Hittfeld. Niemand weiß, wie viele Tauben zurzeit in Hittfeld leben. Klar ist: Es sind zu viele. Wie kann die Umsiedlung tierfreundlich gelingen?
Besucher der Hittfelder Mauritius-Kirche kennen das Phänomen: Von oben tönt leises Gurren und zuweilen segeln winzige Flaumfedern von der Decke des Altarraums. Seit vielen Jahren bevölkert ein Taubenschwarm das alte Feldsteingebäude. Damit wird bald Schluss sein. Die Vögel sollen umziehen. Heraus aus Dachboden und Mauernischen, hinein in den funkelnagelneuen Taubenschlag neben der Kirche.
Die Ziele der Maßnahme: Schutz der historischen Bausubstanz vor Verschmutzung, Schutz der Kirchenorgel und, vor allen Dingen, Kontrolle der Populationsentwicklung. Niemand weiß, wie viele Tauben zurzeit in Hittfeld leben. Klar ist nur: Es sind zu viele und es werden immer mehr, wenn nicht gegengesteuert wird. Gemeindesprecher Andreas Schmidt bestätigt: „Im Hittfelder Ortskern haben sich Tauben derart vermehrt, dass sie zu einem Problem geworden sind.“
Tauben-Plage in Hittfeld: Momentan liegen 16 Ei-Attrappen in den Nestern
Sarah Zierke, die Vorsitzende des Vereins Stadttauben Buchholz e.V., sowie ihre ehrenamtlichen Mitstreiterinnen arbeiten bereits seit eineinhalb Jahren an der Mauritius-Kirche auf eine kleinere, gesündere Taubenschar hin: Durch Fütterung einerseits und Entnahme von Taubeneiern andererseits. Momentan liegen immerhin 16 Attrappen anstatt echter Eier in den Nestern.
Dass weniger Eier weniger Küken bedeuten, leuchtet jedem ein. Fütterung hingegen sehen viele Menschen und auch Kommunen kritisch, weil sie fürchten, dass mehr Nahrung zu noch schnellerem Anwachsen der Schwärme führt. Mancherorts ist das Streuen von Körnern deshalb bei Strafe verboten.
Unstrittig ist, dass Aushungern enormes Tierelend bedeutet
In Hittfeld weiß man, dass artgerecht gefütterte Tauben keinen flüssigen Hungerkot ausscheiden, der Gebäude verschmutzt. Dass ausreichend ernährte Vögel gesünder und widerstandsfähiger und nicht mehr gezwungen sind, in den Ort zu fliegen, um dort nach Nahrung zu suchen. Unstrittig ist auch, dass Aushungern enormes Tierelend bedeutet. Und: Es schützt kaum vor weiterer Vermehrung, weil selbst fast verhungerte Tauben unermüdlich weiter Eier legen und brüten.
Denn schon vor Jahrtausenden domestizierte der Mensch wilde Felsentauben, um an ihr Fleisch und ihre Eier zu gelangen. Durch Zucht gelang es unseren Vorfahren, deren Legeleistung enorm zu erhöhen. Haustauben brüten heute bis zu achtmal jährlich. Ebenso Stadttauben, denn das sind verwilderte Haustauben, gestrandete Brieftauben oder deren Nachkommen.
Fleestedterin klettert einmal wöchentlich auf den Kirchendachboden, um Eier zu ersetzen
Wie Sarah und Elisabeth Zierke ist auch Sandra Schmidt Mitglied des Vereins Stadttauben Buchholz, seit sie dort eine verletzte Taube in Obhut gab. Jetzt gehört die zweifache Mutter zum vierköpfigen Frauenteam, das für die Fütterung in Hittfeld zuständig ist und künftig auch den Schlag säubern wird. Zudem klettert die Fleestedterin einmal wöchentlich auf den Kirchendachboden, um Eier durch Attrappen zu ersetzen. Ein mühsames Unterfangen. Denn der Raum ist groß, dämmrig, unübersichtlich, und sie findet und erreicht nicht alle Nester.
„Durch die Umsiedelung in den neuen Taubenschlag und die tierschutzgerechte Reduzierung der Population wollen wir auch verhindern, dass die Vögel Schaden an der Gebäudesubstanz und an der historischen Orgel anrichten“, sagt der Vorsitzende des kirchlichen Bauausschusses, Willi Bersuch.
Viel einfacher und effektiver wird diese Arbeit, sobald die Tauben in den Schlag umgezogen sein werden. Schon warten dutzende Nisthöhlen in auch für Menschen bequem zu erreichender Höhe auf gefiederte Bewohner. Bald, wenn die letzten handwerklichen Griffe am Taubenschlag getan sind, werden die ersten Tiere einziehen. Und zwar zunächst Lockvögel. „Das werden Pfleglinge des Vereins sein, einstmals kranke, verletzte oder aus dem Nest gefallene Tauben also“, sagt Sarah Zierke. Zum Ortstermin am Schlag hat sie einen ihrer 20 persönlichen Schützlinge als Fotomodell mitgebracht.
