Rund 300 Häuser der als Welterbe geschützten Innenstadt verfallen momentan. Wer nicht saniert, könnte jetzt sogar enteignet werden.

Stralsund. Die Hansestadt Stralsund will die Eigentümer von unsanierten Häusern in der als Unesco-Welterbe geschützten Innenstadt zum Handeln drängen. Die Betroffenen würden derzeit systematisch aufgefordert, die Sanierung ihrer Häuser in Angriff zu nehmen, sagte der Leiter der Abteilung Planung und Denkmalschutz, Ekkehard Wohlgemuth, am Mittwoch. In der Innenstadt würden rund 1000 Häuser stehen, die Hälfte davon seien als Einzeldenkmale geschützt. Rund 300 Häuser sind laut Wohlgemuth nicht saniert, darunter auch etwa 50 Gebäude, die unter Denkmalschutz stehen. Sollte deren Sanierung weiter auf sich warten lassen, drohe im schlimmsten Falle den Eigentümern eine Enteignung.

Wohlgemuth wies aber auch auf die großen Fortschritte bei der Erhaltung des historischen Stadtviertels hin. Rund 70 Prozent der Häuser seien inzwischen saniert oder teilsaniert. Damit habe sich das Verhältnis von sanierten und unsanierten Gebäuden seit der Wende umgekehrt.

Dennoch drängt die Stadtverwaltung „säumige“ Hausbesitzer, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. „Die Netzmaschen werden enger für die, die nicht guten Willens sind und meinen, die Häuser als Spekulationsobjekt nutzen zu können“, sagte Bauamtsleiter Dietmar Hartlieb. Die Stadt wolle alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, die das Denkmalschutzgesetz, das Baugesetzbuch oder auch ein städtebauliches Gebot eröffneten. Finanzschwachen Eigentümern werde zudem angeboten, die Gebäude durch die Stadt über ein Treuhandmodell in den Zwischenerwerb zu nehmen. Zugleich werde über die Nutzung von Fördermitteln, beispielsweise aus dem Bürgerhausprogramm, informiert.

In Gesprächen mit betroffenen Hauseigentümern würden Vereinbarungen über den Beginn der Sanierungsarbeiten angestrebt, sagte Wohlgemuth. In einem Fall sei einem Eigentümer bereits eine Enteignung angedroht worden. Dieser habe inzwischen sein Haus verkauft. Die Stadt könne nicht zulassen, dass das Welterbe verfalle.

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Erhalt von Baudenkmalen stößt an Grenzen

Alte Gutshäuser und Bauernkaten verfallen, weil die Besitzer die Gebäude nicht sanieren oder potente Käufer fehlen. Denkmalpfleger mahnen den Erhalt der Bauwerke an. Auf Rügen müssen Häuser von der Denkmalliste genommen werden – sie sind inzwischen eingestürzt.

Rügens Denkmalpfleger Markus Sommer-Scheffler begutachtet mit einem fachmännischen Rundblick die klassizistischen Gebäude am Putbuser Markt. Dann steuert der 55-Jährige auf ein Eckhaus zu. Der Putz rieselt von der Fassade, Risse im mehr als 130 Jahre alten Gemäuer zeugen von zweifelhafter Statik. Im Garten liegen Trümmer – Teile der Rückwand sind zusammengebrochen. „Das Haus ist einsturzgefährdet“, konstatiert der Denkmalpfleger. Die Eigentümer hätten schon einen Abrissantrag gestellt. Doch Sommer-Scheffler will das Haus mit der Denkmalnummer 562 nicht so einfach loslassen. Ein Treffen mit den Besitzern ist vereinbart. „Mal sehen, was sich machen lässt.“

Seit einem Monat tourt Sommer-Scheffler über Rügen, um die rund 1200 Baudenkmale der Insel zu inspizieren. Ein elektronisches Notizbuch hilft ihm. Auf dem handygroßen Gerät ist die Rügener Denkmalliste von 1995-1997 gespeichert. Rund 120 Objekte hat er bereits begutachtet. Neunmal stand er dabei vor einem Trümmerhaufen - oder vor einem neuen Gebäude. Noch vor 15 Jahren fotografierte Objekte wie ein Barockhaus in Darsband oder ein Gutshof in Helle muss Sommer-Scheffler von der Liste streichen, weil es sie schlichtweg nicht mehr gibt. „Es ist ein Trauerspiel“, beklagt er.

