Tostedt. Die „MS Bleichen“ brachte einst Rollen voller Zeitungspapier nach Hamburg. Nun kümmert sich eine Truppe Ehrenamtlicher um das Schiff.
Ein beliebtes Hobby so mancher Ruheständler ist es, in hingebungsvoller Kleinarbeit Flaschenschiffe zu bauen. Jürgen Salewsky aus Tostedt im Landkreis Harburg hingegen ist seit Oktober vergangenen Jahres Mitglied im Team ambitionierter Ehrenamtlicher, das im Hamburger Hafen den historischen Stückgutfrachter „MS Bleichen“ restauriert und in Fahrt hält.
„Gemeinsam mit meiner Frau wollte ich im Herbst anlässlich des „Open-Ship-Day“ am Schuppen 50 das Hamburger Museumsschiff ,Peking’ besichtigen, aber der Anblick der langen Schlange davor trieb mich zur ,Bleichen’“, erzählt der 75-jährige Tostedter.
Auf dem baugleichen Schiff „MS Borgesch“ war Salewsky selbst zur See gefahren
Kaum hatte er dem Team, das den Interessierten das Schiff vorstellte, erzählt, er sei während seiner Studienzeit mit dem baugleichen Schiff „MS Borgesch“ zur See gefahren, da war er fällig: „Ab jetzt kommst du jeden Mittwoch zur Reparatur hierher“, bekam Salewsky zu hören. Eine Herausforderung, der er sich gern gestellt hat, auch wenn seine Frau sein neues Hobby zunächst mit Skepsis sah.
Jürgen Salewsky fühlt sich wohl inmitten eines aktiven Teams aus gut einem Dutzend gestandener, Seefahrt-affiner Kerle und einiger begeisterter Frauen. Sie alle stehen als „Freunde des Stückgutfrachters MS Bleichen e.V.“ im Dienst des 1958 für die Hamburger Reederei H. M. Gehrckens gebauten Schiffes.
Das Schiff brachte große Rollen Zeitungspapier für die Zeitungsverlage zurück in den Hamburger Hafen
Der Frachter hat viel erlebt und viel von der Welt gesehen. Überwiegend schipperte die „Bleichen“ durch die Ostsee und transportierte Stückgut vom Heimathafen Hamburg nach Schweden und Finnland und brachte auf dem Rückweg viele große Rollen Zeitungspapier für die Hamburger Zeitungsverlage mit.
Doch natürlich war die MS Bleichen auch im Winter unterwegs, was wegen der Vereisung des Meeres einen extra starken Rumpf erforderte. Ein Umstand, der mit verantwortlich ist für den gut erhaltenen Zustand des Schiffsrumpfs. Bis nach Westafrika fuhr der Stückgutfrachter, wurde am Schuppen 28 mit Papierrollen und Maschinenteilen beladen und kam zurück mit Teakholz, Kakaobohnen und Erdnüssen.
1970 kam das Schiff in italienischen Besitz, fuhr dort unter dem Namen „Canale Grande“. Neun Jahre später kauften türkische Eigentümer den Stückgutfrachter, benannten ihn zunächst um in „Arcipel“ und später in „Old Lady“. Ihre letzten Dienste trat die „alte Dame“ dann an beim Transportieren von Getreide und Schrott.
2007 rettete die Stiftung Hamburg Maritim die „MS Bleichen“ vor dem Abwracken
Der Schrott-Transport hat der betagten Hamburger Deern, die 2007 von der Stiftung Hamburg Maritim vor dem Abwracken gerettet und wieder nach Hamburg überführt wurde, so manche Beule eingebracht. Heute noch mit den Füßen zu erfühlen beim Betreten des Laderaums in „Luke I“. Der daran anschließende, als Veranstaltungsraum genutzte Laderaum „Luke II“, in dem auch Konzerte, Lesungen und Ausstellungen stattfinden, wurde deshalb mit einem Beulen überdeckenden neuen Fußboden versehen.
Ebenfalls für gelegentliche Veranstaltungen kann der nach historischem Vorbild renovierte Kapitänssalon gemietet werden. Er lässt Gäste, die sich anlässlich einer Feier oder einer Tagung hier aufhalten, mit seinem Mobiliar in dezentem Grün und dem kunstvollen schmiedeeisernen Gitter noch den Hauch vergangener Zeiten spüren.
Der Geruch von Öl und Diesel, Rost und Farbe liegt über allem auf der MS Bleichen
Was allerdings vor dem glanzvollen neuen Erscheinungsbild der alten „Lady“ steht und die Crew der fleißigen Ehrenamtlichen umgibt, das ist der Geruch von Öl und Diesel, Rost und Farbe.
