Neugraben-Fischbek. Planung für Fischbeker Reethen in Harburg erfordert 80 Hektar Ausgleichsfläche. Die sind in der Stadt nicht zu finden. Es gibt Kritik.

Das dritte große Harburger Neubaugebiet steht in den Startlöchern: Der Bebauungsplan-Entwurf für die Fischbeker Reethen soll noch im April grünes Licht durch die Harburger Politik bekommen. 2300 Wohnungen sind auf der 70 Hektar großen Grünfläche vorgesehen, dazu Gewerbebauten. Das geplante neue Stadtquartier erregt seit längerem Naturschützer. Am 22. April soll der Stadtplanungsausschuss der öffentlichen Auslegung des B-Plans zustimmen. Bei der vorbereitenden Präsentation auf der Sitzung am Montagabend blieb der Naturschutz der Aspekt, bei dem die Lokalpolitiker den größten Diskussionsbedarf hatten.

Die schiere Größe des Gebiets in Fischbek stößt bei Umweltverbänden auf Ablehnung. Das Bezirksamt hatte die Pläne für das Baugebiet vor drei Jahren erstmals zur Stellungnahme ausgelegt und nach umfangreicher Kritik anschließend überarbeitet. „Geändert hat sich aber fast nichts: Nach wie vor werden in dem 70 Hektar umfassenden Plangebiet rund 50 Hektar Äcker, Wiesen und Gebüschbereiche zerstört sowie weitere Biotopflächen überbaut“, kritisierte der BUND Hamburg bei seiner zweiten Stellungnahme im Sommer 2023.

Neubaugebiet in Neugraben-Fischbek: Ackerland mit S-Bahn-Anschluss

„64 Hektar sind Maisäcker ohne großen ökologischen Wert“, konterte am Montagabend Karl-Heinz Alpheus von der bezirklichen Abteilung Landschaftsplanung. Harburgs Baudezernent Hans Christian Lied schlägt in dieselbe Kerbe: „Wir haben hier Äcker mit S-Bahn-Anschluss. Diesen Erschließungsvorteil, der bei Bauflächen eher selten vorkommt, dürfen wir nicht liegen lassen.“

"Wohnen und Arbeiten im Grünen" lautet das Motto, mit dem die IBA Hamburg die Bauflächen vermarkten wird. © IBA Hamburg | moka-studio

Allerdings gebe es Eingriffe in die Natur, die ausgeglichen werden müssen, so Alpheus. Der Ausgleichsbedarf bemisst sich nicht nur an der betroffenen Flächengröße, sondern auch am ökologischen Wert, der woanders neu zu schaffen ist. Und das möglichst ortsnah, damit die Ersatzlebensräume für Tiere und Pflanzen von diesen entdeckt und besiedelt werden können. Das Problem der Fischbeker Reethen: Um die unterschiedlichen Eingriffe in die Natur zumindest formal wettmachen zu können, müssen 80 Hektar Ausgleichsflächen geschaffen werden.

Nicht einmal ein Viertel der Ausgleichsflächen liegt im Baugebiet

Nur 16 Hektar liegen in dem Baugebiet und einem landwirtschaftlich genutzten Streifen nördlich der S- und Fernbahntrasse, der für diese Betrachtung hinzugenommen wurde. Schließlich geht es nicht nur um die Tiere, die heute auf der späteren Baufläche leben, sondern auch um grüne Schneisen zwischen den Naturschutzgebieten Moorgürtel im Norden und Fischbeker Heide im Süden.

Im nordöstlichen Bereich der Fischbeker Reethen wird zugunsten der Natur ein sechs Hektar großes Moor weiter vernässt, mit passenden Baumarten bepflanzt und zu einem Bruchwald (Moorwald) entwickelt. Er gilt als Ersatz für Eingriffe in den Waldbereich im Süden des Projektgebiets unweit der Cuxhavener Straße. Der restliche Ausgleich im (erweiterten) Baugebiet findet fast ausschließlich nördlich der Bahntrasse statt.

Breitere Pflanzenreihen laden Feldlerchen zum Brüten ein

Die Stadt hat dort eigene Flächenstreifen, die als extensive Äcker bewirtschaftet werden. Dort stehen die Pflanzenreihen in größeren Abständen. Hier sollen die Feldlerchen der Fischbeker Reethen hinziehen – fünf Brutpaare gilt es umzugewöhnen. Gleich daneben wurden junge Obstbäume gepflanzt, die zu einer Streuobstwiese aufwachsen sollen. Hier sollen die Wiesenschafstelzen eine neue Heimat finden. Und dann wäre da noch ein Wachtelkönigspaar, für das eine neue Bleibe geschaffen werden muss.

