Lüneburg. Weihnachtsgewimmel und Lichtermeer: Im Advent bieten Ehrenamtliche Ausflüge auf zwei historische Kirchtürme in Lüneburg an.

Am liebsten sieht sie alles von oben: Wenn Dorit Baumeister zu Besuch in einer anderen Stadt ist, steuert sie eines stets mit Sicherheit an – die Kirchtürme. „Das geht gar nicht anders“, sagt sie und lacht. Und hat sich in ihrer Heimatstadt ein Ehrenamt gesucht, das besser kaum passen könnte: Als Mitglied der Turmführergilde stapft sie regelmäßig mit Gruppen gen Himmel.

St. Johannis und St. Nicolai heißen die beiden Kirchen, deren Türme öffentliche Aufstiege möglich machen. St. Johannis liegt Am Sande, St. Nicolai im Wasserviertel, von beiden ist der Blick gerade jetzt, in der Adventszeit mit der weihnachtlich geschmückten Lüneburger Innenstadt und ihren zahlreichen Weihnachtsmärkten, besonders zauberhaft.

Geschichten erzählt die 51-Jährige gern, wenn es heißt: einmal Richtung Himmel, bitte

An diesem Tag ist Dorit Baumeister in St. Johannis unterwegs. Schon der Treffpunkt, die Turmhalle, bietet Stoff für eine Erzählung – und Geschichten erzählt die 51-Jährige gern, wenn es heißt: einmal Richtung Himmel, bitte. „Die Turmhalle ist zehn Mal zehn Meter groß“, sagt sie und macht eine kurze Kunstpause. „Das ist ja ziemlich groß für eine Kirche. Haben Sie eine Ahnung, warum das hier so ist?“

Elf Glocken hängen in St. Johannis: Die Älteste ist die Apostelglocke, sie stammt aus dem Jahr 1436.
Elf Glocken hängen in St. Johannis: Die Älteste ist die Apostelglocke, sie stammt aus dem Jahr 1436. © HA | Carolin George

Die hat natürlich niemand aus der Gruppe – und zu erahnen ist die Antwort ebenfalls nicht. Also gibt Dorit Baumeister sie selbst. Gebaut ab dem Jahr 1289, zählte die Kirche lange zu den wenigen gemauerten Gebäuden Lüneburgs. Den Händlern war erlaubt, ihre Pferdefuhrwerke samt Waren über Nacht in der Turmhalle zu parken.

„St Johannis war immer eine Bürgerkirche“, erklärt die Turmführerin

„Dies zeigt: St Johannis war immer eine Bürgerkirche“, erklärt die Turmführerin weiter. „Anders als in Verden hatten wir hier nie einen Bischof. Als der einmal Interesse an Lüneburg zeigte, übernahm der Rat der Stadt kurzerhand selbst das Patronat über die Kirchen St. Johannis und St. Nicolai. Man wollte sie nicht aus der Hand geben.“ Bis heute sind daher Mitglieder des Rates auch Mitglieder der jeweiligen Kirchenvorstände.

Hoch hinauf geht’s anschließend, exakt 194 Stufen. Dorit Baumeister hat sie zwar nie selbst gezählt, aber im Kreis der Gilde kennt man die Zahl natürlich. Und bei einer Führung durch den – von außen sichtbar schiefen – Turm der Kirche darf die Geschichte der Legende um den Baumeister nicht fehlen: Demnach stürzte der sich vom Turm hinab, als er sah, wie schief sein Werk geraten war. Und fiel halbwegs sanft auf ein Pferdefuhrwerk.

Dorit Baumeister führt seit 16 Jahren ehrenamtlich Gruppen in die Kirchtürme von St. Johannis und St. Nicolai in Lüneburg.
Dorit Baumeister führt seit 16 Jahren ehrenamtlich Gruppen in die Kirchtürme von St. Johannis und St. Nicolai in Lüneburg. © HA | Carolin George

Dabei hatte er vermutlich gar keine Schuld daran, dass der Turm so stark aus dem Lot ist: um 1,30 Meter nach Süden und 2,20 Meter nach Westen. Die Schieflage liegt vielmehr am Untergrund, erklärt Dorit Baumeister: So wurde die heutige St. Johanniskirche auf dem Fundament einer vorher vorhandenen Kapelle gebaut. Die Erde dort war bereits verdichtet, die daneben noch nicht – also gab es Senkungen.

Geschichte über Geschichte zu erzählen: Das reizt nicht nur Dorit Baumeister an ihrem Ehrenamt

Geschichte über Geschichte zu erzählen: Das reizt nicht nur Dorit Baumeister an ihrem Ehrenamt. „Das tun wir alle aus der Turmführergilde gern“, sagt sie. Etwa ein Dutzend Männer und Frauen zählen dazu, sie bieten die Touren kostenlos an und bitten anstatt um ein Honorar um Spenden für die jeweilige Kirchengemeinde.

Am Ziel angekommen, steht die Gruppe dort, wo ansonsten jeden Wochentag um 9 Uhr und jeden Sonnabend um 10 Uhr ein Turmbläser Choräle in alle vier Himmelsrichtungen aus den Fenstern hinaus spielt.

Der weihnachtlich beleuchtete Marktplatz am Sande.
Der weihnachtlich beleuchtete Marktplatz am Sande. © HA | Carolin George

Von hier aus lässt sich aus den Fenstern die Stadt von oben betrachten. Und das tut nicht nur Dorit Baumeister besonders gern, sondern auch Petra Dunkel. Die Lüneburgerin hat schon unzählige Kirchtürme in fremden Städten bestiegen – der von St. Johannis ist an diesem Sonnabend eine Premiere für sie. Die Tour gefiel ihr so gut, dass sie schon einen Plan für das nächste Wochenende hat: „Dann ist St. Nicolai dran. Das lasse ich mir nicht entgehen.“

Weitere öffentliche Touren bietet die Lüneburger Turmführergilde am Sonnabend, 9. Dezember, sowie Sonnabend, 16. Dezember, an. Start an St. Johannis ist um 16.30 Uhr, an St. Nicolai um 19 Uhr.

Treffpunkt ist jeweils die Turmhalle, eine Anmeldung ist nicht nötig. Nach der Winterpause starten die regelmäßigen Führungen wieder an Ostern. Gruppen können separate Termine vereinbaren unter Telefon 04131-8983711. Um Spenden wird gebeten. Mehr Informationen gibt es hier: www.turmfuehrergil.de.