Der Verein „Freunde des Stückgutfrachters MS Bleichen“ gehört zur Stiftung Hamburg Maritim, die Eigentümer der an den Landungsbrücken liegenden „Cap San Diego“ oder der „Peking“ im Museumshafen umfasst. Rund 230 Mitglieder umfasst der Verein, von ihnen engagieren sich ein bis zwei Dutzend aktiv bei der Instandhaltung des Frachters, der nach einem Werftaufenthalt gerade frisch vom „Schiffs- TÜV“ die Fahrtüchtigkeit bescheinigt bekommen hat.
Es gilt die Devise: Jeder muss alle Arbeiten machen
Unter ihnen sind Spezialisten für Schiffsbetriebstechnik und Elektrotechnik, wie Jürgen Salewsky sowie Aktive, die sich scherzhaft als „Holzwürmer“ bezeichnen, also an Deck oder im Maschinenraum arbeiten oder sich um die Nautik kümmern. Darüber hinaus gilt die Devise: Jeder muss alle Arbeiten machen.
„Das Ziehen der schweren Tampen neulich auf der Fahrt zur Werft beim An- und Ablegen war körperlich wirklich anstrengend“, erinnert sich Jürgen Salewsky, der auch bei der Modernisierung der Elektrotechnik im Team mit anpackt. Gar nicht so einfach, wenn das alte, mit Gleichstrom betriebene Schiffsnetz mit einem Wechselstromnetz für neuere Aufgaben, wie zum Beispiel Veranstaltungstechnik und moderne Feuerlöschsysteme kombiniert werden muss.
Was es nicht mehr gibt, muss an der Drehbank nachgearbeitet werden
Das Nebeneinander von Alt und Neu macht den Reiz aus für die fleißige Handwerkscrew. So gibt es manch benötigtes Teil nicht mehr, das dann an der Drehbank in der schiffseigenen Werkstatt nachgearbeitet werden muss.
Der Einzug der Moderne äußert sich unter anderem in der Erfüllung von Auflagen, die etwa das Schaffen von Notausgängen betreffen oder die von der Hafenbehörde vorgeschriebenen Wachgänge während 24 Stunden an 365 Tagen.
Der Kartenraum der „MS Bleichen“ enthält auch modernste GPS-gesteuerte Anlagen
Auf der Brücke im Ruderhaus sind das alte Steuerrad mit der Selbststeueranlage genauso untergebracht wie die nach heutigen Sicherheitsbestimmungen gestalteten modernen Anlagen. Und der Kartenraum enthält neben Schubladen mit alten und neuen Seekarten auch modernste GPS-gesteuerte Anlagen.
Der Maschinenraum weist genau wie die danebenliegende Mannschaftsmesse und der Wohnbereich für die Besatzung noch vieles an Originalsubstanz aus der Bauzeit der „Bleichen“ auf. Besucher, die unter anderem von Jürgen Musyal mit anschaulichen Erklärungen durch das Schiff geleitet werden, können sich anhand von Fotos auf Schautafeln ein Bild von den alten Zeiten machen.
Jürgen Salewsky arbeitete lange Jahre im oberen Management bei Siemens
Die aktiven Ehrenamtlichen aber geben sich mit dem Betrachten nostalgischer Ansichten nicht zufrieden. Sie kratzen nicht nur an der Oberfläche nostalgischer Seefahrt-Romantik oder mit Gehörschutz an fest sitzendem Rost, sondern sie sind mit Hand, Herz und Seele dabei, machen Ausbildungsfahrten, absolvieren Rettungsübungen und wissen, wie ein eventuell ausbrechendes Feuer zu löschen ist.
Jürgen Salewsky jedenfalls hat nach einem langen, erfüllten Berufsleben im oberen Management des Siemens-Konzerns, das ihn als diplomierten Physik-Ingenieur in viele Länder dieser Welt führte, zurückgefunden zu seinen Wurzeln. Aufgewachsen in Hamburg-Harburg, hatte er zunächst bei Siemens in Rothenburgsort den Beruf des Elektromechanikers erlernt und Elektromotoren für Schiffe überholt.
Auch Kalle ist nun mit an Bord – ein erfahrener Seemann im Ruhestand
Später verdiente er sich Geld hinzu mit Arbeiten als Elektroassistent bei der Heinrich Martin Gehrckens Reederei und war in den Semesterferien schon bald unterwegs auf hoher See mit der „Wandrahm“.
Auch Jürgen Musyal hatte Ende der 60er-Jahre auf diesem Schiff angeheuert. Die beiden teilen eine Leidenschaft, über die sie sich beim gemeinsamen Arbeiten auf der „Bleichen“ gern mit ihren Kumpels austauschen. Weitere Mitstreiter, die gern mit anpacken, sind stets willkommen. Aktuell hat sich ein erfahrener Seemann im Ruhestand zu ihnen gesellt: Karl-Heinz („Alle nennen mich Kalle“).
Denn man tau und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel!