endlich wieder aufhört. Seit Mitte, vielleicht auch Ende Oktober, bekommt der Mann aus Ahrensburg widerliche Post ins Haus geschickt. Aus Schmähungen werden Beleidigungen, aus Beleidigungen werden Drohungen. Eine Schlinge ist auch dabei, versehen mit der Bitte, dem Absender die Arbeit abzunehmen.
Wer dieser Absender oder diese Absenderin ist – Stephan Lamprecht weiß es nicht. Er ahnt, dass er diese Person kennt. Er hat das Gefühl, es müsse jemand sein, dem er schon begegnet ist. Dieser Jemand zerrüttet gerade Stephan Lamprechts Leben. Warum er oder sie das tut? Vermutlich wegen der sexuellen Orientierung des 55 Jahre alten Mannes: Der Kommunalpolitiker der Ahrensburger Grünen definiert sich als queer. Dieser Fall ist extrem, er steht zugleich aber beispielhaft für das, was Kommunalpolitiker ertragen müssen.
„Die ersten Briefe an mich waren nur beleidigend. Ich habe gedacht, okay, vermutlich bin ich jetzt mal dran“, sagt Lamprecht. Zunächst nimmt er die unflätigen Beschimpfungen nicht weiter ernst. Das wird sich ändern.
Queerer Politiker aus Ahrensburg bedroht: Die Machart ist immer dieselbe
Der Fall verlässt das Private, das Intime, das eigentlich niemand anderen etwas angeht. Der anonyme Schreiber – der Lesbarkeit wegen bleiben wir hier bei der männlichen Form – schreibt den Pastoren der Kirchengemeinde, in der sich Lamprecht engagiert, und diffamiert den 55-Jährigen. Er meint, den Geistlichen mitteilen zu müssen, dass ihr Kirchengemeinderatsmitglied ein queerer Mensch sei. Er formuliert das anders. Mit dieser sexuellen Ausrichtung sei Lamprecht völlig ungeeignet für ein Kirchenamt, heißt es im Brief. „Seit der Zeit am Gymnasium habe ich aus meiner Orientierung keinen Hehl gemacht. Für die Menschen aus meinem direkten Umfeld ist das keine Neuigkeit“, sagt Lamprecht.
Die nächsten Briefe gehen an eine Freundin und an eine Bekannte. Die Machart ist immer dieselbe: anonym, überfrankiert, sodass der Brief ja ankommt, getippt. „In den Briefen hieß es, meine Freundin – sie hat einen kleinen Sohn – sei eine schlechte Mutter. Denn eine gute Mutter würde ihrem Kind nicht erlauben, Kontakt zu jemandem wie mir zu haben“, sagt Lamprecht. All das bestärkt ihn in der Annahme, dass er den Absender kennen muss.
Aus einer Mail: „Traust Du Dich noch raus?“
Von Mal zu Mal wird es schlimmer. Lamprecht wird in den Briefen beschimpft und verunglimpft, beleidigt werden aber auch Menschen, nur weil sie auf Instagram mit ihm Kontakt haben. Von da an eskaliert es schnell. Nach der ganzen Briefpost trifft jetzt auch die erste Furcht einflößende Mail ein. Sie ist wohlüberlegt – Absender ist eine Wegwerf-Adresse auf einem Server im Ausland. Ein Albtraum für Ermittlungsbehörden. „Traust Du Dich noch raus?“, droht der Absender Lamprecht, der sich als Stadtverordneter auch kommunalpolitisch in Ahrensburg engagiert, in der ersten E-Mail. „Dich will hier keiner.“
Inzwischen hat das Kommissariat 5 der Lübecker Polizei den Fall übernommen. Die Ermittler gehen drei Strafanzeigen nach: einer wegen Bedrohung, einer wegen übler Nachrede, einer wegen Beleidigung. Wie der Stand ist und ob es Hinweise auf den Täter gibt – dazu schweigt die Polizei mit Hinweis auf die laufenden Ermittlungen
Im Umschlag liegt eine Schlinge
Kurz vor einem Empfang der Stadt trifft die nächste Mail an. Tenor: „Dich will keiner bei dem Treffen sehen. Traue Dich nicht, hinzugehen.“ Zu dem Zeitpunkt wird Lamprecht klar, dass er etwas unternehmen muss. Er veröffentlicht einen Screenshot der Mail auf Instagram, macht sich öffentlich über den Absender lustig. „Willst du mit mir reden und mich freundlich kennenlernen? Dann haben wir ein Date.“ Freunde reagieren solidarisch. Eine Freundin schreibt etwa, dass ein solcher Umgang in Ahrensburg keinen Platz habe.
