Tostedt. Begegnungsstätte für Geflüchtete und Tostedter ist erwachsen geworden – und hat sich trotzdem verjüngt

Das Internationale Café als Begegnungsstätte für Geflüchtete und Tostedter Bürgerinnen und Bürger ist knapp neun Jahre nach seinem Bestehen „erwachsen“ geworden und hat sich trotzdem verjüngt. In den ersten Jahren besuchten fast nur männliche Geflüchtete aus Kriegs- und Krisengebieten, etwa aus Afghanistan, Eritrea und Syrien, den Treff, der zunächst im Gemeindehaus der Johanneskirche stattfand. Gründer waren engagierte Vertreter von Kirche, Vereinen und Organisationen. Mittlerweile kommen auch Ehefrauen mit Kindern vom Baby bis zum Jugendlichen zu Besuch. Und so mancher Gast der ersten Stunde hat sich in den vergangenen Jahren so gut eingelebt sowie sprachlich und beruflich qualifiziert, dass er den Neuankömmlingen gern mit Rat und Tat behilflich ist.

Seit einigen Jahren ist das Internationale Café im Haus der Begegnung an der Poststraße untergebracht und öffnet dort regelmäßig sonnabends von 15 bis 17 Uhr seine Türen. Fröhliches Kinderlachen und ein Gemisch der unterschiedlichsten Sprachen schallen dem neugierig eintretenden Gast entgegen. Der Blick wandert über Männer und Frauen von heller wie dunkler Hautfarbe, die sich an mehreren großen Tischen angeregt unterhalten, Kaffee trinken und Spiele spielen, während die eine oder andere Frau dabei ihr Baby in den Armen wiegt.

Geschichte voll von Entbehrungen und Abschieden – und vom Ankommen in Tostedt

Die Ukrainerinnen Olena Fliustykova (links) und Tochter Khrystyna sind gern zu Gast im Internationalen Café.
Die Ukrainerinnen Olena Fliustykova (links) und Tochter Khrystyna sind gern zu Gast im Internationalen Café. © HA | Marion Wenner

Sie alle haben eine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte voll von traumatischen Erlebnissen, Entbehrungen und Abschieden, aber auch vom Ankommen und Angenommenwerden. So wie Yudit aus Eritrea. Die 24-Jährige konnte erst im August letzten Jahres ihren Mann Arid wieder in die Arme schließen. Seit acht Jahren ist er schon hier, hat eine Ausbildung zum Tischler gemacht und eine Anstellung in Bispingen gefunden.

Shahin ist froh, aus dem Iran, wo es Frauen sogar verboten ist, Fahrrad zu fahren, nach Deutschland gekommen zu sein. Sie ist stolz auf ihren Sohn, der hier am Gymnasium Tostedt die neunte Klasse besucht und fleißig lernt.

Auch Olena Fliustykova (40) und ihre Tochter Khrystyna (19) aus dem ukrainischen Charkiw kommen regelmäßig ins Internationale Café. Dort haben sie schon viele Freundinnen gefunden. Im März letzten Jahres gelangten die beiden Ukrainerinnen mit Hilfe von zwei polnischen Journalistinnen über Spanien, Frankreich und Belgien zunächst nach Harburg. Dabei hatten sie nur das Allernötigste und ihren besten Kumpel, den siebenjährigen Labrador Marcel. Eine bereits in Buchholz lebende Freundin stellte den Kontakt zu einer Tostedter Familie her, die gern Geflüchtete mit Tieren bei sich aufnehmen wollte. Mutter und Tochter sind ihnen noch heute sehr dankbar für die liebevolle Aufnahme. Spezialfutter für den an einer Allergie leidenden Marcel spendierte die Tiertafel. Mittlerweile sind der Vierbeiner und seine beiden Frauchen mitten in Tostedt in einer kleinen Wohnung untergebracht.

Die beiden Frauen geben die Hoffnung nicht auf

Khrystyna, die bereits in der Ukraine am Gymnasium Deutsch gelernt hatte, verbringt viel Zeit am Computer, denn sie studiert im vierten Semester online Tiermedizin. Ihre Mutter Olena war in der Ukraine Grundschullehrerin und besucht jetzt einen Integrationskurs. Ihre neu erworbenen Deutschkenntnisse probiert sie dann im Internationalen Café aus. Zu dem Vater halten sie Kontakt per WhatsApp. Er ist noch in der Ukraine, wo er hilft, zerstörte Häuser wieder aufzubauen. Kein Strom, kein Wasser und manchmal keine Heizung. Die beiden Frauen geben die Hoffnung nicht auf: „Ich weiß genau, dass wir nach Hause kommen“, sagt Khrystyna mit fester Stimme.

Fröhliche Stimmung im Internationalen Café bei Spielen, Kaffee und Gesprächen.
Fröhliche Stimmung im Internationalen Café bei Spielen, Kaffee und Gesprächen. © HA | Marion Wenner

Zuhause, das ist für Abdelvaheem Mahmoud (30), genannt Abdel, mittlerweile Tostedt. Im September 2016 kam er nach Deutschland. Seine Geschichte klingt ergreifend: Aufgewachsen im Sudan, wollte er nach dem Abitur gern studieren. Dazwischen lag der Wehrdienst. Weil er gut schießen konnte, so erzählt er, wollten Militärs ihn zwingen, Sniper (Scharfschütze) zu werden. Da er das verweigerte, musste er sich verstecken, und war seitdem ständig auf der Flucht. Vom Versteck in den Bergen, der Suche nach Gold und den tödlichen Streitigkeiten unter den Goldwäschern erzählt er genauso mitreißend wie von seiner Flucht nach Libyen, wo er all sein Geld verlor und anschließend wie so viele Geflüchtete mit einem Schlauchboot in Italien landete. Weiter ging es nach Frankreich und von dort nach Deutschland. Oldenburg und Bramsche waren die letzten Stationen vor der am Helferichheim in Tostedt eingerichteten Flüchtlingsunterkunft. Der damals in Tostedt amtierende Pastor Gerald Meier nahm den jungen Sudanesen unter seine Fittiche. Er bekam eine Aufenthaltsgenehmigung, lernte Deutsch und erlernte beim Autohaus Splete in Welle den Beruf des Mechatronikers. Mittlerweile arbeitet Abdel bei Hans Tesmer in Buchholz, einem traditionsreichen Autohaus. Außerdem verfügt er über das Deutsche Sprachdiplom, mit dem er sich sogar zum Studium an einer Universität anmelden könnte.

Abdel aus dem Sudan hilft seit 2017 selbst ehrenamtlich Geflüchteten

Abdel hat einen Antrag auf Einbürgerung gestellt, ist also hundertprozentig in Deutschland angekommen. Genau gesagt in Tostedt, wo er wohnt und seit 2017 selbst ehrenamtlich anderen Geflüchteten hilft, deren Anliegen er in seiner arabischen Muttersprache gut verstehen und vermitteln kann. Sein Lächeln und seine warmherzige Art überzeugen. Nicht zuletzt auch sein Optimismus: „Rassisten gibt’s überall, aber man sollte seinen Humor bewahren, sich nicht runterziehen lassen – wenn’s mir schlecht geht, denke ich an die guten Menschen, die mir geholfen haben.“