Sommer-Scheffler vermutet, dass Käufer in den Jahren nach der Wende alte Gebäude – vom Bauernkaten bis zum Gutshaus – erwarben, um sie weiter verfallen und an deren Stelle neue Häuser errichten zu lassen. „Glücksritter“ nennt er sie mit deutlich vernehmbarer Wut in der Stimme. „Rügen geht Jahr für Jahr ein Stück Kulturgut verloren.“ Weil Straßen umbenannt, Hausnummern neu vergeben wurden, sei es für die Kreisverwaltung zudem nicht mehr sofort ersichtlich, ob ein Haus, für das ein Abrissantrag gestellt wurde, unter Denkmalschutz stehe. Mit der aktualisierten Liste soll der Kontrolldruck erhöht werden.

Doch Sommer-Scheffler sind auch der Grenzen seines Engagements für die Zeugnisse alter Baukunst bewusst. Einen Münsterländer forderte er nach eigenen Angaben auf, das kaputte Dach seines seit Jahren leerstehenden Gutshauses zu sichern. Statt eines Bautrupps schickte der Eigentümer einen Brief: Er könne nicht einmal das Benzin für die Fahrt nach Rügen bezahlen. „Wir sind ein zahnloser Tiger, trotz Mahnschreiben, Sicherungsaufforderungen oder Zwangsgeldandrohungen“.

Wenn Eigentümer nachweisen könnten, dass eine Sanierung nicht mehr zumutbar sei, dürfe der Abriss nicht verweigert werden, erklärt Sommer-Scheffler. Er zeigt auf ein Gegenbeispiel. Das weiße Honoratiorenwohnhaus auf der anderen Seite des Putbuser Marktes, erbaut um 1840, werde nach der Sanierung neu genutzt. In Pastlitz, einem kleinen Flecken bei Putbus, lasse ein emeritierter Professor aus Berlin derzeit ein Gutshaus zum Alterswohnsitz umbauen.

Allein in Vorpommern gibt es 750 Gutsanlagen und Herrenhäuser. Noch viele suchen nach finanziell potenten Käufern, die die Häuser aus dem Dornröschenschlaf wecken. In einem Katalog hatte der Regionale Planungsverband Vorpommern 29 Häuser vorgestellt. 14 davon sind inzwischen verkauft und werden saniert, wie Verbandschefin Christiane Falck-Steffens weiß. Ob der Verband eine solche Aktion wiederholt, ist wegen der hohen Kosten offen. „Der Weg ist mühsam.“

Für Investoren birgt der Kauf solcher Immobilien besondere Herausforderungen, wie Architektin Bettina Allewelt vom Hauseigentümerverband Haus und Grund berichtet. Für einige komme das böse Erwachen nach dem Kauf. „Dann stellt sich heraus, dass die Nachfrage für die künftige Nutzung nicht so groß ist wie noch im Verkaufsgespräch suggeriert.“ Sie rät, sich vor dem Kauf gründlich über das Objekt zu informieren. Hinzu kämen die Auflagen des Denkmalschutzes. Da helfe meist nur das Gespräch und die Suche nach vernünftigen Kompromissen, sagt Allewelt. „Auch Denkmalpfleger wissen, dass der beste Schutz vor dem Verfall die Nutzung ist.“

Bis Ende des Jahres will Sommer-Scheffler alle geschützten Häuser auf Rügen besuchen. Wie viele der 1200 Objekte dann nicht mehr auf der Denkmalliste stehen, kann er noch nicht sagen. Stralsund will am Mittwoch darüber informieren, mit welchen rechtlichen Möglichkeiten sie den Druck auf Eigentümer unsanierter Häuser erhöhen will.