Die Schreiben bleiben beleidigend, werden aber politischer. Die Rede ist davon, dass er in der Stadtverordnetenversammlung nichts zu suchen habe. „,Du bist eine Schande, ein Auswuchs am Volkskörper. Leg‘ Dein Mandat nieder‘, wurde ich aufgefordert“, erinnert sich Lamprecht. Irgendwann wechselt der Absender von der Mail zurück zur Briefpost. Das hat einen Grund.
Panikattacke nach Bedrohung
In Lamprechts Briefkasten liegt ein Umschlag, verpackt wie Geschäftspost. Er denkt an ein Warenmuster. Stattdessen ist es eine Schlinge: Er solle sich als „Demokratieverräter“ am nächsten Baum aufhängen, heißt es. Das würde ihm die Arbeit ersparen, schreibt der Absender. „Was das mit dir macht, können sich Menschen nicht vorstellen, die das nicht erlebt haben. Der Kopf sagt dir zwar, das ist Kraftmeierei, mehr nicht. Dennoch habe ich eine Panikattacke erlitten.“ Die Drohungen machen Lamprecht krank. Er sucht Hilfe bei einem Psychologen.
Im Februar hat Lamprecht die Partei gewechselt, ist von der SPD zu den Grünen gegangen. Das sei ein längerer Ablösungsprozess auf kommunaler Ebene gewesen, sagt er. Das Mandat hat er mitgenommen. Das sei „Verrat am Volk“, kommentiert der Mensch, der Lamprecht seit Monaten bedroht. Wäre er den „sauberen Weg“ gegangen und hätte das Mandat mit dem Parteiwechsel niedergelegt, hätte es ausgesehen, als habe der Absender gewonnen, sagt Lamprecht. Das wollte er nicht zulassen.
Lamprecht fragt sich: Kennt er den Täter?
Kennt er den Täter? Ist es jemand aus dem Bekanntenkreis? Er scheint zu wissen, dass Lamprechts beste Freundin einen kleinen Sohn hat. Er muss die drei zusammen an einem bestimmten Sonnabend in Ahrensburg bei einer Demonstration gegen rechts gesehen haben. Jedenfalls hat er das in einem der Drohbriefe erwähnt. Er muss auch wissen, dass Lamprecht mit einer Mitarbeiterin der Stadtverwaltung befreundet ist - auch sie hat Post erhalten. Einen konkreten Verdacht hat Lamprecht nicht. „Der Täter oder die Täterin ist zwar anonym – aber kein Unbekannter. Das verunsichert mich noch mehr. Es kann fast jeder sein.“
Spätestens seit der perfiden Drohung mit der Schlinge nimmt die Polizei den Fall „sehr ernst“, beschließt Schutzmaßnahmen. In dieser Situation trifft die „allerletzte Warnung“ ein. Die Folge: Die Ahrensburger Stadtverordneten müssen erstmals unter Polizeischutz tagen. Ein Kommunalparlament – bewacht von der Staatsmacht.
Stephan Lamprecht macht die Drohungen öffentlich
Das Perfide an Bedrohungen wie die gegen Lamprecht ist: Setzt sich der Betroffene öffentlich dagegen zur Wehr setzt, muss er Informationen aus dem persönlichen Lebensbereich preisgeben. Lamprecht entscheidet sich dennoch für diesen Weg. In der kleinen Rede, vielleicht sind es zwei, vielleicht drei Minuten, wendet er sich in einer Sitzung der Stadtverordneten direkt an den Absender. Er werde sich nicht zurückziehen, nicht klein beigeben, sagt Lamprecht. War der Absender dabei und hat die kleine Rede gehört? Die Reaktionen tun Lamprecht gut, die Stadtverordneten stehen parteiübergreifend auf, klatschen, muntern ihn auf. Ihre Botschaft lautet: Wir akzeptieren diese Bedrohung nicht. Bürgermeister Eckart Boege spricht von der „richtigen Antwort und dem richtigen Signal“.
