Verteidigungsminister Thomas de Maizière über die Zukunft der Bundeswehrstandorte im Norden sowie über den umstrittenen Panzerdeal.
Berlin. Wer viel hat, muss viel geben - nach dieser Devise will Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière bei der Bundeswehrreform verfahren. Im Abendblatt-Interview spricht der CDU-Politiker erstmals ausführlich über umstrittene Rüstungsexporte wie möglicherweise jetzt nach Saudi-Arabien.
Hamburger Abendblatt: Herr Minister, wie fühlen Sie sich als Erbe von Karl-Theodor zu Guttenberg?
Thomas de Maizière : Gut.
Was machen Sie anders als der Freiherr?
de Maizière: Jeder hat seinen Stil. Ich bin, wie ich bin. Und andere sind, wie sie sind.
Hat Guttenberg die Bundeswehrreform gut vorbereitet?
de Maizière: Ich habe auf viele seiner Vorarbeiten aufbauen können.
Wer ist eigentlich Gewinner dieser Reform?
de Maizière: Die Bundeswehr. Bisher wurde zu oft gesagt: Leider müssen wir das machen. Aber mit so einer inneren Haltung würde die Bundeswehrreform ein Misserfolg. Die Neuausrichtung ist eine tolle Chance, auf die Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren. Man sollte die Reform nicht als notwendiges Übel ansehen.
Die Ministerpräsidenten der norddeutschen Bundesländer fürchten um ihre Bundeswehr-Standorte. Können Sie McAllister, Carstensen und Sellering beruhigen?
de Maizière: Nein, ich muss sie aber auch nicht beunruhigen. Wir sind bei der Feinausplanung, die sehr fachlich und sachlich läuft. Da gibt es keine Vorlieben und auch keine politischen Geschäfte. Die Entscheidung fällt im Oktober.
Worauf muss sich der Norden jetzt einstellen?
de Maizière: Wenn man sich im Ländervergleich die Zahl der Dienstposten pro Einwohner anschaut, stellt man fest: Schleswig-Holstein steht auf Platz eins, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. In Hamburg gibt es zum Beispiel die Führungsakademie der Bundeswehr, die Bundeswehruniversität und das Bundeswehrkrankenhaus.
Bleiben die Hamburger Einrichtungen verschont?
de Maizière: Ich nehme in keinem einzigen Fall die Entscheidung vorweg - nicht einmal bei der Führungsakademie. Ich kann aber verstehen, dass die Sorgen des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten größer sind als die der thüringischen Ministerpräsidentin. Auf die Länder mit den meisten Dienstposten pro Einwohner kommen sicherlich größere Einschnitte zu als auf jene, in denen weniger Bundeswehr angesiedelt ist.
Der frühere Generalinspekteur Kujat hat eine Größenordnung genannt: Ein Drittel der 400 Standorte in Deutschland werde bestimmt stillgelegt. Liegt er völlig daneben?
de Maizière: Die Größenordnung kann ich nicht bestätigen. Wir werden Standort für Standort prüfen und zu einer fairen und ausgewogenen Entscheidung kommen.
Werden Kommunen entschädigt, aus denen die Bundeswehr abzieht?
de Maizière: Ein Ausgleichsprogramm des Bundes wird es nicht geben. Wir verlangen in Regionen, in denen die Bundeswehr angesiedelt ist, ja auch keinen Anteil der Gewerbesteuer. Die Kommunen haben die Möglichkeit, bestehende Strukturförderprogramme zu nutzen. Wir können gern auch über die verbilligte Abgabe von Liegenschaften reden. Aber mehr ist nicht drin.
Freiwilligenarmeen ziehen Soldaten an, die keine Berufsausbildung haben oder sogar straffällig geworden sind - sagt Schleswig-Holsteins CDU-Vorsitzender Christian von Boetticher. Was antworten Sie Ihrem Parteifreund?
de Maizière: Das ist Unsinn. Zwei Drittel der Bewerber für die Mannschafts- und die Unteroffizierslaufbahn haben einen qualifizierten Berufsabschluss.
Wie finden Sie genügend qualifizierte Freiwillige für die Bundeswehr?
de Maizière: Wir haben bisher genügend Zulauf. Bei den Zeitsoldaten kommen bisher drei Bewerbungen auf eine Stelle. Bei Offizieren ist das Verhältnis sogar sechs zu eins. Auch charakterliche Eignung spielt bei der Auswahl eine Rolle. Außerdem haben wir bei den freiwillig Wehrdienstleistenden eine sechsmonatige Probezeit im Gesetz.
Können die Freiwilligen auf mehr Geld hoffen?
de Maizière: Die Gehaltssituation der freiwillig Wehrdienstleistenden ist sehr gut. Sie kommen auf rund 1000 Euro im Monat - steuerfrei und ohne Sozialabgaben. Zeigen Sie mir einen Jugendlichen mit 18 oder 19 Jahren, der das verdient. Was wir brauchen, sind bessere Bedingungen für die Zeit- und Berufssoldaten. Daher arbeiten wir an einem Attraktivitätsprogramm.
An welchen Meilenstein der schwarz-gelben Koalition werden sich die Bürger am Ende der Wahlperiode eher erinnern: die Bundeswehrreform oder Steuersenkungen?
de Maizière: Die Nachwelt entscheidet selbst, was sie besonders bedeutend findet. Nicht wir.
