Junge Betriebswirtin sollte zurück nach Russland - weil sie monatlich “nur“ 2500 Euro brutto verdiente.
Sie ist jung, hervorragend ausgebildet, auf dem Arbeitsmarkt begehrt - trotzdem wollen die Hamburger Behörden Irina Kowlova (26, Name geändert) in ihre russische Heimatstadt St. Petersburg abschieben. Grund: Sie verdiene zu wenig - "nur 2500 Euro monatlich".
Damit sei das Bruttogehalt der jungen Frau, die seit 1. September 2008 in der Finanzabteilung einer Mineralölfirma fest angestellt ist, 200 Euro zu niedrig. Bei ihrer Qualifikation müsse die Betriebswirtin schon während der sechsmonatigen Probezeit mindestens 2700 Euro verdienen, so die Behörden.
"Ich bin verzweifelt, kann keine Nacht mehr schlafen", sagt Irina Kowlova, während sie im Winterhuder Wohnzimmer einer befreundeten Familie sitzt. Ihr Gesicht ist blass, ihre dunklen Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. "Ich stehe kurz davor, meine Existenz zu verlieren", sagt sie mit zittriger Stimme in nahezu akzentfreiem Deutsch. "Das Schlimmste ist: Niemand kann mir erklären, was ich eigentlich falsch gemacht habe."
Die Geschichte: 2003 kommt Irina Kowlova, Tochter zweier Biologen, nach Deutschland. Sie studiert zunächst Germanistik an der Universität Bremen. Im Oktober 2004 wechselt sie zum BWL-Studium an die Universität Hamburg. Drei Jahre später erhält sie ihr Diplom. Kowlova wird Trainee bei einem international tätigen Konzertveranstalter. Zum 1. September 2008 bietet ihr eine Hamburger Mineralölfirma eine unbefristete Stelle in der Finanzabteilung an. "Mein Traumjob", sagt sie. "Und so gut bezahlt. Ich war richtig glücklich."
Bis sie der Agentur für Arbeit ihren Vertrag vorlegte, damit ihn die zuständige Beraterin auf Gehalt, Arbeitszeiten und Urlaubsanspruch hin prüfen konnte. Bis man ihr mitteilte, dass sie den Job nicht annehmen dürfe. Dass ihre Arbeitserlaubnis nicht verlängert werde. "Ich war wie vor den Kopf gestoßen, als mir die Beraterin den Grund nannte. Nämlich, dass ich zu wenig verdiene."
Verzweifelt wendet sich Kowlova an ihren Arbeitgeber. "Ich habe mich erst nicht getraut", sagt sie. "Ich hatte Angst, dass die Firma sagt: Wenn die Frau so kompliziert ist, dann vergeben wir die Stelle eben anderweitig." Kowlovas Chef ist tatsächlich verwirrt, beauftragt einen Anwalt, um die Rechtslage zu klären. "Doch auch der konnte sich zunächst keinen Reim auf die Sache machen", sagt Kowlova.
Auf Abendblatt-Nachfrage hieß es bei der zuständigen Ausländerabteilung: "Wir können zu diesem Verfahren nichts sagen. Wir reagieren auf Ansage der Agentur für Arbeit." Ein Problem, das Irina Kowlova kennt. "Ich habe das Gefühl, dass mein Fall hin und her geschoben wird. Dabei werden doch angeblich dringend Fachkräfte gesucht."
Knut Böhrnsen, Sprecher der Agentur für Arbeit, rückt den Fall in ein anderes Licht: "Es gibt in Hamburg jedes Jahr einige wenige Firmen, die ausländischen Arbeitnehmern ein Gehalt anbieten, das unter dem ortsüblichen oder tariflichen Lohn liegt. Manche Unternehmen tun dies vorsätzlich, andere schlicht aus Unwissenheit." So gelte für Kowlovas Tätigkeit der Tarifvertrag für den Groß- und Außenhandel, der ein Bruttogehalt von 2700 Euro vorsehe. "Wir müssen darauf achten, dass der Hamburger Arbeitsmarkt nicht von Dumping-Löhnern unterwandert wird", sagt Böhrnsen. In der Regel wüssten die betreffenden Firmen genau, welchen Marktwert ihre Arbeitnehmer hätten. "Wir weisen die betreffenden Firmen darauf hin, dass das vorgeschlagene Gehalt nicht stimmt. Daraufhin bekommt jede Firma die Möglichkeit, den Arbeitsvertrag nachzubessern."
So war auch Irina Kowlovas Chef bereit, ihr monatliches Gehalt um die erforderlichen 200 Euro zu erhöhen. Auch ihre Arbeitserlaubnis sei mittlerweile verlängert worden, sagt Kowlova. "Einerseits bin ich froh, dass sich für mich alles aufgeklärt hat", sagt die junge Frau. "Andererseits bin ich wütend. Denn es gibt bestimmt Dutzende ausländischer Fachkräfte, die schon abgeschoben worden sind aus Gründen, die sie selbst bis heute nicht verstehen."