Danach wird es eher still um den Stadtverordneten Lamprecht. Natürlich hat es ihn auch zuletzt gereizt, sich in die Debatten im Kommunalparlament einzuschalten. Nur: getraut hat er sich nicht. „Mir hat der Mut gefehlt, mich ans Pult zu stellen.“ Lamprecht fängt an, sich anders zu verhalten. Er erträgt es nicht mehr, in einer Gruppe zu stehen und Menschen im Rücken zu wissen. Es fällt auch anderen Leuten auf, dass er sich häufig und hektisch umdreht. Früher sei es ihm egal gewesen, wenn die Eingangstür des Mehrfamilienhauses erst zufällt, wenn er längst auf dem Weg nach oben ist, sagt Lamprecht. Heute wartet er hinter der Tür, bis sie schließt. In der Stadtverordnetenversammlung sitzt er, obwohl der Platz ihm eigentlich gar nicht zusteht, in der ersten Reihe. So weiß er Kollegen hinter sich, dann erst kommt das Publikum. „Mein Kopf sagt mir, dass niemand aufstehen und mir ein Messer in den Rücken rammen wird. Nur: Das ist die Sachebene, emotional und psychologisch ist das aber völlig anders“, sagt der Lokalpolitiker.
Ehrenamtliche Politiker tagen unter Polizeischutz
Auch die jüngste Stadtverordnetensitzung hat mit Normalität nichts zu tun. Statt der Polizei beschützt jetzt ein Sicherheitsunternehmen die ehrenamtlichen Politiker. Wie es in der kommenden Sitzung weitergeht? Bürgermeister Boege weiß es nicht. „Ob wir Ende April wieder unter Schutz tagen, entscheiden wir kurzfristig nach Absprache mit der Polizei“, sagt der SPD-Politiker. „Herr Lamprecht soll sich so gut es geht sicher fühlen.“
SPD-Politiker Boege und Bürgervorsteher Benjamin Stukenberg von den Grünen solidarisieren sich öffentlich und nach Rücksprache mit dem Betroffenen mit Stephan Lamprecht. „Das erklärte Ziel der widerwärtigen verbalen Angriffe auf Herrn Lamprecht ist sein Rückzug aus der Kommunalpolitik und seinem kirchlichen Ehrenamt. Der Einschüchterung von Kommunalpolitikern und anderen Ehrenamtlichen stellen wir uns entschlossen entgegen. Jegliche Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung hat in Ahrensburg nichts verloren“, schreiben sie. Die Drohungen seien auch ein Angriff auf die Menschenwürde und Menschenrechte. „Sie sind ein Angriff auf die Demokratie!“
Kommunalpolitiker solidarisieren sich mit Lamprecht
Boege und Stukenberg richten sich auch direkt an das Opfer: „Lieber Herr Lamprecht, es tut uns von Herzen leid, was Sie in den letzten Wochen und Monaten ertragen mussten. Es ist erschütternd und beschämend, dass Sie solchen Angriffen und Beleidigungen ausgesetzt sind. Sie sind nicht allein. Wir stehen an Ihrer Seite!“, solidarisieren sie sich. Zuvor hatte auch Bürgervorsteher Stukenberg einen Hetzbrief in der Post. Er solle Lamprecht aus dem Stadtrat entfernen, heißt es darin. Bürgermeister Boege hat ebenfalls Post erhalten. Auch hier der Tenor: Lamprecht sei moralisch verwerflich, krank und pervers.
