Geesthacht. Nirgends ist die Hausarzt-Versorgung in Schleswig-Holstein so schlecht wie in und um Geesthacht. Was Patienten tun können.
Dass ihre HausärzteDr. Jörg Stüber und Dr. Hartmut Klaus im Juni in den wohlverdienten Ruhestand gehen werden, haben Dieter (71) und Angelika Parlow (67) in einem Bericht unserer Redaktion erfahren. 30 Jahre lang waren sie Patienten in der Praxis, die vor zehn Jahren das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) der Johanniter wurde. Sofort griffen sie zum Telefon, um sich nach einem neuen Hausarzt umzuhören. Denn, so Angelika Parlow: „Ich muss am Tag acht Tabletten nehmen, und die bekomme ich nur auf Rezept.“
Doch die Parlows handelten sich in der Stadt, aber auch in Schwarzenbek nur Absagen ein. Einem Großteil der 2600 Patienten von Dr. Stüber und Dr. Klaus dürfte es ähnlich ergehen. In Geesthacht nimmt aktuell kein Hausarzt Patienten auf. Folge: „Hier ist fast schon Panik ausgebrochen“, wählt Karl Hermann Rosell markige Worte. Wie unsere Redaktion ist auch der CDU-Ratsherr mehrfach auf den Missstand angesprochen worden. Rosell weiß von Geesthachtern, die bei Hausärzten von Bergedorf bis Lauenburg und Schwarzenbek bis Marschacht vergeblich angerufen haben.
Geesthachter Hausarztpraxen nehmen keine Patienten auf
Wir haben den Test gemacht und bei fünf Geesthachter Praxen nachgefragt, in denen der Großteil der verbleibenden 18 Hausärzte arbeitet. Im Hausarztzentrum an der Bohnenstraße kann man sein Anliegen zwar auf den Anrufbeantworter sprechen, allerdings folgt einige Minuten später die Enttäuschung in Form einer SMS. Inhalt: „Zurzeit nehmen wir keine neuen Patienten auf. Danke für das Interesse an unserer Praxis.“
Eine Sprechstundenhilfe von Hausärztin Cornelia Warnecke entschuldigt sich: „Wir sind bereits völlig ausgelastet.“ Ähnliche Antworten kamen von dem MVZ an der Elbe und der Praxis Wanzenberg in Grünhof. Immerhin: Etwa 100 Patienten von Dr. Stüber/Dr. Klaus kamen in der Praxis Tyroff/Westphal unter, dann war hier auch die Kapazitätsgrenze erreicht.
Stadt verweist an KVSH, deren Möglichkeiten sind begrenzt
In seine Not wandte sich das Ehepaar Parlow direkt an die Stadt Geesthacht. Nach der zweiten E-Mail kam die Rückmeldung, sie sollten sich doch bitte an die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) wenden. Die KVSH ist – im Rahmen der gesetzlichen Gegebenheiten – zuständig dafür, ein ausreichende ärztliche Versorgung in Geesthacht zu sichern.
Allerdings ist der Planbereich zu dem auch Lauenburg, Schwarzenbek und die Ämter Hohe Elbgeest, Schwarzenbek-Land und Lütau gehören, mit elf unbesetzten Stellen der am schlechtesten versorgte Bereich in Schleswig-Holstein. Der Versorgungsgrad beträgt hier nur 90 Prozent. „Ideal wäre eine Auslastung von 110 Prozent“, sagt KVSH-Sprecher Marco Dethlefsen. Die Lage in Lauenburg ist ähnlich prekär.
Finanzielle Anreize allein reichen nicht aus
Die KVSH nennt diesen Zustand „dramatisch“. Gleichwohl seien ihre Möglichkeiten begrenzt. „Wir können die Ärzte ja nicht zwingen, sich in einem bestimmten Gebiet niederzulassen.“ Anreize, um sich in bestimmten Gebieten anzusiedeln, bietet die KVSH. Die Konzentration liegt aktuell auf Teampraxen. „Die hausärztliche Versorgung kann in Zukunft nur durch größere Strukturen aufrechterhalten werden“, heißt es seitens der KVSH. So wird bei Neugründung einer Teampraxis eine Vollzeitstelle mit bis zu 30.000 Euro bezuschusst, bei einer Praxis-Erweiterung gibt es 20.000 Euro, und für eine nichtärztliche Assistenz gibt es immerhin noch 10.000 Euro.
