Geesthacht. Keine Hoffnung mehr: Der 103 Jahre alte Baum in der Lichterfelder Straße in Geesthacht wird gefällt. Was Naturschützer wütend macht.
Das Schicksal der alten Linde bewegt die Geesthachter. Der 103 Jahre alte Baum in der Lichterfelder Straße gegenüber der Musikkneipe SmuX sollte am Donnerstag, 19. Oktober, der Säge zum Opfer fallen. Nun ist klar: Die Fällung des 1920 gepflanzten Baumes ist endgültig besiegelt. Eine Rettungsaktion von Anwohnern und des Biologen Friedhelm Ringe (Nabu) scheiterte in letzter Minute.
Die Galgenfrist endet gegen 12 Uhr, dann beginnen die Arbeiten. Das beauftragte Unternehmen hat vor dem traurigen Termin noch einen anderen Einsatz, deshalb lässt sich der Beginn nicht genauer bestimmen. Die Linde wird dann mithilfe eines Steigers Stück für Stück heruntergeschnitten. Das Firmenfahrzeug wird so weit wie möglich im Randbereich platziert. Für die Arbeiten sind etwa drei Stunden angesetzt. Während der Zeit der Fällung werden Halteverbote eingerichtet.
Geesthacht: Rettung der alten Linde gescheitert
In der Lichterfelder Straße stehen viele alte Gebäude, die Ende des 19. Jahrhunderts erbaut wurden. Die Allee der alten Linden stammt noch aus Zeiten der Dynamitfabrik in Düneberg. Die große Linde bei der Einfahrt zum Tierheim ist der wichtige Mittelteil des historischen Straßenbildes, in das nun eine Lücke gerissen wird. Sie ist 22 Meter hoch und wäre kerngesund – wenn sie nicht wiederholt von Lkws angefahren worden wäre.
Der letzte Fall ereignete sich am 22. August. Es war der Todesstoß. Ein etwas in den Straßenbereich ragender mächtiger Ast oberhalb des Stammes zersplitterte beim Aufprall mit dem Lkw. Die klaffende Wunde ist für den Baum derart gravierend, dass sich der Fachdienst Umwelt zur Fällung entschloss.
Noch nie so viele Baumschäden durch Lkw
Wegen dieses Vorfalles appelliert die Verwaltung erneut an Lkw-Fahrer, achtsam in den Straßen zu rangieren. Für den alten Baumbestand sei es schwierig, in den schmalen Straßen mit immer größeren Fahrzeugen zu überleben. Besonders mit Containern beladene Lkws sind ein Problem. Während früher eher Äste im unteren Stammbereich abgefahren wurden, liegen die Anfahrtsschäden nun immer öfter auch hoch oben im Kronenbereich. Noch nie habe es so viele Schäden an Bäumen wie zurzeit gegeben, klagte der FD Umwelt bereits im Sommer.
Besonders gefährliche Straßen für Bäume in Geesthacht sind Mühlenstraße und Hechtholz, die Rudolf-Messerschmidt-Straße und Am Spakenberg sowie enge Straßen wie die Waldstraße. Wenn ein Baum touchiert wird, sollte der Vorfall sofort gemeldet werden, um Folgeschäden an der Pflanze zu vermeiden.
Naturschützer fordert Schutzmaßnahmen für Bäume und Beete
Auch der Verursacher, der die alte Linde angefahren hatte, ist der Stadtverwaltung bekannt. Die Versicherung des Fahrzeughalters soll für den Schadenersatz herangezogen werden. „Und zwar erheblich und nicht einfach nur für ein paar Tausend Euro“, wettert Friedhelm Ringe.
Der Naturschützer ist aufgebracht über den Verlust. „Der Lkw-Verkehr ist teilweise rücksichtslos. Das geht gar nicht. Wie kann man den Baum beim Fahren nicht sehen?“ Friedhelm Ringe fordert mehr Schutzmaßnahmen für Straßenbäume und Beete. „Pflanzungen mit Krokussen der Aktion ,Geesthacht blüht auf‘ wurden auch schon überfahren“, berichtet er.
Die Anwohner verstehen nicht, warum es gleich zum Äußersten kommt
Auch Anwohner der Lichtenfelder Straße sind entsetzt, können nicht verstehen, dass es nun gleich zum Äußersten kommen muss. „Warum sägt man den beschädigten Ast nicht ab und beobachtet dann die weitere Entwicklung?“, fragt etwa Astrid Einhorn. Auch Hannelore Meder ist die alte Linde ans Herz gewachsen, das Schicksal „ihres“ Baumes lässt sie nicht kalt. Zusammen mit Friedhelm Ringe setzte sie sich für eine Rettung der Linde in letzter Minute ein. Die Zeit drängte.
Friedhelm Ringe machte vor Ort Fotos von den Verletzungen, sendete sie seinem Sohn für eine Einschätzung. Jens Ringe betrieb die Baumpflegefirma Baumringe, ist mittlerweile ein Spezialist für Bonsai-Bäume. Friedhelm Ringe zeigte sich anschließend überzeugt. „Den Ast kann man kappen“, meint er gegenüber unserer Zeitung. Hannelore Meder schickte am Vortag der Fällung am Mittwoch ein Gnadengesuch an den Fachdienst Umwelt.
Der Schaden geht tief in den Holzkörper hinein
„Man könnte den Stämmling zwar entfernen“, räumt Ulrike Stüber ein. Zu retten sei er nicht, der Schaden gehe tief in den Holzkörper hinein. Sie erklärt, warum der FD Umwelt trotzdem bei seiner Einschätzung bleibt: „Der Schaden befindet sich minimal oberhalb der Basis, wo sich die beiden Stämmlinge verzweigen. Das wäre dann eine Riesenschnittstelle genau an der Basis des anderen Stämmlings“, erläutert Ulrike Stüber. Die Stelle wäre zu groß, als dass die Linde sie heilen könnte.
So sei die Gefahr der Einfaulung ziemlich groß, der Baum hätte nicht wirklich eine Zukunftschance, ist Ulrike Stüber überzeugt. „Wenn die Linde irgendwo in einer stillen Parkecke stehen würde, hätte man es eventuell auf einen Versuch ankommen lassen können“, erklärt sie. Ab direkt an einer Straße gehe es auch um die Sicherheit wegen einer möglichen Umsturzgefährdung.
Zu viele Lastwagen – „die Straße ist überlastet“
Nicht anders sehe es aus, wenn die Äste komplett zu einer sogenannten Kopflinde zurückgeschnitten würden. Das Problem bei dieser Version: Dies müsste regelmäßig bei austreibenden Ästen wiederholt werden, damit der Baum nicht instabil wird. „Und die Gefahr des Auseinanderbrechens sei groß“, betont Ulrike Stüber. „Dann lieber nachpflanzen.“
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Dass ein neuer Baum exakt an die Stelle des alten gesetzt wird, gilt wegen der Unfallgefahr als unwahrscheinlich. In der Lichterfelder Straße wird gleich neben der Gewerbeansiedlungen gewohnt. Entsprechend oft rangieren große Fahrzeugen vor den Toren herum. Ein weiterer Baum in der Allee zeigt auf drei Metern Höhe blankes Holz am Stamm als Zeichen eines Unfalls. „Diese Straße ist überlastet“, findet Hannelore Meder. Sie will sich das traurige Schauspiel der Fällung heute nicht ansehen. Niemand hier will sich das antun.