Überraschend ist Bundespräsident Horst Köhler mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurückgetreten. Grund ist die Kritik nach seinen Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz.
Berlin. Es ist ein Schock für die Bundesrepublik: Bundespräsident Horst Köhler ist am Montag überraschend mit sofortiger Wirkung zurückgetreten . Die Kritik an seinen Äußerungen zu Afghanistan habe den Respekt vor seinem Amt vermissen lassen, erklärte er zur Begründung. Es ist das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass ein Staatsoberhaupt sich zurückzieht.
Köhler sagte, es sei der Eindruck erweckt worden, er befürworte Bundeswehreinsätze außerhalb des Grundgesetzes. „Ich bedauere, dass meine Äußerung in einer für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnte."
Verfassungsgemäß übernehme der Präsident des Bundesrates zunächst seine Funktionen, sagte Köhler. Das ist der Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen . Köhler sagte, er habe Böhrnsen, die Bundeskanzlerin, den Bundestagspräsidenten, den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und den Vizekanzler bereits von seinem Schritt unterrichtet. Ein Nachfolger des zurückgetretenen Bundespräsidenten muss bis zum 30. Juni gewählt sein. Laut Grundgesetz muss bei vorzeitiger Beendigung des Amtes „spätestens 30 Tage nach diesem Zeitpunkt“ die Bundesversammlung für die Neuwahl einberufen werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nur zwei Stunden vor dem Rücktritt von dessen Entscheidung erfahren. „Ich war überrascht von dem Telefonat und habe versucht, ihn nochmals umzustimmen“, sagte Merkel. Das sei leider nicht gelungen.
„Ich bedauere diesen Rücktritt aufs Allerhärteste“, sagte sie im Bundeskanzleramt. Sie habe mit Köhler immer sehr gut zusammen gearbeitet, der für sie mit seiner internationalen Erfahrung ein wichtiger Ratgeber gerade in der Wirtschaftskrise gewesen sei. „Er hat immer über den Tellerrand geschaut. Mir wird sein Rat fehlen.“
Merkel wies den Vorwurf zurück, dass die schwarz-gelbe Regierung Köhler nach seinen umstrittenen Afghanistan-Äußerungen nicht ausreichend verteidigt habe. „Köhler hat selbst zu seinen Worten Stellung genommen.“ Es sei gute Sitte der Verfassungsorgane, sich nicht gegenseitig zu interpretieren. Auf die Frage nach möglichen Nachfolgern sagte Merkel, dieses Thema stelle sich noch nicht.
Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat den Rücktritt von Köhler bedauert. „Der Herr Bundespräsident hat mich heute Mittag über seine Rücktrittsentscheidung informiert“, sagte Westerwelle. „Ich habe in diesem Telefongespräch versucht, ihn umzustimmen“, ergänzte er. Köhler habe sich aber fest entschieden gehabt. „Ich bedauere diese Entscheidung aus vollem Herzen“, sagte Westerwelle. Man müsse sie aber respektieren. Westerwelle dankte Köhler für seine in den vergangenen Jahren geleistete Arbeit.
+++ Porträt: Der leise Bürgermeister Böhrnsen +++
Wegen des überraschenden Rücktritts von Köhler hat Kanzlerin Angela Merkel ihren für Montagabend geplanten Besuch der Deutschen Fußballnationalmannschaft in Südtirol abgesagt . Sie habe am Nachmittag DFB-Manager Oliver Bierhoff telefonisch darüber informiert, dass sie ihren für den Abend vorgesehenen Besuch im Trainingslager der Nationalmannschaft in Südtirol aus aktuellen Gründen absagt, teilte der DFB mit.
Derzeit sei geplant, dass sie im Lauf des Abends ein Telefongespräch mit Bundestrainer Joachim Löw und dem neuen Kapitän Philipp Lahm führen werde. Die Regierungschefin wollte im Mannschaftsquartier in der Gemeinde Eppan gemeinsam mit der DFB-Auswahl und dem Trainerstab zu Abend essen und bei dieser Gelegenheit einige Worte an das Team richten. Köhler bedankte sich bei jenen, die ihm Vertrauen entgegengebracht hätten. „Es war mir eine Ehre, Deutschland als Bundespräsident zu dienen", sagte Köhler zum Abschluss sichtlich berührt und mit Tränen in den Augen. Während seiner dreiminütigen Erklärung stand seine Frau Luise neben ihm.
Linke, Grüne und SPD hatten am Freitag eine Klarstellung gefordert, ob Köhler wirklich Kriege zur Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen befürworte. Linke-Chef Klaus Ernst forderte, das Staatsoberhaupt solle seine weiter unklare Haltung in einer Rede an die Nation darlegen. Die Grünen forderten eine Korrektur Köhlers, und die SPD sprach von einem „abwegigen" Diskussionsbeitrag.
Köhler hatte in einem Deutschlandradio-Interview nach seinem Besuch in Afghanistan erklärt, im Notfall sei auch „militärischer Einsatz notwendig (...), um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege". Das war im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Einsatz verstanden worden, um den es in dem Interview hauptsächlich ging. Ein Sprecher Köhlers präzisierte aber später, es sei auf die Mission „Atalanta" am Horn von Afrika gemünzt gewesen. Diese werde ausdrücklich auch mit der Sicherung der Handelswege begründet, während es in Afghanistan um ein Uno-Mandat geht.
+++ Hintergrund: Horst Köhler über Soldaten und Wirtschaftsinteressen +++