Lüneburg. Ein Highlight für Kulturfans: Der Unternehmer Henning J. Claassen schenkt seiner Heimatstadt ein Museum für moderne Kunst.

Wenn seine Geschäftspartner vom Konferenzraum auf den Golfplatz wechselten, kam er oft nicht mit. Er ging lieber shoppen. Als Unternehmer mit Niederlassungen in 15 Ländern kam Henning J. Claassen viel herum auf der Welt. Seine Firmen machten Gewinne und expandierten. Was Claassen anfasste, funktionierte.

Doch was ihn auf diesen Reisen neben den Geschäften am meisten interessierte, das war die Kunst: Seit gut 50 Jahren kauft der heute 78-Jährige Gemälde, Fotografien und Skulpturen. Jetzt macht er seine Sammlung öffentlich, in einem eigens erbauten Kunstmuseum in seiner Heimatstadt Lüneburg. Die im Herbst eröffnete „Kunstsammlung Henning J. Claassen“ liegt – inklusive schickem Café – in einem kubischen Bau mit einer Fassade aus Naturstein, edel und einladend zugleich. Ein Haus, das sich die 82.000-Einwohner-Stadt ohne ihren erfolgreichen Bürger niemals hätte erlauben können.

Er machte den Realschulabschluss und studierte Psychologie in Kalifornien

1944 in einer seit vier Generationen in Lüneburg ansässigen Bäckerfamilie geboren, zog es den jungen Mann früh in eine andere Welt: Nach Realschule und Lehre zum Industriekaufmann bei Phoenix in Harburg reiste er im Alter von 20 Jahren in die USA – per Frachtschiff. Zwei Wochen dauerte die Passage. Er legte seinen Highschool-Abschluss ab, studierte Psychologie und Volkswirtschaft in Kalifornien, kehrte danach aus familiären Gründen nach Deutschland zurück. In Hamburg nahm er seine erste Festanstellung an, bei Friedrich Karl Schröder, damals noch in der Rathausstraße ansässig.

Auch ein Café gibt es in der „Kunstsammlung Henning J. Claassen“ in Lüneburg – einem Kubus  mit Natursteinfassade.
Auch ein Café gibt es in der „Kunstsammlung Henning J. Claassen“ in Lüneburg – einem Kubus mit Natursteinfassade. © HA | Enno Friedrich

Doch schon damals wusste er: Er will selbstständig sein. Claassen war 27 Jahre alt, als er sein erstes Unternehmen für Klebstoffauftragung gründete. Und die erste Kunst für sein Büro kaufte: drei Lithografien von Paul Wunderlich. Sie hängen noch heute in seinem Büro.

Als es für Geschäftspartner kein adäquates Hotel gab, eröffnete er selbst eins

Es sollten noch einige Firmen mehr werden, die Claassen im Lauf seines Lebens gründete. Er baute sie auf, machte sie erfolgreich, ließ sie wachsen – und verkaufte. Als es für die Geschäftspartner seiner ersten Firma in Lüneburg kein adäquates Hotel gab, eröffnete er kurzerhand selbst eins.

Wobei „kurzerhand“ stark übertrieben ist – und untertrieben zugleich. Für sein Hotel „Bergström“, Jahre später berühmt als „Drei Könige“ in der Fernsehserie „Rote Rosen“, kaufte er verfallene Gebäude im Lüneburger Wasserviertel. Was als Hotel mit 65 Zimmern begann, wuchs zum Ensemble aus zwölf, zum großen Teil jahrhundertealten Gebäuden, darunter zwei Wassermühlen und ein historischer Turm früherer Bierbrauer. Was aus dem Viertel rund um den historischen Hafen und seinem alten Kran geworden wäre ohne Claassen: Keiner weiß es.

Für seine Firmen reiste Claassen jahrzehntelang um die ganze Welt

Die Stadt jedenfalls weiß das Engagement des Unternehmers zu schätzen und verlieh ihm die Würde des Ehrenbürgers. Der unter anderem auch Vorstandsvorsitzender der Bürgerstiftung St. Nicolai ist und 1997 die Initiative „Schützt die Opfer e.V.“ für Frauen und Kinder als Opfer von Gewalt gründete.

Über zwei Stockwerke erstreckt sich die Ausstellung. Seit gut 50 Jahren kauft der heute 78-Jährige Kunstwerke auf der ganzen Welt.
Über zwei Stockwerke erstreckt sich die Ausstellung. Seit gut 50 Jahren kauft der heute 78-Jährige Kunstwerke auf der ganzen Welt. © HA | Enno Friedrich

Für seine Firmen reiste Claassen jahrzehntelang um die ganze Welt. Allein die Impreglon SE mit ihren 1.300 Angestellten war mit 35 Werken auf 15 Länder verteilt. Klar machte auch er seine Platzreife – „für die Augenhöhe“, wie er nicht ohne ein Lächeln bemerkt. Aber lieber als über den Golfplatz bummelte er durch Galerien.

Seine Sammlung, sagt Claassen, wolle er sich nicht alleine angucken

Wonach er bei seinen Kaufentscheidungen ging? „Nicht nach Kunstverständnis und nicht nach Bekanntheit des Namens“, sagt der Sammler. „Es ging immer nur darum: Gefällt es mir oder nicht? Ganz einfach.“ Auch mit Wertsteigerung hat sich der Unternehmer nur bei seinen Firmen beschäftigt – nicht bei den Kunstwerken. Seinen Alex Katz, den er vor 40 Jahren kaufte, heute mit Gewinn veräußern? Das würde er nie tun. „Die Sammlung ist besonders, weil sie innerhalb von 50 Jahren auf der ganzen Welt entstanden ist“, sagt der Unternehmer. „Das möchte ich mir nicht alleine angucken.“

Und aller fehlenden Taktik zum Trotz hängen in seiner Sammlung heute Namen, die Kenner wie Laien aufhorchen lassen, aufgezählt nach Alphabet und Vorname: Banksy, A.R. Penck, Armin Mueller-Stahl, David Hockney, Georg Baselitz (ein aufrechtes Motiv!), Gerhard Richter, Günter Grass, Helmut Newton, Markus Lüpertz, Neo Rauch, Niki de Saint Phalle, Pablo Picasso, Roy Lichtenstein, Salvador Dali, Steve McCurry, Tom Wesselmann.

Die wohl eindrucksvollste Figur der Sammlung hat der Australier Sam Jinks geschaffen: eine Skulptur aus Kunstharz, Silikon, Glasfaser und menschlichem Haar. Allein für die Faszination der Betrachtung dieser „Reunion“ lohnt sich der Besuch der Sammlung.

Die Kunstsammlung Henning J. Claassen im Sankt-Ursula-Weg 1 ist geöffnet donnerstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr. Eintritt ab 16 Jahren oder in Begleitung Erwachsener: 4 Euro, ermäßigt 2 Euro. www.kunstsammlung-henningjclaassen.de