Lockvögel werden zwei Monate lang im neuen Taubenschlag eingeschlossen
Die Lockvögel werden zwei Monate lang im neuen Taubenschlag eingeschlossen werden. So lange dauert es, bis die Erinnerung der für ihre Standorttreue bekannten Vogelart verblasst und sie nicht mehr zu ihrem angestammten Domizil zurückfliegen.
Sobald die Lockvögel eingewöhnt sind, wohl spätestens im Sommer, werden die Kirchentauben aus dem Dachstuhl verscheucht und alle Schlupflöcher zum dann leeren Boden verschlossen. Die nunmehr obdachlosen Tauben werden in den Schlag einziehen, den sie bereits seit längerem von der Fütterung kennen und der ihnen nun, weil bereits von Artgenossen bewohnt, als sichere Unterkunft erscheint.
Verein hat mit der Methode schon positive Erfahrungen in Buchholz gemacht
Sarah Zierke ist sehr zuversichtlich, dass alles nach Plan klappt. Der Verein hat schon positive Erfahrungen in Buchholz gemacht. Dort ist die Umsiedlung von unter Solarzellen brütenden Tauben auf dem Dach der NordHeideHalle in einen benachbarten, zum Taubenschlag umgerüsteten Container gelungen.
Die Holzhütte in Hittfeld wurde im Auftrag der Gemeinde Seevetal von Mitarbeitern eines Ramelsloher Zimmereibetriebs auf dem ehemaligen Kompostplatz an der Nordseite der Mauritius-Kirche errichtet. Die Förderung des Vorhabens erfolgte aus Mitteln des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (ML). „Jede Kommune kann solche Fördermittel beantragen“, erklärt Sarah Zierke. Sie weiß: Bedarf gibt es in fast allen Städten rund um die Taubenhochburg Hamburg. „In Buxtehude hat sich gerade ein neuer Stadttauben-Verein gegründet, wir beraten ihn. In Stade sind ein paar Taubenschützer auf sich allein gestellt. Die Stadt Winsen dagegen vergrämt die Tauben bisher nur und verlagert damit das Problem ins Umland. Ein Bauer aus dem nahe gelegenen Hunden hat nunmehr zweihundert Tauben unter dem Dach seines Stalls.“
In Buchholz, so hofft sie, werden bald drei weitere Taubenschläge entstehen, die „ihr“ Verein dann ebenfalls betreuen wird. Eine Herkulesaufgabe für die ehrenamtlichen Taubenfreunde. Auf der Mitgliederliste stehen vier Jahre nach Vereinsgründung zwar immerhin 44 Namen, aber längst nicht alle engagieren sich aktiv.
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„Die Herausforderung der ehrenamtlichen Arbeit können wir derzeit nur schwer tragen, schließlich sind wir alle berufstätig und haben Familien. Daher freuen wir uns sehr über Unterstützung.“ Aktuell hat der Verein offizielle Futterstellen, vier Endstellen und einen Stadttaubenschlag zu versorgen und verfüttert derzeit insgesamt 25 bis 30 Kilogramm Futter am Tag.
„Wir haben hohe Tierarztkosten, Kosten für Medizin und Futterzusätze, Baumaterialien und Zubehör, die Spritkosten schlagen derzeit ungemein hart zu Buche und dann gibt es ja auch noch laufende Kosten, die getragen werden müssen“, berichtet Sarah Zierke. Spender werden dringend gesucht, aber auch weitere Pflegeplätze für Tauben und weitere Tauben-Taxi-Fahrer. Das sind Frauen und Männer, die verletzte Tiere am Fundort abholen und zu einer vogelkundigen Tierklinik, befreundeten Tierschutzvereinen und Wildtierstationen bringen.
Längst handelt es sich nicht mehr ausschließlich um Tauben, sondern auch um Möwen, Enten, Sing- und Zugvögel. Der Taubennotruf wird inzwischen sogar für die Rettung versehrter Säuger alarmiert, weil es sich herumspricht, dass die Buchholzer Stadttaubenfreunde in den Kreisen Harburg, Stade und Heidekreis aktiv sind.
Buchholzer Verein hatte im vergangenen Jahr mehr als 670 Notfalleinsätze
„Alleine im vergangenen Jahr hatten wir über 670 Notfalleinsätze und haben damit nicht nur den Tieren geholfen sondern auch den Menschen, die Tiere in Not gefunden haben. Selbst die Polizei kontaktiert uns, damit wir ein Rebhuhn aus dem Kühlergrill eines Autos befreien.“
Taubennotfall-Nummer: 0163-8721809