Ursprünglich hatte die EU-Kommission Zahlungen in Höhe von 150 Millionen Euro vorgeschlagen, nun werden 210 Millionen ausgeschüttet.

Brüssel/Rendsburg/Hamburg. 210 Millionen Euro Entschädigungen aus EU-Töpfen bekommen Europas Bauern wegen der EHEC-Krise . Das teilte die EU-Kommission in Brüssel mit. Die von der Brüsseler Behörde erhoffte Mehrheit blieb aber auch nach stundenlangen Diskussionen aus. Vertreter der 27 EU-Länder hatten zusammengesessen, um endgültig über die Höhe der Zahlungen zu entscheiden.

Ursprünglich hatte die EU-Kommission Zahlungen in Höhe von 150 Millionen Euro vorgeschlagen. Viele Länder kritisierten die Summe als zu niedrig, so dass die Kommission die Hilfen aufstockte. Der Absatz von frischem Gemüse war wegen der Seuche in den vergangenen Wochen europaweit eingebrochen.

Während Deutschland und die Niederlande am Dienstag für die 210 Millionen Euro stimmten, forderten viele Länder noch mehr Geld, verlautete aus EU-Kreisen. Gegenstimmen kamen unter anderem aus Spanien, Frankreich und Polen. Enthaltungen gab es aus Italien, Griechenland und Österreich.

Weil keine qualifizierte Mehrheit zustande kam, brachte die Kommission ihren Vorschlag praktisch im Alleingang durch. Das war möglich, weil sich die EU-Länder zusammen mit der Kommission im Vorfeld auf ein spezielles Verfahren geeinigt hatten. Ziel des Verfahrens: Das Geld soll möglichst schnell bei den Bauern ankommen. „Ich wollte unbedingt zeigen, dass Europa wenn nötig schnell reagieren kann“, sagte EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos nach dem Treffen.

Voraussetzung für das gewählte Verfahren war, dass die EU-Landwirtschaftsminister die EHEC-Krise als besonders dringlich einstufen. Das hatten sie bei ihrem Sondertreffen in der vergangenen Woche ein Luxemburg getan. In den kommenden Tagen soll die Regulierung im Amtsblatt erscheinen und damit in Kraft treten.

Anspruch auf Hilfen haben alle europäischen Landwirte, die beim Handel mit Gurken, Tomaten, Salaten, Paprika und Zucchini Einbußen erlitten haben. Sie sollen für ihre Ausfälle zwischen Ende Mai und Ende Juni teilweise entschädigt werden.

Die Landwirte bekommen bis zu 50 Prozent von dem zurück, was sie in einem guten Jahr im Monat Juni verdient hätten. Reichen die 210 Millionen Euro dafür nicht aus, bekommt jeder Bauer einen jeweils kleineren Anteil, sagte der Sprecher. Nach dem ersten Vorschlag der Kommission hätte den Bauern maximal 30 Prozent zugestanden.

Bauern, die in Produktionsgemeinschaften organisiert sind, können auf bis zu 70 Prozent Entschädigung kommen. Europaweit ist im Schnitt ein Drittel der Landwirte in Gemeinschaften organisiert – so auch in Deutschland und Spanien. In Belgien und den Niederlanden dagegen gehören ihnen nahezu alle Bauern an, in Osteuropa kaum welche.

Als Grundlage für die Berechnung der Entschädigung gelten Preise für den Monat Juni der Jahre 2007 bis 2010. Der durchschnittliche Preis für Gurken lag laut Sprecher in diesem Zeitraum bei 48 Cent pro Kilo. Damit hätten die Landwirte also Anspruch auf bis zu 24 Cent pro Kilo, das im Zuge der EHEC-Krise vom Markt genommen wurde.

Bis zum 22. Juli müssen EU-Länder der Kommission mitteilen, wie hoch die Ausfälle der Bauern tatsächlich waren. Erst dann können die Hilfen berechnet werden und Gelder fließen. Das Geld soll aus dem EU-Agrarhaushalt kommen.

Verbraucherministerin Ilse Aigner bei den Bauern in Reinbek. Grauer Anzug: Gerhard Schulz, Vorsitzender Bundesausschuss Obst und Gemüse, Dr Juliane Rumpf Landwirtschaftsministerin, Ministerin Ilse Aigner, Heinz Herker, Präsident Zentral Verband Gartenbau
Verbraucherministerin Ilse Aigner bei den Bauern in Reinbek. Grauer Anzug: Gerhard Schulz, Vorsitzender Bundesausschuss Obst und Gemüse, Dr Juliane Rumpf Landwirtschaftsministerin, Ministerin Ilse Aigner, Heinz Herker, Präsident Zentral Verband Gartenbau © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) will die von der Europäischen Union vorgeschlagenen Hilfen für Gemüsebauern zügig umsetzen. Die Gelder sollen schnellstmöglich die deutschen Gemüseproduzenten, die als Folge der EHEC-Epidemie hohe Umsatzverluste hatten, erreichen, sagte Aigner am Dienstag bei einem Besuch des Gemüsebetriebs Dirk Beckedorf in Reinbek bei Hamburg. Die nationale Umsetzung der EU-Maßnahmen werde bereits vorbereitet. In Brüssel waren am Nachmittag EU-Experten zusammengekommen, um ein Hilfsprogramm in Höhe von mehr als 210 Millionen Euro zu beschließen. Es war bereits in der vergangenen Woche von der EU-Kommission vorgeschlagen worden.

