Die Bundeskanzlerin hat die Lage schonungslos beschrieben und ein neues Krisenmanagement gefordert.
Berlin. In den Minuten davor lässt sich erkennen, dass diese Regierungserklärung zur Finanzmarktkrise für die Kanzlerin keine normale Rede ist. Kurz bevor sie gestern Nachmittag im Bundestag an der Reihe ist, steht Angela Merkel auf, um mit Regierungssprecher Ulrich Wilhelm noch einmal über letzte Änderungen ihres Manuskripts zu sprechen. Sie wirkt angespannt.
Merkel hat sich an diesem Tag vorgenommen, der Nation vor dem Parlament reinen Wein über die Dimension der Krise einzuschenken, ohne ihr aber den Mut zu nehmen. So beginnt sie ihre Regierungserklärung mit dem Satz: "Die Lage auf den internationalen Finanzmärkten ist ernst." Der übernächste Satz lässt das Plenum noch mehr zusammenzucken: Die Krise stelle vieles, was als selbstverständlich angesehen werde, infrage. Heute sei nicht der Tag alles schwarzzumalen, aber auch nichts schönzureden.
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Merkel ist, das wird auch in der Union eingeräumt, in der schwierigsten Phase ihrer Kanzlerschaft. Sie hat lange gezögert, die Meinungsführerschaft in der Krise zu übernehmen. Vor drei Wochen in der Generalaussprache zum Bundeshaushalt 2009 hatte Merkel die Finanzmarktturbulenzen zwar gleich zu Beginn ihrer Rede erwähnt. Damals beließ sie es aber im Wesentlichen bei der Bemerkung, dass die Bundesregierung diese Entwicklung "mit großer Aufmerksamkeit" verfolge. Keine Panik verbreiten war das Gebot der Stunde. Seitdem hat sich die Krise hochgeschaukelt. Am Sonntag schwenkte Merkel dann um. Ohne Vorwarnung verkündete sie die Staatsgarantie für Konten der privaten Sparer, ein einmaliger Akt in der bundesdeutschen Finanzgeschichte. "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind." Gestern versucht sie im Bundestag diese neue Rolle als Krisenmanagerin mit weiteren Inhalten zu füllen.
Merkel erklärt zunächst die Maßnahmen der Regierung im "klassischen Krisenmanagement", um "das Vertrauen schnell zurückzugewinnen". Sie stellt in Aussicht, dass es im Notfall für Banken Rettungsmaßnahmen geben werde. Die Bilanzregeln würden in europäischen Kontext abgeändert. Überraschend gehört zu ihrer Liste eine Verschärfung der Managerhaftung - notfalls durch Gesetz, etwas, was die Union bisher nicht so recht wollte. Es folgt eine Latte von Vorstellungen, wie die Spielregeln für die Finanzmärkte international zu ändern seien.
Es ist für Merkel und auch den Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) ein Akt auf dem viel beschworenen Hochseil. Die Krise ist schwerer zu beherrschen als die nach dem Terror des 11. September 2001. Damals kam der Feind von außen. Jetzt sitzt der Gegner im Wirtschaftssystem. Merkel redet davon, in jeder Krise bestehe ein Chance. Deutschland sei stark, ruft sie. Aber am Ende ihrer Rede ist zu merken, dass auch sie nicht prognostizieren kann, wie sich die Krise weiterentwickelt.
Es ist allerdings auch nicht die Stunde der Opposition. Ein Gegenkonzept legen weder FDP-Chef Guido Westerwelle noch der Linke-Vorsitzende Oskar Lafontaine vor. Sie ergehen sich in Vorwürfen. Westerwelle hat es mit der Finanzaufsicht und meint, hier habe die Regierung versagt. Lafontaine wirft Merkel und Steinbrück vor, die Krise verharmlost zu haben.
Krisen sind für Politiker eine Chance, sich zu profilieren. Helmut Kohl ergriff die Chance der Einheit. Gerhard Schröder hat die Folgen des 11. September 2001 und auch eine Flutkatastrophe gemanagt. Jetzt geht es aber um mehr als um eine Flut. Die Kanzlerin befindet sich in ihrer größten Herausforderung. Diese Rede im Bundestag war nur eine Zwischenetappe.