Geesthacht. Zehn Planstellen sind in Geesthacht unbesetzt. Zwei Gesundheitsexperten nennen Gründe für die Misere. Auch die Bahn hat damit zu tun.

Zehn Planstellen für Hausärzte sind unbesetzt in Geesthacht. Wie bloß lassen sich weitere Mediziner für eine Tätigkeit vor Ort gewinnen? Darum ging jetzt es im Sozialausschuss. Als Gäste sprachen zum Stand der Dinge Vorstand Dr. Monika Schliffke von der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein und Geschäftsführer Markus Knöfler vom Praxisnetz Herzogtum-Lauenburg. Das Fazit, das sich nach ihren Berichten ziehen lässt, fällt düster aus für den Standort. Die Chancen stehen schlecht, dass sich die Lage zumindest kurzfristig verbessert.

Zehn Stellen entsprächen laut Markus Knöfler „in der medizinischen Denkweise“ der Versorgung von bis zu 17.000 Menschen. Grund für die Misere ist laut der Gesundheitsexperten eine Mischung aus externen Faktoren, für die Geesthacht nichts kann, und hauseigenen Versäumnissen.

Zehn Planstellen für Hausärzte unbesetzt – kaum Chancen, Mediziner nach Geesthacht zu holen

So kritisierte Markus Knöfler, dass ES im Zuge des Wohnungsbaus keine entsprechenden Anpassungen auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge gegeben habe. Da habe es kein Konzept gegeben. „Kommunalverwaltung hat eben auch die Aufgabe, Infrastrukturen mitzuplanen und mitzudenken. Und da stehen wir jetzt – mit zehn freien Zulassungen“, sagt er.

Eine dieser Planstellen zu übernehmen, sei für einen Arzt ein Start bei null, erklärte er. Die Investitionskosten für eine Praxisausstattung taxiert er auf 120.000 Euro. Es dauere zwei Jahre, eine nagelneue Praxis hochzufahren, bis man auf dem finanziellen Level sei, wo man wäre, wenn man eine bestehende Praxis übernommen hätte.

Eine Praxisübernahme ist deutlich attraktiver als eine neue Planstelle zu übernehmen

„Und das kostet heutzutage nichts mehr. Es führt am Ende dazu, dass zehn Plätze eben offen blieben, weil es attraktivere Angebote gibt“, sagt Markus Knöfler. So dürfte eine Praxisübernahme in Wentorf etwa kürzlich bei unter 10.000 Euro gelegen haben, schätzt er.

„Wir kriegen gewisse Stellen nur noch mit einem Headhunting und Personalberatung besetzt. Das müssen wir gedanklich auch auf das Thema hier übertragen“, meint Markus Knöfler. Sein Vorschlag: Die Schaffung einer speziellen Vollzeitstelle für einen „Ärztelotsen“, angesiedelt bei der Wirtschaftsförderung. So wurde es in Soest gemacht, nennt er ein Beispiel. In vier Jahren konnten 25 Ärzte angesiedelt werden.

Ein Ärztelotse kann kommen – wenn es der Kreis bezahlt

Der Vorschlag stößt bei Melanie Grimm-Meyer, Geesthachts Erste Stadträtin, auf offenen Ohren. „Ein Arztlotse könnte einen positiven Einfluss auf die Entwicklung haben. Grundsätzlich ist dazu aber zu sagen, dass das Thema Gesundheit beim Kreis liegt. Für die Stadt Geesthacht würde das eine zusätzliche Stelle im Bereich freiwillige Leistungen bedeuten. Der Arztlotse ist im Kreis Soest bei der Wirtschaftsförderungsabteilung angesiedelt und kreisweit tätig. Eine Einrichtung einer solchen Stelle auf Kreisebene würden wir selbstverständlich begrüßen“, sagt sie.

Weitere Probleme erschweren die Situation. Zwei sind Dauerbrenner, bekannt auch aus anderen Bereichen. Da ist zum einen der fehlende Bahnanschluss. „Viele Ärzte haben Hamburg als Mittelpunkt. Kita, Schule, das ist alles okay in Geesthacht, da habe ich nie etwas Negatives gehört. Aber kein Bahn-Anschluss, das ist schon bedeutsam. Mobilität spielt eine große Rolle, mehr als in früheren Zeiten“, berichtet Monika Schliffke.

Enormer Fachkräftemangel auch bei Medizinern

Das zweite große Problem: „Wir haben einen enormen Fachkräftemangel bei Ärzten, die Lücken werden immer größer“, erklärt Monika Schliffke. Ambulante Stellen seien zunehmend unattraktiv geworden. Ärzte könnten sich aussuchen, wo sie arbeiten wollen. Bei diesem Wettbewerb sei Geesthacht nicht attraktiv genug.