Sind Sie bereit, im Verteidigungsetat zu kürzen, um Steuersenkungen zu finanzieren?
de Maizière: Die Finanzplanung für die Bundeswehr steht. Und sie bleibt.
Wo kann dann gespart werden?
de Maizière: Die Entscheidung fällt im Herbst. Steuersenkungen sollte man entweder machen oder lassen - und nicht ständig davon reden.
Was versprechen Sie sich von Steuersenkungen - außer der Stabilisierung des Koalitionspartners?
de Maizière: Es geht um Gerechtigkeit. Klein- und Mittelverdiener haben von Lohnerhöhungen zu wenig. Das haben wir im Blick.
Wie erleben Sie die Stimmung im Kabinett?
de Maizière: Gut und viel besser, als die Medien es häufig beschreiben.
Vermissen Sie manchmal die Herren Steinbrück und Steinmeier?
de Maizière: Ich habe mit den Herren Steinmeier und Steinbrück, aber zum Beispiel auch mit Herrn Müntefering und Herrn Scholz sehr gut zusammengearbeitet. Das war eine gute Koalition für Deutschland. Wir sollten die Leistungen der Großen Koalition nicht schlechtreden, nur weil wir jetzt in einer anderen Regierung sind. Die bürgerliche Koalition arbeitet ebenfalls gut. Insofern vermisse ich die Kollegen von der SPD nicht.
Steinbrück und Steinmeier genießen bei den Bürgern inzwischen größeres Ansehen als die Kanzlerin ...
de Maizière: Die Opposition hat es natürlich viel einfacher, weil sie nicht in der Verantwortung ist. Der von mir geschätzte Herr Steinbrück hat so gute Umfragewerte, weil er gerade nichts macht, außer sein Buch zu promoten. Wer in schwierigen Zeiten arbeitet, darf nicht darauf achten, populär zu sein.
Sie werden gelegentlich als Reserve-Kanzler beschrieben. Nervt Sie das?
de Maizière: Mich kann nichts nerven, was vollkommen abwegig ist.
Herr Minister, wie wirken sich Rüstungsexporte auf den Weltfrieden aus?
de Maizière: Zur internationalen Zusammenarbeit gehört auch internationale Rüstungskooperation. Sie findet zum großen Teil innerhalb der Europäischen Union und der Nato statt. Rüstungslieferungen dienen auch der Stabilisierung politischer Partner.
Ist es vertretbar, schwere Waffen an Diktaturen zu liefern?
de Maizière: Die Entscheidung über Rüstungslieferungen ist zunächst eine sicherheitspolitische. Menschenrechtsüberlegungen müssen eine Rolle spielen, doch überwiegen die internationalen Sicherheitsinteressen.
Menschenrechte spielen eine untergeordnete Rolle?
de Maizière: Es hängt auch vom Waffentyp ab, in welcher Weise der Menschenrechtsaspekt in die Exportentscheidung einfließt. Mit Handfeuerwaffen kann man Aufstände niederschlagen. Mit U-Booten eher nicht.
Ist Saudi-Arabien für Sie eine Diktatur? Oder ein Verbündeter? Oder beides?
de Maizière: Saudi-Arabien ist ein Land, das gar nicht unseren Maßstäben der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entspricht. Leider muss man feststellen, dass dies für die meisten Staaten dieser Welt gilt. Saudi-Arabien ist einer der wichtigsten Stabilitätsanker in der Region. Das Königreich ist ein Verbündeter des Westens. Es grenzt an den Jemen, der in großer Gefahr ist, ein fallender Staat zu werden - und der Terrororganisation al-Qaida noch mehr Raum zu geben. Es liegt im westlichen Interesse, dass Saudi-Arabien diese stabilisierende und mäßigende Rolle in der Region weiterspielen kann.
Bundestagsabgeordnete auch der Regierungsfraktionen fordern Aufklärung über die geplante Lieferung von 200 Kampfpanzern "Leopard 2" an den Persischen Golf ...
de Maizière: Der Bundessicherheitsrat tagt geheim. Über erfolgte Waffenlieferungen wird berichtet. Insofern sehe ich kein Defizit an Transparenz. Es gibt weltweit einen harten Wettbewerb um Rüstungsgeschäfte. Dazu kommt die Sorge um den Abfluss von Technologie. Manchmal werden Exportentscheidungen auch mit Nachbarstaaten konsultiert. Da hat keiner der Beteiligten ein Interesse, dass Informationen an die Öffentlichkeit dringen. Es gibt gute Gründe für die Geheimhaltung.
Können Sie das Unbehagen im Bundestag nachvollziehen?
de Maizière: Natürlich kann ich das nachvollziehen. Es handelt sich um schwierige Abwägungen. Ich bin seit sechs Jahren im Bundessicherheitsrat und kann sagen, dass sich alle Beteiligten immer sehr verantwortungsvoll verhalten haben. Über Waffenexporte wird nicht im Hauruckverfahren entschieden.
Abgeordnete von SPD und Grünen wollen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen ...
de Maizière: Ich kann mir nicht recht vorstellen, wo da eine Klagemöglichkeit sein könnte. SPD und Grüne, die sich jetzt über ein Rüstungsgeschäft empören, haben sich genauso verhalten, als sie an der Regierung waren. Ich rate insbesondere Sozialdemokraten zur Vorsicht, wenn sie kritisieren, was wir tun.