Der Fall ist längst ein Politikum auf Landesebene. In einem gemeinsamen Antrag an den schleswig-holsteinischen Landtag fordern alle fünf Fraktionen (CDU, Grüne, SPD, FDP und SSW) null Toleranz bei Drohungen, Schmähungen und Verunglimpfungen. „Derartige Verhaltensweisen sind nicht Teil einer demokratischen Auseinandersetzung. Sie haben in einem auf Meinungspluralität und wechselseitiger Toleranz ausgerichteten Gesellschaft keinen Platz. Gleichgültig, ob es um Farbattacken oder Drohmeldungen geht, die sich auf Meinungsäußerungen und politische Ansichten oder den Lebensstil, die Weltanschauung oder die sexuelle Orientierung von gewählten, ehrenamtlich tätigen Kommunalpolitikerinnen oder Kommunalpolitikern beziehen, sind solche Angriffe auf jeden Menschen, aber eben auch auf gewählte Mandatsträgerinnen und Mandatsträger, nicht zu tolerieren“, heißt es in dem Entschließungsantrag.
Zahl der Fälle drastisch erhöht
Angriffe wie die auf Stephan Lamprecht seien eine ernste Bedrohung nicht nur für die Betroffenen, sondern das gesamte demokratische Gemeinwesen, auch weil es Menschen abschrecken soll und kann, sich in politische Meinungsbildungsprozesse einzubringen. Der Landtag werde nicht zulassen, dass in „Schleswig-Holstein ein Klima der Angst und Einschüchterung entstehen kann“, heißt es in dem Antrag aller Landtagsfraktionen.
Nur: In Ahrensburg, bei Stephan Lamprecht, ist dieses Klima längst entstanden.
Vor gerade einmal sechs Jahren musste sich der Staatsschutz der schleswig-holsteinischen Polizei mit 25 Fällen von Drohungen oder Gewalt gegen Politiker befassen. Die Zahlen sind zuletzt auf 93 Straftaten (2021) und dann auf 95 im Jahr 2022 hochgeschnellt. Dabei ging es vor allem um Beleidigungen (§ 185 Strafgesetzbuch) sowie üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens (§ 188 StGB). In fünf Fällen ermittelte die Polizei die Täter im linken politischen Spektrum, 15 Fälle verordnete sie in der „politisch motivierten Kriminalität rechts“. In den meisten Fällen blieb der Hintergrund unklar. Neben den Drohungen gegen Stephan Lamprecht in Ahrensburg berichtet das Kieler Innenministerium von einem Vorfall zuletzt im Kreis Pinneberg. Hier war die Wohnungstür eines CDU-Politikers besprüht worden.
CDU-Ministerin: Besorgniserregende Entwicklung
Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack spricht von einer „besorgniserregenden Entwicklung“. Die Landespolizei gehe konkreten Gefährdungsmomenten und -hinweisen konsequent nach und treffe nach einer Gefährdungsanalyse die „notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Mandatsträgerinnen und Mandatsträger“. Aus Sicht der CDU-Politikerin ist es „unbegreiflich, wie man Menschen angreifen kann, die sich ehrenamtlich engagieren und sich damit für unsere Gesellschaft einsetzen. Wenn Hass und Hetze dazu führen, dass Politikerinnen und Politiker ihre Arbeit eingeschränkt sehen oder sogar ihr Amt oder Mandat nicht mehr ausüben möchten oder können, ist es an uns allen, Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern, unsere pluralistischen Meinungen und letzten Endes damit auch unsere Demokratie zu schützen“, sagt Sütterlin-Waack.
Das Land hat Maßnahmen zum Schutz von Amts- und Mandatsträgern getroffen. So gibt es zum Beispiel seit knapp einem Jahr eine Anlaufstelle zum Schutz von ehren- wie hauptamtlichen Kommunalpolitikern und von Mitarbeitern in Kommunalverwaltungen. Die ist beim Landespräventionsrat angebunden und steht Betroffenen bei Bedrohungen zur Seite.
Was Stefanie von Berg erleben musste
Öffentliche Solidarität. Konkrete Hilfe. Breite Unterstützung. All das hätte Stefanie von Berg gut gebrauchen können, als der Sturm in der Zeit des ersten großen Flüchtlingszustroms 2015/2016 über sie hereinbricht. Zu dem Zeitpunkt ist von Berg, die heutige Bezirksamtsleiterin von Altona, Abgeordnete der Grünen in der Hamburgischen Bürgerschaft. Zweimal spricht sie im Landesparlament innerhalb kurzer Zeit über eine Studie zur Migration. Darin war herausgearbeitet worden, dass bei gelungener Integration Städte mit großer Zuwanderung perspektivisch wirtschaftlich überlegen sein dürften. „Meine Aussage war, dass es in 20 bis 30 Jahren keine ethnischen Mehrheiten mehr gebe. Auf das Grummeln der AfD entgegnete ich dann: Und das ist gut so. Daraus hat die AfD-Fraktion bei Facebook gemacht: ,Von Berg lässt Maske fallen und findet es gut, dass die Deutschen bald in der Minderheit sind.‘“ Darauf bricht in Windeseile ein internationaler Shitstorm los. Drohungen kommen aus Russland, den USA, Frankreich, Belgien, Polen und aus Deutschland.
