Zahl der schwer erkrankten HUS-Patienten liegt bei 188. Hamburger Gericht lässt spanischen Gemüsehändler Frunet wegen Akteneinsicht warten.

Hamburg. Die Zahl der EHEC-Neuerkrankungen in Hamburg stabilisiert sich weiter. Seit Mittwoch seien der Gesundheitsbehörde acht weitere EHEC-Fälle sowie zwei zusätzliche HUS-Fälle gemeldet worden, teilte die Behörde am Donnerstag in Hamburg mit. Die Erkrankungen der jetzt gemeldeten Fälle seien jedoch vor dem langen Pfingstwochenende aufgetreten.

Den Angaben zufolge beläuft sich die Zahl der gemeldeten EHEC-Fälle beziehungsweise Verdachtsfälle aktuell auf 1.079. Die Zahl der schwer erkrankten HUS-Patienten liegt bei 188. Mit 143 HUS-Fällen sind Frauen weiterhin überproportional häufig vertreten. Laut Gesundheitsbehörde hat sich die Situation in den Krankenhäusern „deutlich entspannt“.

Derweil muss sich der spanische Gemüsehändler Frunet noch einige Tage in Geduld üben. Das Hamburger Verwaltungsgericht entscheidet frühestens Anfang kommender Woche über die Eilanträge des Unternehmens gegen die Gesundheitsbehörde der Stadt. Weder zu dem ersten noch zu dem zweiten Eilantrag werde es in dieser Woche einen Richterspruch geben, sagte eine Sprecherin der Hamburger Verwaltungsgerichte. Das Verwaltungsgericht beabsichtige eine zusammengefasste Entscheidung.

In der vergangenen Woche hatte die Berliner Kanzlei Lindenpartners den Eilantrag für den spanischen Obst- und Gemüsehändler Frunet beim Verwaltungsgericht eingereicht. Darin fordert Frunet nach Gerichtsangaben ausschließlich die Einsicht in die Akten der Gesundheitsbehörde. Diese hat die Behörde den Spaniern nach Angaben der Kanzlei bislang verweigert. Zudem will Frunet mit einem Unterlassungsantrag der Gesundheitsbehörde die weitere Behauptung verbieten lassen, dass der auf einer Gurke der Firma nachgewiesene Erreger lebensgefährlich sei. Die Behörde der Hansestadt hat laut Gerichtssprecherin bis Freitag (17. Juni) Zeit, zu diesem zweiten Eilantrag Stellung zu nehmen. Eine Reaktion der Behörde zum ersten Eilantrag war am Mittwoch beim Verwaltungsgericht eingegangen.

Nach dem EHEC-Fund an vier Salatgurken in Hamburg hatte die Gesundheitsbehörde der Stadt am 26. Mai Frunet-Gurken als eine erste Infektionsquelle bezeichnet. Wenige Tage später musste die Behörde allerdings einräumen, dass es sich dabei nicht um den EHEC-Stamm handelt, der zur Epidemie geführt hat.

Lesen Sie auchden Abendblatt-Bericht von Jens Meyer-Odewald & Axel Tiedemann:

EHEC-Gipfel: Nach der Krise folgt die Analyse

Nach der Krise ist vor der Krise: Trotz offensichtlich geklärter Keimzelle der EHEC-Infektionswelle besteht unverändert großer Informationsbedarf. Zu diesem Ergebnis kam der Experten-Gipfel des Hamburger Abendblatts am Mittwochabend in der Passage des Axel-Springer-Hauses an der Caffamacherreihe.

Einheitlicher Tenor des Leserforums: Das Abflauen der heimtückischen Krankheit müsse genutzt werden, den Verlauf der vergangenen Wochen in Ruhe zu analysieren und zu sehen, welche Stärken und Schwächen das Gesundheitswesen offenbart habe. Auch wenn die Profis auf dem Podium bei der vom stellvertretenden Abendblatt-Chef?redakteur Matthias Iken moderierten Diskussion viele Fragen beantworteten, gab es Differenzen.