Die größten Praxen in Geesthacht sind das MvZ an der Elbe mit sechs Hausarztstellen und das Hausarztzentrum mit 5,75 Stellen. In der Summe der Zulassungen gibt es in Geesthacht 18,75 Stellen. Im Schnitt fallen in Schleswig-Holstein pro Praxis 950 Fälle im Quartal an, der Stamm einer Praxis liegt jeweils etwa bei 1700 Patienten.

Gesundheitskioske sollen die medizinische Versorgung auch ohne weitere Ärzte verbessern

Bleibt noch ein Hoffnungsschimmer, um die medizinischen Leistungen vor Ort auch ohne Ärzte verbessern zu können – und zwar mit sogenannten Gesundheitskiosken. „Nicht als Ersatz für medizinische Versorgung, nur als Ergänzung“. Gesundheitsminister Karl Lauterbach plant bundesweit 1000 Kioske. Das Vorbild ist seit 2017 erfolgreich in Hamburg an fünf Standorten unter anderem in den Stadtteilen Billstedt und Horn. Das Konzept soll bundesweit ausgerollt werden. Speziell geschulte Fachkräfte aus Gesundheitsberufen – keine Ärzte – sollen dann niedrigschwellig Beratung anbieten über Krankheiten, Therapien und einen gesunden Lebensstil, medizinische Routineaufgaben durchführen wie das Messen von Blutdruck und Blutzucker, Verbandswechsel, Wundversorgung und – veranlasst von Medizinern – Injektionen durchführen.

Kommunen entscheiden über Einrichtung eines Gesundheitskiosk

Die Finanzierung teilen sich die Kommunen (20 Prozent), gesetzliche (74,5 Prozent) und private Krankenversicherung (5,5 Prozent). Denn auch Privatversicherte sollen das Angebot in Anspruch nehmen können. Das Initiativrecht zur Errichtung solch eines Kioskes liegt bei den Kommunen, sie entscheiden über die Errichtung. Melanie Grimm-Meyer ist skeptisch, dass die Einführung der Kioske der Stadt schnell helfen wird. „Wie Herr Knöfler dargestellt hat, ist geplant, zunächst 30 Gesundheitskioske bundesweit einzurichten. Die Chance, dass Geesthacht dabei zum Zug käme – so sagte es auch Herr Knöfler – ist sehr gering“, ordnet sie die Sache ein.

Erste Stadträtin: „Handlungsrahmen der Stadt ist begrenzt“

„Wir haben uns stark eingebracht, damit das MVZ bleibt und zwei weitere Ärzte eingestellt werden. Und wir werden auch weiterhin dabei unterstützen und dafür werben, dass die medizinische Versorgung in Geesthacht ausgebaut wird“, betont Bürgermeister Olaf Schulze. „Wenn es möglich ist, werden wir auch versuchen, individuelle Lösungen zu finden.“

Melanie Grimm-Meyer stellt heraus: „Der Handlungsrahmen der Stadt im Zusammenhang mit der Verbesserung der ambulanten Versorgung ist begrenzt. Selbstverständlich sind und bleiben wir in Kontakt mit den maßgeblichen Akteuren. Wichtig ist es, immer auf die Standortvorteile hinzuweisen, die für eine Niederlassung auf eine der freien Hausarztstellen in Geesthacht sprechen. Die Rahmenbedingungen sind gut.“

Fast hätte es im vergangenen Jahr mit dem Zuzug von zwei Ärztinnen geklappt

Aber ob das erfolgversprechend ist? Die Nachfrage bezüglich der offenen Stellen war zuletzt mau. Im vergangenen Jahr hätten sich vier Ärzte für eine Niederlassung in Geesthacht interessiert, berichtete Monika Schliffke. Die Mediziner wollten jeweils als Zweier-Teams in Geesthacht praktizieren. Das eine Duo erkundigte sich zunächst über die Gegebenheiten in der Stadt, sprang dann wieder ab, ohne dass es konkret wurde.

Zwei Ärztinnen zeigten weitergehendes Interesse, eine von den beiden wollte aber als Kardiologin arbeiten. Diese Facharztstelle ist jedoch bereits belegt. Weil sie zwingend gemeinschaftlich arbeiten wollten, sagten schließlich beide ab.

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Da der Versorgungsgrad im Versorgungsbezirk Geesthacht derzeit bei 91 Prozent liegt, ist die KV vorerst nicht unter Druck, selbst tätig werden zu müssen. Erst bei einer Unterversorgung – 75 Prozent im hausärztlichen Bereich – wird der Betrieb einer Eigeneinrichtung zur Pflicht.