Lüneburg. Wo früher eine Burg stand, liegt heute eine verwunschene Welt – und das mitten in Lüneburg. Warum die Tour vor allem Kindern Spaß macht.
- Im Mittelalter stand auf dem Lüneburger Kalkberg eine mächtige Burg, die ein plötzliches Ende fand
- Später schufteten Strafgefangene hier: Der Gipsabbau brachte der Stadt viel Geld ein
- Heute ist der Kalkberg eines der ältesten innerstädtischen Naturschutzgebiete Deutschlands
Von rankenden Pflanzen umwucherte Wege, die sich um den kleinen Berg schlängeln, quakende Frösche im Tal darunter und ganz oben auf der Kuppe nicht nur ein Rundumblick auf Lüneburg, sondern auch: eine eiserne Kanone auf einem Sockel aus Backstein.
Lüneburger Kalkberg: Wo heute Natur sprießt, stand früher eine Burg
Eine fast verwunschene Welt verbirgt sich hinter den unscheinbaren Eingängen zum Naturschutzgebiet Lüneburger Kalkberg. Dessen bewegte Geschichte scheint hier manchmal fast spürbar. Auch für Familien mit Kindern, die einfach eine kleine Auszeit vom Stadtbesuch brauchen, ist der Kalkberg nahe der Lüneburger Altstadt ein idealer Ort für einen kurzweiligen Spaziergang.
Im frühen Sommer verschwinden die Konturen des Berges, der an seiner höchsten Stelle 56 Meter misst, unter einem wildwachsenden Pflanzengrün. Kaum fällt einmal kräftig Regen, sprießt es auf allen Flächen und aus allen Ecken des ungewöhnlichen Naturschutzgebietes, das nur etwa 700 Meter Luftlinie vom Lüneburger Rathaus entfernt liegt.
Mit etwas Glück sind auch die Ziegen anzutreffen, die das Gebiet pflegen. Die Zeugnisse der Vergangenheit fallen hier nicht sofort ins Auge. Doch wer genauer darauf achtet, kann Zeichen der verschiedenen Phasen im Leben des Kalkbergs erkennen.
Im Mittelalter eroberten Bürger der Stadt die Burg zurück
Da ist zunächst die Burg auf dem Berg. „Etwa vom 10. bis zum 12. Jahrhundert war sie das zentrale Element der Stadt, noch heute erinnert der Name Lüneburg daran“, sagt Ulfert Tschirner, Kurator für den Bereich Kultur im Museum Lüneburg. „Es ist ein Jammer, dass sie im Lüneburger Erbfolgekrieg zerstört wurde.“ Doch der Reihe nach.
Zu ihren Hochzeiten residierte der Herzog von Braunschweig-Lüneburg auf der „Hliuniburg“ – doch nach seinem Tod gab es Streit um die Nachfolge. Auf der einen Seite standen die Anhänger des Kaisers, auf der anderen die Welfen aus dem nahen Braunschweig. Diese unterstützte zunächst auch die Stadt Lüneburg, doch die kaiserlichen Askanier stellten größere Freiheiten in Aussicht. „Da hat die Stadt die Seiten gewechselt und handstreichartig die Burg erobert“, sagt Tschirner.
Kloster und Burg verschwanden im 14. Jahrhundert vom Berg
Zur Lichtmessfeier in der letzten Januarnacht 1371 sollen die Bürger sich, in Frauenkleider gewandt, in die Anlage eingeschlichen haben. Der erfolglose Versuch des Herzogs, in der sogenannten Ursulanacht im Oktober desselben Jahres die Burg zurückzuerobern, markierte ihr Ende.
Sie wurde geschleift, ein Großteil der Anlagen zerstört. Das Michaeliskloster, das etwa im 10. Jahrhundert an der Burg errichtet worden war, wurde abgetragen und innerhalb der Stadtmauern wieder aufgebaut.
