Tostedt. In Tostedt kommt regelmäßig eine besondere Trauergruppe zusammen. Unsere Autorin durfte dabei sein – und hat berührende Momente erlebt.
Heute steht die Tür zum „Haus der Begegnung“ an der Poststraße in Tostedt weit offen. Wer dem Klappern von Tellern und Besteck folgt, steht schon bald im Raum, in dem Bernd Freiwald schon mal alles vorbereitet für das bevorstehende Treffen einer besonderen Trauergruppe: Sie besteht ausschließlich aus Männern besteht.
Außer dem freundlichen Hollenstedter sind noch zwei Herren im Raum: Willi und Karl-Heinz, der lieber Kuddl genannt werden möchte. Die beiden kennen sich seit dem ersten Treffen im April. Denn beide sind aus einem Grund an diesem Ort: Sie haben ihre Ehefrau verloren - und wollen oder können mit ihrer Trauer darüber nicht allein bleiben.
Kochen gegen den Kummer: Männer in Tostedt trauern um verstorbene Partnerin
Kuddl ist 89 Jahre alt und leidet stark unter Arthrose, so dass er die rechte Hand kaum noch bewegen kann und hauptsächlich wegen der Geselligkeit mit von der Partie ist. Nur allzu gern erzählt der gebürtige Hamburger aus seinem Leben. Um nicht einsam zu sein, zog er nach dem Tod seiner zweiten Frau in eine Wohnung des Betreuten Wohnens vom Herbergsverein. Dort bekommt er wöchentlich regelmäßig Besuch von Bernd Freiwald, der ihn auch motivierte, die Trauergruppe zu besuchen.
Neu dabei ist an diesem Tag Steffen. Erst vor drei Monaten hat er seine geliebte Frau nach einem langen Krebsleiden verloren. Langsam versucht er, seinen Lebensmut wiederzufinden. „Am schlimmsten ist das Alleinsein, ich kann mich zu nichts aufraffen“, berichtet er. Verständnisvolles Nicken rund um den Tisch. Sein größter Wunsch ist es, gemeinsam mit seiner jüngsten Tochter und deren Lebensgefährten in einem Haus zu leben.
Freude machen Steffen die Besuche der beiden Enkelsöhne
Dafür müsste das Dachgeschoss ausgebaut werden. Auch ein Treppenlifter könnte später mal installiert werden. Da hat Steffen sich schon schlau gemacht, denn seit einer Knie-OP macht er sich bereits jetzt Gedanken über mögliche Einschränkungen im höheren Lebensalter. Freude machen ihm die Besuche der beiden Enkelsöhne im Alter von zwei und vier Jahren. So ganz allein ist der Tostedter, der eine kleine Versicherungsagentur im Ort betreibt, also nicht.
Der am Kopfende des Tisches sitzende Bernd Freiwald wird langsam unruhig, schiebt auf dem Tisch das Netz mit Kartoffeln und die Tüten mit Spargel hin und her und bemerkt augenzwinkernd: „Vor lauter Reden haben wir schon beim letzten Mal fast vergessen zu kochen!“
Die Aufgaben sind schnell verteilt. Dann sitzt Willi über einer Schüssel mit Kartoffeln, während Bernd und Steffen Spargel schälen. Anscheinend eine ganz neue Rolle für den verwitweten Versicherungsmakler. „Wenn das meine Frau gesehen hätte, dass ich in der Küche arbeite“, murmelt er ungläubig vor sich hin.
Günter kommt zu spät – sein Navi war falsch programmiert
Da geht plötzlich die Tür auf, und ein verspäteter Teilnehmer tritt herein: Günter hatte sein Navi nicht richtig programmiert und brauchte deshalb für den Weg von Emmelndorf bei Hittfeld nach Tostedt länger als geplant. Kein Problem. Bernds Vorschlag, er könne noch einsteigen bei den Kochvorbereitungen, hat er nicht gehört. Oder überhört? „Mir fehlt die Lust zum Kochen“, sagte er schulterzuckend, worauf ihm die anderen Teilnehmer zustimmen.