Karl-Heinz Alpheus, Landschaftsplaner im Bezirksamt Harburg, erläutert dem Stadtentwicklungsausschuss das Naturschutzkonzept für das Neubaugebiet Fischbeker Reethen.
Karl-Heinz Alpheus, Landschaftsplaner im Bezirksamt Harburg, erläutert dem Stadtentwicklungsausschuss das Naturschutzkonzept für das Neubaugebiet Fischbeker Reethen. © Angelika Hillmer | Angelika Hillmer

Auch die Bedürfnisse von Fledermäusen sind zu bedenken. Sie brauchen auf ihren Flügen sogenannte Leitstrukturen, an denen sie sich orientieren können. Für sie ist der „Fischbeker Boulevard“ eingeplant. Und natürlich auch für die Bewohnerinnen und Bewohner, die gern im Schatten großer Bäume spazieren gehen. „Unter der Allee werden wir Pflanzen ansiedeln, die Insekten anziehen. Diese sind für die Fledermäuse eine attraktive Nahrungsquelle“, sagte Alpheus.

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Eine der ökologischen Ersatzflächen liegt bei Tostedt

Einige weitere Ausgleichsgebiete liegen im Francoper Moor (Teil des Hamburger Naturschutzgebiets Moorgürtel), andere im Ovelgönner Moor (Landkreis Stade). Auch die Vernichtung von Trockenrasen, ein weiterer ökologisch wertvoller Lebensraum, muss ausgeglichen werden. Da solche Biotope selten geworden sind, wurde die letzte Lücke von 0,6 Hektar (6000 Quadratmeter) im Bereich Tostedt gefüllt.

Sigrid Waschull (SPD) und Heinke Ehlers (Grüne) kritisierten in der Ausschusssitzung die Tatsache, dass viele Ersatzlebensräume keinen örtlichen Bezug zum Baugebiet haben. Karl-Heinz Alpheus hätte ebenfalls lieber ortsnah Ersatz geschaffen, nur sind in Hamburg unbebaute, naturnahe Areale, die sich dafür potenziell eignen, Mangelware. Mit diesem Anspruch könne in der Stadt kein größeres Bauprojekt mehr entstehen, gab der Landschaftsplaner zu bedenken.

Zum Konzept der Fischbeker Reethen gehören künstliche Gewässer, die als blaugrünes Band das Quartier durchziehen und Regenwasser aufnehmen.
Zum Konzept der Fischbeker Reethen gehören künstliche Gewässer, die als blaugrünes Band das Quartier durchziehen und Regenwasser aufnehmen. © IBA | IBA Hamburg, Relais Landschaftsarchitekten

Ranger wird den Naturschutz im späteren Wohngebiet Fischbeker Reethen stärken

Immerhin werden die Ersatzlebensräume bereits jetzt geschaffen, sodass sie zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden, sagte Alpheus. Ein besonderes Lichtkonzept soll später die schützenswerte Natur möglichst wenig stören. Zudem sind verschiedene Grünzüge geplant. So wird ein blaugrünes Band aus Gewässern und großzügiger Bepflanzung das Quartier in Ost-West-Richtung durchziehen. „Wir werden auch einen Ranger anstellen, der darüber wacht, dass die Naturschutz-Anforderungen in dem Neubauquartier eingehalten werden. Er wird da sein, bevor der erste Umzugswagen mit Hauskatze kommt“, sagte Alpheus.

Trotz aller Bemühungen lehnten die Umweltverbände noch immer das Bauvorhaben ab, so Alpheus. Er fühle sich aber argumentativ gewappnet, sollten die Verbände die bezirkliche Planung gerichtlich durch ein Normenkontrollverfahren überprüfen lassen. Zunächst einmal sieht der bezirkliche Zeitplan vor, dass der Bebauungsplan im Frühsommer öffentlich ausgelegt wird. Anschließend wird an ihm gegebenenfalls noch etwas gefeilt. Dann muss die Politik ein zweites Mal grünes Licht geben. „Wir sind jetzt auf einem Stand, an dem die meisten Herausforderungen gelöst sind“, sagt Baudezernent Hans Christian Lied.