Zwei Tage vor seinem Suizid wollte der Armenier offenbar die Beamten schlagen. Sein zweiter Sohn soll in Aserbaidschan ermordet worden sein.
Hannover. Rund 48 Stunden vor dem Selbstmord eines armenischen Abschiebehäftlings ist es im Gefängnis Langenhagen zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung gekommen. Gegen 18 Uhr war der 58-Jährige am Mittwoch in das Büro der Beamten gekommen und hatte über Probleme geklagt, sagte ein Sprecher des Justizministeriums am Mittwoch in Hannover. Bei der folgenden Befragung sei der Mann aggressiv geworden und habe versucht die Beamten zu schlagen. Es wurde niemand verletzt. Nach dem Vorfall sei er für die Nacht in eine videoüberwachte Einzelzelle gebracht worden. Der Mann hätte in dieser Woche nach Armenien abgeschoben werden sollen. Am Tag nach der Auseinandersetzung hat sich der 58-Jährige laut Justizministerium mehrfach bei den Beamten für sein Verhalten entschuldigt. Er habe sich nicht erklären können, wie es zu seinem Ausraster kommen konnte. Bevor er am Tag darauf wieder in seine eigene Zelle verlegt wurde, hätte es erneut Gespräch mit dem Mann und der Ausländerbehörde gegeben. Auch seine Familie habe ihn an dem Tag im Gefängnis besucht. „Das ist alles sehr harmonisch verlaufen, weshalb es bis zu der Tat selbst keine Hinweise auf die Suizidgefahr gab“, erklärte der Ministeriumssprecher.
Neben dem Empfang von Besuch dürfen sich Abschiebehäftlinge in der Justizvollzugsanstalt von sieben bis 19 Uhr zudem innerhalb des Zellentraktes frei bewegen. Unklar ist dagegen noch, ob der Mann nach der Auseinandersetzung mit den Beamten Beruhigungsmittel erhalten hat. „Uns liegen die Unterlagen nicht vor, da die ärztliche Schweigepflicht auch über den Tod eines Menschen besteht“, erklärte der Sprecher des Justizministeriums.
Der Freitod des Mannes ändere nichts an der Ablehnung des Asylantrags der 54-jährigen Ehefrau, erklärte eine Sprecherin des zuständigen Landkreises Harburg bei Hamburg. Einzig der 28-jährige Sohn habe die Erlaubnis, in Deutschland zu bleiben. Bei ihm könne nicht ausgeschlossen werden, dass sein Leben und seine Gesundheit in Armenien gefährdet seien. Wie die Sprecherin erklärte, sei im benachbarten Aserbaidschan bereits der Bruder des 28-Jährigen gewaltsam durch das dortige Militär ums Leben gekommen.
Die Opposition im Landtag hatte nach Bekanntwerden des Suizids von Innenminister Uwe Schünemann (CDU) eine Lockerung der aus ihrer Sicht „inhumanen“ Abschiebepraxis gefordert. Zudem will sie das Thema im Rechtsausschuss des Landtags diskutieren. Auch die FDP will sich jetzt intensiver mit der niedersächsischen Abschiebepraxis beschäftigen. Der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Roland Zielke plädiert nach dem tragischen Todesfall dafür, dass sich der Landtags-Unterausschuss Justizvollzug nun vor Ort in Langenhagen ein Bild von der Abschiebepraxis macht.
Anlässlich des Todes des 58-Jährigen haben das Antirassismusplenum in Hannover und der Flüchtlingsrat Niedersachsen für Freitag in Hannover zu einer Demonstration gegen Abschiebehaft aufgerufen. Ab 17 Uhr wollen die Abschiebegegner durch die Innenstadt ziehen. Zudem ist in der Innenstadt eine Kundgebung geplant.