Vermutlich mögen die Deutschen an Horst Köhler genau das, was das politische Berlin an ihm nicht ausstehen kann: das Unroutinierte, zuweilen sogar etwas Unbeholfene, die mutige Entschlossenheit, der Wirklichkeit ohne Maske gegenüberzutreten.
Berlin. Wer Köhler am 21. März in Winnenden erlebt hat, wer gehört hat, wie ihm da vor Trauer die Stimme brach, der wird sich wünschen, dass dieser Bundespräsident noch lange im Amt bleibt. Weil er so völlig anders ist als seine Amtsvorgänger. Die, mit Ausnahme des fröhlichen Walter Scheels, durch die Bank so schrecklich grau und gesetzt wirkten, was sich zweifellos aus ihrem langen politischen Vorleben erklärte. Der Seiteneinsteiger Köhler hat sich seinen jungenhaften Charme hingegen auch in fünf Amtsjahren bewahrt. Und wenn er lächelt, ist die Wirkung Lichtjahre von der Lächel-Routine seiner Vorgänger entfernt. Die immer staatstragend angelegt war.
Mehr als zwei Drittel der Deutschen würden morgen für Horst Köhler stimmen, wenn sie ihren Bundespräsidenten direkt wählen dürften. Das sagen seit Monaten alle Umfragen. Köhlers Unberechenbarkeit ist es, die für hohe Sympathiewerte in der Öffentlichkeit gesorgt hat. Nach dem Motto: "Endlich mal einer, der sagt, was er denkt!" Was bei den Berufspolitikern allerdings weniger gut ankam. Viele hielten den Mann im Schloss Bellevue für renitent, als er sich weigerte, seine Unterschrift unter schlampige Gesetzestexte zu setzen. "Wie kann er es wagen!", riefen sie sich in ihrer Empörung zu, und Köhler antwortete ihnen kühl: "Ich bin kein Unterschriftenautomat."
Horst Köhler ist Chef des Internationalen Währungsfonds gewesen, bevor er ins höchste Staatsamt gewählt wurde. Als "Sparkassenpräsident" verspotteten ihn die, die von Seiteneinsteigern in der Politik generell nichts hielten. Aber wenn ihn solche oder andere Unverschämtheiten trafen, dann ließ es sich Köhler wenigstens nicht anmerken. Und wer ihn anfangs für neoliberal gehalten hatte, erlebte spätestens angesichts der Weltwirtschaftskrise sein blaues Wunder: nämlich einen Bundespräsidenten, der "Anstand" und "Moral" von den Verantwortlichen einforderte. Man warte noch auf eine "angemessene Selbstkritik" dieser Leute, sagte Horst Köhler im März in seiner viel beachteten vierten "Berliner Rede" zornig, und er fügte hinzu: "Von einer angemessenen Selbstbeteiligung für den angerichteten Schaden ganz zu schweigen!"
Seit seinem Amtsantritt am 1. Juli 2004 hat der neunte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland 81 Auslandsreisen absolviert, 442 Reden gehalten und 11 778 Bundesverdienstkreuze verliehen. Er hat Staatsgäste empfangen, mit Schülern diskutiert und verdiente Mitbürger zu (halb)privaten Essen ins Bellevue eingeladen. Er hat, obwohl de facto politisch machtlos, durchaus ein paar aufsehenerregende Dinge gemacht. Zum Beispiel im Februar 2005, als er in Israel war und seine Rede vor der Knesset auf Hebräisch begann. "Historisch" nannten die israelischen Medien diesen Auftritt. Oder Anfang 2007, als er über die Begnadigung von Christian Klar entscheiden musste und beschloss, sich bei einem persönlichen Treffen mit dem RAF-Terroristen erst einmal selbst ein Bild zu machen.
Köhler hat seine erste Amtszeit allein dem Umstand verdankt, dass die Union Anfang 2004 nach einer Alternative für Wolfgang Schäuble suchen musste, den die Liberalen partout verhindern wollten. Am Sonnabend wird er zum zweiten Mal gegen die SPD-Kandidatin Gesine Schwan antreten. Aber wenn der Berliner Politikwissenschaftlerin vor fünf Jahren immerhin gute Außenseiterchancen eingeräumt wurden, dann gibt es dieses Mal eigentlichen keinen vernünftigen Zweifel mehr daran, dass sich Köhler durchsetzen wird. Dass die Deutschen ihn mögen, weiß er. Dass ihm das Amt Freude macht, zeigt er. Die Entscheidung trifft morgen Mittag die 1224-köpfige Bundesversammlung.