Bernd, der zuhause gern den Kochlöffel schwingt, verteilt dennoch Lob und Anerkennung. „Dat hest du fein mookt, Steffen“, lächelt er dem fleißigen Spargelschäler zu, der seine Arbeit gerade erledigt hat.
Der 68-Jährige fühlt sich offensichtlich gut aufgehoben in dieser Männerrunde. Anders als neulich in einem anderen Trauercafé. Da kam er sich ziemlich verloren vor, weil die dort Trauernden einander schon seit vielen Jahren kannten. Das sei nicht das Richtige für ihn gewesen. „Jeder trauert anders“, kommentiert Bernd Freiwald.
„Jeder Gegenstand zu Hause erinnert mich an meine Frau“
Da fällt dem 79-jährigen Günter gleich ein Beispiel aus seiner Nachbarschaft ein: „Bei uns wohnen mehrere verwitwete Nachbarn, die sich regelmäßig in einer Garage treffen, und dann ,Hoch die Tassen‘ Alkohol trinken.“ Auch eine Art zu trauern. Besonders verbreitet bei Männern. Nicht das Richtige für Günter. Noch heute, drei Jahre nach dem Tod seiner Frau, leidet er an den Umständen, wie sie gestorben ist.
Dass die verantwortlichen Ärzte eine Darmembolie nicht oder zu spät erkannten, hat ihn verbittern und sich juristischen Beistand suchen lassen. Die Männer hören betroffen schweigend zu, während Bernd die panierten Schnitzel in der Pfanne brutzelt und zwei Töpfe mit Spargel und Kartoffeln zum Kochen gebracht hat.
„Jeder Gegenstand zuhause erinnert mich an meine Frau“, sagt Günter. Alles hätten sie zusammen gemacht, ein Haus gebaut, Kinder großgezogen. „Auch noch drei Jahre nach ihrem Tod nicke ich abends beim Fernsehen ein, wache auf mit dem Gefühl, sie sitze neben mir – aber sie ist nicht da“, berichtet er mit niedergeschlagenem Blick. Zum Glück hat er zwei Söhne, die nicht weit entfernt von ihm wohnen.
Was soll mit der Kleidung der verstorbenen Frauen passieren?
Und er hat etwas gemeinsam mit Steffen: Die beiden Männer teilen ihr Haus mit Samtpfoten. Günter freut sich über die Zuneigung seiner 14-jährigen Katze Mia, während Steffen sich über die Gesellschaft von Lilly und Tiffy freut. Schnell kommen die beiden miteinander ins Gespräch, beraten, wie Katzenhaare am Besten von den Klamotten entfernt werden und was mit der Kleidung der verstorbenen Frauen passieren soll.
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Die Zubereitung des Essens und das anschließende Genießen sind nur noch Nebensache. Was zählt, das sind die Gespräche, ist der Austausch mit den trauernden Leidensgenossen. Dabei geht’s nicht nur um Schmerzliches. Lebenserfahrungen, Berufliches, Freud und Leid werden genauso geteilt und mitgeteilt wie Tipps, welche Restaurants besonders leckere Gerichte anbieten.
Auf den nächsten Termin im Juni freuen sich alle: Dann wird gegrillt
Apropos leckere Gerichte: Was steht denn beim nächsten Treffen am Sonnabend, 1. Juni, 11 Uhr, auf dem Programm? „Wenn das Wetter mitspielt, könnten wir vielleicht etwas grillen“, schlägt Bernd vor. Alle lachen zustimmend. Bratwurst und Sixpack, genau ihr Geschmack. Eine echte Männerrunde eben.
Ins Leben gerufen wurde dieses Angebot der Ambulanten Hospizgruppe Tostedt im übrigen von einer Frau: Ursula Sendes, die in zwanzigjähriger Erfahrung als Sterbe- und Trauerbegleiterin erfahren hat, dass Männer anders trauern als Frauen.
Wer beim Treff am 1. Juni im Haus der Begegnung in der Poststraße 16 in Tostedt dabei sein möchte, kann sich anmelden bei Ursula Sendes unter Telefon 0 41 82/2 39 96 36. Es wird eine Kostenpauschale von 10 Euro erbeten.