Doch weder diese Finanzspritze noch die von der Geesthachter Verwaltung auf Anraten der KVSH geschaltete Werbung für die Stadt auf der Internetseite der kassenärztlichen Vereinigung waren bislang von Erfolg gekrönt. Für den in Ruhestand gehenden Dr. Stüber, der in diesem Jahr 80 Jahre alt wird – sein Kollege Dr. Klaus ist 77 – ist es ein strukturelles Problem. Ein Hausarzt muss heute viel Zeit in die Dokumentation seiner Behandlung und andere bürokratische Dinge investieren, stets die neueste kostspielige dazugehörige Software vorhalten und ist auch nicht mehr bereit, 60 Stunden und mehr pro Woche zu arbeiten. „Das schreckt junge Ärzte ab“, sagt Dr. Stüber.
Patientenservice 116 117 kann auch nicht helfen
Unterstützung bei der Arztsuche leistet der Patientenservice, der unter der Rufnummer 116 117 erreichbar ist. Dort erfährt der Anrufer jedoch auch: „In Geesthacht sind derzeit keine Hausärzte verfügbar. Wir würden sie an einen Arzt im Umkreis vermitteln.“ Patienten können auch ihre Krankenkasse um Hilfe bei der Arztsuche bitten. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen?
Die Johanniter werden die Kassenarztsitze aus ihrem MVZ an die KVSH zurückgeben. „Trotz intensiver Bemühungen ist es nicht gelungen, Nachfolger zu finden. Zuletzt hatte eine mögliche Nachfolgerin Anfang März 2023 abgesagt“, teilen die Johanniter mit, die Patienten ebenfalls empfehlen, sich an die KVSH zu wenden.
Erhöhung der Studienplätze und bessere Bedingungen die Lösung?
Zum allgemeinen Ärztemangel sagen die Johanniter: „Die ausgebildeten Ärzte kommen in ein berufliches Umfeld, in dem sie zwischen attraktiven und weniger attraktiven Arbeitsplätzen wählen können. Kassenarztsitze, die als unattraktiv eingeschätzt werden, bleiben damit unbesetzt. Erforderlich für die Lösung des Problems wäre also eine Erhöhung der Anzahl der Medizinstudienplätze und eine Verbesserung der Konditionen für Kassenärzte.“
Hier wiederum ist die Politik gefordert. Wie das Problem generell zu lösen wäre, das weiß Karl Hermann Rosell von der CDU auch noch nicht. „Ich habe noch keine Antwort gefunden“, sagt er. Allerdings wiederholte er seine Forderung, dass im letzten Bauabschnitt der Geesthachter Hafencity Räume für ein neues MVZ geschaffen werden sollen. Nur: Räume für Ärzte gibt es in der Stadt genug. Das allein löst das Problem nicht.
Bürgermeister und Landrat wollen aktiv werden
Geesthachts Bürgermeister Olaf Schulze hat indes angekündigt, gemeinsam mit Landrat Christoph Mager das Gespräch mit der KVSH suchen zu wollen. Unterstützung bei der Suche nach Wohnraum und einem Kitaplatz würde Geesthacht ohnehin schon leisten.
In akuten Fällen können Bürger auch den ärztlichen Bereitschaftsdienst der KVSH im Johanniter Krankenhaus aufsuchen. Sprechzeiten sind unter der Woche von 19 bis 21 Uhr (Montag, Dienstag, Donnerstag) sowie von 17 bis 21 Uhr am Mittwoch, Freitag und an Wochenende und Feiertagen. Am Wochenende und Feiertag zudem von 10 bis 13 Uhr. Für Patienten, die nicht mobil sind, gibt es einen fahrenden Dienst. Dieser ist auch über 116 117 erreichbar.
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Angelika und Dieter Parlow aus Hamwarde hatten derweil doch noch Glück, sie sind inzwischen in einer Praxis in Altengamme untergekommen. „Da ist mir ein echter Stein vom Herzen gefallen“, sagt die 67-Jährige. Für ihre regelmäßigen Arztbesuche muss das Ehepaar nun eine 20-minütige Autofahrt antreten. Angelika Parlow: „Noch sind wir mit dem Auto gut unterwegs, aber wer weiß wie lange noch.“