Gemüse im Norden wieder gefragt

Die Erleichterung der Verbraucher schlägt sich sofort im Verlauf nieder. Nach der EHEC-Entwarnung für Tomaten, Gurken und Blattsalat ist Gemüse bei den Verbrauchern im Norden wieder gefragt. „Der Verbraucher hat gleich reagiert, die Nachfrage steigt“, sagte der Vorstandschef der Verwaltungsgenossenschaft des Hamburger Großmarktes, Hans Joachim Conrad, am Dienstag. Die Menschen fassten wieder Vertrauen. Bis das vorherige Niveau im Gemüsekonsum wieder erreicht sei, könnten aber noch etwa zwei Wochen vergehen.

Gemüse werde wieder gekauft, sagte auch Klaus Dahmke vom Bauernverband Schleswig-Holstein am Dienstag. Für Pfingsten sei die amtliche Entwarnung jedoch zu spät gekommen, so dass die Verbraucher in vielen Supermärken vor leeren Gemüseregalen gestanden hätten. Die großen Verbraucher-Ketten hätten es nicht mehr geschafft, nach der Aufhebung der Verzehrwarnung rechtzeitig zu ordern, sagte Dahmke: „Die Ware war produziert und im Vertrieb, aber sie konnte nicht ins Regal gebracht werden.“

„Jetzt müssen wir alles tun, um das Vertrauen der Verbraucher wieder zu gewinnen“, betonte Dahmke. Gleichzeitig sprach er die Hoffnung aus, dass den betroffenen Gemüsebauern schnell und unbürokratisch geholfen werde. Mehr als zwei Wochen lang sei der Gemüsemarkt um mehr als die Hälfte eingebrochen. Über die Höhe der Schäden gibt es laut Dahmke bislang keine konkreten Zahlen.

Die angekündigten EU-Hilfen sind nach Ansicht des Bauernverbands immer noch viel zu gering, um die finanziellen Verluste der Landwirte auszugleichen. „Für die Einzelnen wird das lediglich eine Unterstützung, eine Hilfe sein“, meinte Dahmke. „Auf dem Schaden bleiben sie letztendlich ganz alleine sitzen.“ Die Landwirte seien aufgefordert worden, ihre Ausfälle zu dokumentieren, um ihren Anteil von den Geldern aus Brüssel zu bekommen.


Biohof-Betreiber angezeigt! Es geht um gemeingefährliche Vergiftung

Wegen der mit EHEC-Keimen belasteten Sprossen aus Bienenbüttel ist Anzeige gegen die Betreiber des Biohofes erstattet worden. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg prüfe derzeit den Vorwurf der fahrlässigen Tötung und gemeingefährlicher Vergiftung, berichtete am Dienstag die Lüneburger „Landeszeitung“. Ein Mann aus Münster, der selbst nicht an EHEC erkrankt ist, hatte die Betreiber angezeigt. „Wir prüfen derzeit, ob wir das Verfahren zuständigkeitshalber an die Staatsanwaltschaft Oldenburg abgeben. Dort ist die Zentralstelle für Landwirtschaftsstrafsachen“, sagte der Behördensprecher. Weitere Anzeigen im Zusammenhang mit dem Biohof lägen bislang nicht vor.

Nach der EHEC-Entwarnung für Tomaten, Gurken und Salat beginnt sich die Lage an den Gemüsetheken im Land zu normalisieren. Gemüse wird wieder nachgefragt, sagte Klaus Dahmke vom Bauernverband Schleswig-Holstein am Dienstag. Die Direktvermarkter auf den Wochenmärkten und in Hofläden beobachteten wieder eine steigende Nachfrage. Die Gemüseregale in den Verbrauchermärkten seien jedoch über Pfingsten leer geblieben, da es den großen Supermarkt- und Discounter-Ketten nach der Entwarnung nicht mehr gelungen sei, rechtzeitig zu ordern: „Die Ware war produziert und im Vertrieb, aber sie konnte nichts ins Regal gebracht werden“, sagte Dahmke. „Wir müssen jetzt das Vertrauen der Verbraucher wieder gewinnen.“

Die Sprossen von dem Biohof im niedersächsischen Bienenbüttel sind zweifelsfrei als Träger des Erregers identifiziert. Nicht geklärt ist jedoch, ob Mitarbeiter den Keim eingeschleppt haben oder er durch Saatgut oder andere Quellen in den Betrieb gelangte. Deswegen rät das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) auch davon ab, selbst gezogene Sprossen und Keimlinge zu essen. Die Infektionswege der Mitarbeiter sind ebenfalls noch ungeklärt.

Ein EHEC-Fund auf einem roten Blattsalat in Bayern scheint nach ersten Erkenntnissen nicht im Zusammenhang mit der Epidemie zu stehen. 36 Menschen sind bislang an den Folgen der EHEC-Erkrankung gestorben, darunter ein Mensch in Schweden. Zuletzt meldete Hamburg den Tod einer 66 Jahre alten Frau.

Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) nimmt die Zahl der EHEC-Neuerkrankungen ab. Seit einigen Tagen werden „auf deutlich niedrigerem Niveau“ Fälle übermittelt, teilte die Behörde mit. Ob der Rückgang auf ein verändertes Essverhalten oder auf ein Versiegen der Infektionsquelle zurückzuführen ist, konnte das RKI nicht sagen. „Die Situation scheint unter Kontrolle zu sein“, sagte EU-Verbraucherkommissar John Dalli bei einem Treffen auf Malta. (dpa/abendblatt.de)