Am Anfang indes stand einheitliche Betroffenheit: Knapp und sachlich, gerade deswegen besonders beeindruckend, schilderte Abendblatt-Leserin Susann Zepernick den Verlauf der Infektion am eigenen Leibe. „Es war gruselig, wie meine Blutwerte abbauten“, berichtete die Steuerberaterin aus St.?Georg. Nach dem Verzehr von nur drei Sprossen, dem sie anfangs keine Bedeutung zumaß, war sie am 25. Mai stationär in das Marienkrankenhaus eingeliefert und anschließend nach Kiel verlegt worden. Auch nach der Entlassung vor einer Woche besteht weiter Ungewissheit: „Ich weiß nicht, ob ich den Erreger los bin.“

Dr. Thomas Fenner, Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, sprach von einem „ausgesprochen aggressiven Bakterium“. Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks meinte: „Die Warnung vor Gurken, Tomaten und Salat hat dazu beigetragen, dass auch weniger Sprossen gegessen wurden.“ Dieses habe den abebbenden Verlauf der Infektionswelle beeinflusst.

Diese These rief Widerspruch hervor. Professor Joachim Westenhöfer meinte, dass die Behörden nicht ganz unschuldig an der Aufregung gewesen seien. „Es war eine heftige Reaktion, generell vor einem Verzehr zu warnen“, sagte der Ernährungspsychologe. Man müsse sich rückblickend fragen, ob diese generelle Mahnung berechtigt gewesen sei. Jährlich rund 4300 Verkehrs?toten hierzulande ständen 37 EHEC-Opfer gegenüber.

Das Publikum lauschte gebannt, applaudierte dann jedoch beim allgemeinen Lob für Ärzte und Schwestern, die in den vergangenen Wochen Enormes geleistet hätten – mit Einsätzen bis zu 38 Stunden am Stück.

„Ist unser Gesundheitssystem ausreichend aufgestellt?“, fragte Matthias Iken in die Runde. „Es war diesem Stresstest bemerkenswert gewachsen“, entgegnete Prüfer-Storcks. Ihr Kieler Kollege Heiner Garg stimmte grundsätzlich zu, äußerte indes auch Sorgen: erstens vor nachlassender Beachtung der Hygieneregeln, zweitens vor möglichen Sekundärinfektionen.

„Im Großen und Ganzen hatten wir jederzeit das Gefühl, Herr der Lage gewesen zu sein“, sagte UKE-Direktor Jörg F. Debatin. Sofort nach den ersten EHEC-Nachrichten seien die Besetzung der Notfallaufnahme verdoppelt und die Dialyseabteilung erheblich verstärkt worden. Entsetzt habe ihn der „unglaublich rasante Krankheitsverlauf“. Es gebe wenige Bereiche in der Medizin, „die so große weiße Flecken“ offenbaren.

Umso positiver sei die Zusammenarbeit zwischen den Krankenhäusern in Hamburg und anderswo gewesen: „Das lief sensationell schnell und gut.“ Karin Riemann von der Verbraucherzentrale forderte: „Lebensmittel müssen sicher sein.“ Es müsse nun zügig geklärt werden, wie die Keime in die Sprossen gekommen seien.

Nach intensiver Debatte hatten die Abendblatt-Leser das Wort. Mehr dazu lesen Sie in der Ausgabe am Freitag.

EAEC, nicht EHEC

Göttinger Wissenschaftler haben indes herausgefunden, dass nicht der EHEC-Erreger, sondern ein mit dem Begriff EAEC bezeichneter Keim die schweren Erkrankungen in Norddeutschland verursacht hat. EAEC steht für „Entero-Aggregativer Escherichia coli“. Die Forscher hatten das Blut von zwei betroffenen Patienten aus Hamburg untersucht.

Der Keim binde sich besonders fest an Gewebe, bilde Zellansammlungen und spule dort sein krank machendes Programm ab. Den Forschern zufolge hat der EAEC-Keim sein Potenzial gesteigert, indem er aus anderen Stämmen wie EHEC ein spezielles Gen übernommen und verankert habe. Dieses Gen könne das lebensgefährliche HU-Syndrom auslösen. Die Wissenschaftler schlagen für den neuen Erreger die Bezeichnung EAHEC vor: „Entero-Aggregativer-Hämorrhagischer E. coli“.

Mit Material von dapd