„Wie die Burg im Mittelalter aussah, das weiß keiner. Doch sie muss gewaltig gewesen sein“, sagt Ulfert Tschirner. Zeichnungen aus dem 15. Jahrhundert zeigen einen Wachturm auf dem Plateau, womöglich der Bergfried. Heute erinnern nur noch die Überreste zweier Brunnen als steinerne Ringe im Boden an den einstigen Herrschaftssitz.
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Mit dem Dreißigjährigen Krieg endete die Phase der Selbstständigkeit für Lüneburg. Ab 1640 entstand erneut eine Festung auf dem Berg. „Die welfischen Herzöge wollten die Stadt in alle vier Himmelsrichtungen verteidigen“, sagt Tschirner.
Der Lüneburger Kalkberg liegt über einem Salzstock
Auch eine Kirche wurde gebaut, doch 1783 wieder abgebrochen. Die Festung verlor ebenfalls ihre Bedeutung und wurde zurückgebaut. Ein steinerner Obelisk mit einer Inschrift für hier bestattete Soldaten, etwa auf halber Höhe des Berges, verweist auf diese Zeit.
Dass der Kalkberg über die Jahrhunderte auf etwa ein Drittel seiner einstigen Größe geschrumpft ist, hat mit der nächsten Phase seiner Geschichte zu tun: der intensiven wirtschaftlichen Nutzung. Dies wurde möglich durch eine geologische Besonderheit.
Der Kalkberg, der eigentlich ein Gipsberg ist, entstand vor etwa 250 Millionen Jahren aus Meeresablagerungen. Er liegt über einem Salzstock, der an die Oberfläche gestiegen ist.
Gipsabbau machte die Stadt Lüneburg reich – neben dem Salz
Bereits vom 14. Jahrhundert an wurde an dem einst etwa 80 Meter hohen Berg Gips abgetragen. Neben dem Salz war dieser Rohstoff, aus dem der Mörtel für den Bau der Altstadthäuser entstand, ein wesentlicher Grund für die wirtschaftliche Stärke der Stadt.
Für den Abbau wurden weite Teile des Berges gesprengt. In einer kleinen Höhle am Wegrand, die mit einem Eisengitter versperrt ist, wurde vermutlich Sprengstoff gelagert. Auch der historische Gipsbrennofen am Fuße des Kalkbergs erinnert an die Phase als Industriegebiet.
Kanone auf dem Kalkberg erinnert an seine Geschichte
Im 18. und 19. Jahrhundert waren hier Sträflinge im Einsatz „Mit schweren Eisenketten an den Karren befestigt, mussten sie den Gips brechen. Das war eine ziemliche Plackerei“, sagt Tschirner. Die Kettenstrafe am Lüneburger Kalkberg war damals nach der Todesstrafe die zweithärteste Strafe im Kurfürstentum und späteren Königreich Hannover. Die Kettenstrafanstalt ist auch der Grund für die Kanone auf der Bergkuppe.
Der zweieinhalb Meter lange Zwölfpfünder wurde 1829 von der Festung Harburg herangeschafft und diente zusammen mit einem zweiten Exemplar als Signalkanone. „Wenn ein Sträfling entfloh, wurde dreimal Alarm geschossen. Bei mehreren Sträflingen knallte es sechsmal“, sagt Tschirner. So manch ein Bürger im Umland machte sich auf die Suche nach den Entflohenen – bei Erfolg gab es zur Belohnung zehn Reichstaler.
Lüneburger Kalkberg: Vom Burg-Standort zum Naturschutzgebiet
In den 1920er-Jahren wurde der Gipsabbau schließlich eingestellt. Seit 1932 steht der Kalkberg unter Naturschutz und ist damit eines der ältesten innerstädtischen Gebiete dieser Art. Auf einer Fläche von 7,6 Hektar hat sich eine bemerkenswerte Natur- und Pflanzenwelt entwickelt.
Etwa 250 Blütenarten gibt es in dem Gebiet, darunter einige bedrohte Pflanzen. Verschiedene Schmetterlingsarten leben hier ebenso wie der Kleine Wasserfrosch, der zum Spaziergang durch das Biotop sein Sommerkonzert beisteuert.