Als Wahlkreisabgeordnete hatte die grüne Politikerin ihre Mailadresse, die Postanschrift und private Telefonnummer öffentlich gemacht. Das wird ihr zum Verhängnis. Von Berg wird auf allen Kanälen übelst beschimpft und bedroht. Am schlimmsten sind die Anrufe zu Hause. „Am 30. Dezember klingelte das Telefon, mein Sohn nahm ab. ,Das wird ein Schicksalsjahr für deine Mutter‘, wurde ihm gedroht.“ Polizeischutz bekommt von Berg trotzdem nicht. Sie fühlt sich komplett allein. Erst eine befreundete Anwältin hilft pro bono. Stück für Stück werden die sicheren Fälle zur Anzeige gebracht. „Alle Absender haben Strafbefehle bekommen. Zweien, die Widerspruch eingelegt hatten, bin ich später vor Gericht begegnet. Die sind jetzt vorbestraft“, sagt von Berg.
Erst eine Therapie hilft der Politikerin
In einer Mail heißt es, dass sie eines Nachts überfallen werde. „Und dann ist Stille“, steht darin. Das ist der Satz, der ihr und ihrer Familie am meisten Angst macht. Von Berg fühlt sich draußen nicht mehr wohl und sicher, kann nicht mehr schlafen, macht eine Psychotherapie, um die Angst zu bekämpfen. „Die Bedrohungen aus dieser Zeit konnte ich so im Großen und Ganzen verarbeiten. Aber irgendwas bleibt zurück. Die Selbstverständlichkeit, angstfrei durch Hamburg zu laufen und mein Haus zu betreten, ist weg. Ich habe durch die Therapie aber gelernt, damit zu leben“, sagt die Politikerin offen.
Wie der Ahrensburger Kommunalpolitiker Stephan Lamprecht aktuell, sah sich auch von Berg damals in einer Opfer- und Defensivrolle. Deshalb sei die Ermittlung der Täter und deren Verurteilung so wichtig gewesen. „Dabei geht es nicht um Genugtuung, sondern um das Gefühl, dass Recht gesprochen wird. Das hat mir aus der Opferrolle herausgeholfen.“
Queerer Politiker in Ahrensburg bedroht: „Ich will nicht, dass der gewinnt“
Die konkreten Bedrohungen mit Tod oder Vergewaltigung sind Vergangenheit, unerfreuliche Beschimpfungen per Mail, über Messengerdienste oder die Plattform X erlebe sie aber immer noch. Nur könne sie mittlerweile viel besser damit umgehen, sagt die Grüne, die 2018 ihr Mandat niedergelegt hatte. Das habe sie aber nicht wegen der Bedrohungen getan. „Einen Rücktritt hatte ich überlegt, dann hätten die aber gewonnen“, sagt Stefanie von Berg. Das wollte sie nicht zulassen.
Auch Stephan Lamprecht haben die Drohungen spürbar, sichtbar und nachvollziehbar mitgenommen und belastet, sagen Menschen, die ihn gut kennen. Aufgeben will auch er nicht. „Ich werde nicht schweigen, und ich werde mich nicht einschüchtern lassen. Ich werde keines der Mandate niederlegen. Ich will nicht, dass der gewinnt.“
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Wenn Stephan Lamprecht, der queere Mann mit den bunt lackierten Fingernägeln, einen Wunsch frei hätte, wäre es der, dass endlich alles aufhört, dass er sein altes Leben zurückbekommt. Die Kirsche auf der Torte, so formuliert er es, wäre, wenn man den Täter ermitteln könnte. „Und die Super-Kür wäre die Verurteilung.“