Schwarz-Gelb hätte eine Mehrheit in der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt. Schon Dienstagmorgen kommt die Koalition zusammen.
Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat einen gemeinsamen Vorschlag der schwarz-gelben Koalition für die Nachfolge des zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler angekündigt. Die Mehrheit in der Bundesversammlung sei nun noch klarer als bei der letzten Wahl, was darauf hindeute, dass die Bundesregierung einen Vorschlag machen werde, sagte Merkel am Montagabend in ARD und ZDF.
Die nun deutliche Mehrheit gebe der Bundesregierung die Chance, einen „guten Vorschlag“ zu machen, sagte die Kanzlerin. CDU/CSU und FDP würden sich zunächst auf einen Vorschlag einigen und dann „auf die anderen zugehen“. Die Personalie sei noch „völlig offen“. Es könne erneut ein Seiteneinsteiger oder ein Politiker sein, auch sei offen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handeln werde. Der neue Bundespräsident oder die neue Bundespräsidentin müsse die Chance haben, von allen akzeptiert zu werden, und zu den Menschen sprechen können.
Die Spitzen der schwarz-gelben Koalition beraten offenbar am Dienstagvormittag im Kanzleramt über die Nachfolge des überraschend zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler.Bei dem Treffen der Parteichefs Angela Merkel (CDU), Guido Westerwelle (FDP) und Horst Seehofer (CSU) um 9.00 Uhr soll es offiziell um die Gesundheitsreform gehen.
Bundespräsident Horst Köhler trittt völlig überraschend zurück und stürzt Schwarz-Gelb in schwere Turbulenzen. Er begründete seinen beispiellosen Rückzug mit der Kritik an seinen Äußerungen zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Ein Nachfolger muss bis zum 30. Juni gewählt sein. Im Gespräch sind neben anderen Finanzminister Wolfgang Schäuble und Bundestagspräsident Norbert Lammert (beide CDU).
Köhlers sofortiger Rückzug traf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag völlig unvorbereitet. Sie steht angesichts der Euro-Krise und schlechter Umfragen nun vor einer weiteren schweren Belastungsprobe.
Köhler machte bei einer kurzen Presseerklärung klar, dass die Vorwürfe ihn schwer getroffen haben. Die Kritik stimme nicht, dass er Einsätze der Bundeswehr befürwortet habe, die vom Grundgesetz nicht gedeckt seien. „Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen.“ Merkel zeigte sich tief betroffen. Köhler habe sie erst am Mittag überraschend angerufen und informiert. Der Versuch, ihn umzustimmen, „ist leider nicht gelungen“. Sie bedauere die Entscheidung „aufs Allerhärteste“. Köhler sei sechs Jahre lang ein Präsident der Bürger gewesen und für sie ein wichtiger Ratgeber in der Wirtschafts- und Finanzkrise. Er habe „das Ansehen unseres Landes gestärkt“, sagte Merkel.
Köhler war als Kandidat von Union und FDP im Mai 2004 gewählt und 2009 für fünf Jahre bestätigt worden. In der Bundesversammlung, die den neuen Präsidenten wählt, haben Union und FDP eine klare Mehrheit.
Mehrer Kandidaten sind möglich. Gegen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der sich schon einmal Hoffnung auf das Amt gemacht hatte, spricht seine angeschlagene Gesundheit. Genannt werden auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, Bildungsministerin Annette Schavan und die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (alle CDU). Niedersachsens SPD schlug die nach einer Alkoholfahrt zurückgetretene Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, vor. Auch der Name von SPD-Kandidatin Gesine Schwan war zu hören – sie hatte zwei Mal gegen Köhler verloren.
In der ersten Amtszeit genoss Köhler enorme Zustimmung. Zuletzt wurde kritisiert, er habe sich zu wenig zu Wort gemeldet. Wichtige Berater hatten das Präsidialamt verlassen. Nach seinem Rücktritt stehen ihm lebenslang die Präsidenten-Bezüge von rund 280.000 Euro im Jahr zu.
Köhler sagte im Amtssitz Schloss Bellevue: „Ich bedauere, dass meine Äußerungen in einer für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnten.“ Der Präsident hatte Auslandseinsätze der Bundeswehr auch mit Wirtschaftsinteressen begründet und damit heftigen Widerspruch ausgelöst. Später ließ er seine Äußerungen präzisieren. Die Afghanistan-Mission sei nicht gemeint gewesen. Er dankte den Menschen, die ihm vertraut hätten. „Ich bitte sie um Verständnis für meine Entscheidung.“Köhlers Ehefrau Eva Luise stand dabei an seiner Seite. Beim Verlesen der Erklärung hatte er Tränen in den Augen. Streckenweise versagte ihm die Stimme. Direkt danach verließ er Schloss Bellevue in einer Limousine. Der Bremer Regierungschef Jens Böhrnsen (SPD) übernahm als Bundesratspräsident vorläufig die Amtsgeschäfte.
+++ Porträt: Der leise Bürgermeister Böhrnsen +++
Merkel hatte es nach den Vorwürfen vermieden, Köhler öffentlich Rückendeckung zu geben. Auch dies könnte ihn zu seinem Schritt bewogen haben. Vizekanzler und FDP-Chef Westerwelle hatte wie die Kanzlerin versucht, Köhler umzustimmen. „Ich bedauere diese Entscheidung aus vollem Herzen“, sagte er. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) erklärte, in der Finanzkrise hinterlasse der frühere Chef des Internationalen Währungsfonds Köhler eine große Lücke. Der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) sagte: „Es ist nicht von Vorteil, wenn in der größten Wirtschafts- und Finanzkrise plötzlich die größte Volkswirtschaft in Europa ohne Staatsoberhaupt dasteht.“ CDU-Vize Rüttgers sieht Deutschland nun in einer schwierigen Lage. „Jeder muss jetzt seinen Beitrag leisten, dass wir diese schwierige Situation meistern.“ Bayerns Ministerpräsident Seehofer erklärte, Köhler habe „sich die Sympathien der Bürger in Deutschland und hohe Anerkennung im Ausland erworben“. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte: „Köhler war kein bequemer Bundespräsident, und das wollte er erklärtermaßen auch nicht sein.“ Die Grünen sprachen bei dem Rückzug von einem Symbol für den Niedergang von Schwarz-Gelb. „Jetzt muss jemand an die Spitze des Staates, der eine breite Unterstützung erfährt“, erklärten die Grünen-Parteichefs Cem Özdemir und Claudia Roth. Linksfraktionschef Gregor Gysi sagte, er halte den Rücktritt für „etwas übertrieben“. Als Bundespräsident müsse man auch Kritik aushalten. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, betonte den hohen Vorbildcharakter Köhlers. DGB-Chef Michael Sommer erklärte: „Ich habe Sie als untadeligen, aufrechten und geradlinigen Bundespräsidenten geschätzt, dessen Verfassungspatriotismus unzweifelhaft war und ist.“
+++ Hintergrund: Horst Köhler über Soldaten und Wirtschaftsinteressen +++
Ein 20-jähriger Politikstudent aus Tübingen und weitere Internet-Blogger dürften einen gehörigen Anteil am Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler haben. Jonas Schaible hatte mit Erstaunen Köhlers umstrittene Äußerungen zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan gelesen und sich dann noch mehr gewundert, dass dies in den Nachrichten nicht aufgegriffen wurde. Deshalb trat er per Mail an überregionale Medien und über den Kurznachrichtendienst Twitter eine gewaltige Welle los, deren Auswirkungen niemand erahnen konnte.
„Ich hatte weniger die Intention, die Medien darauf hinzuweisen, sondern es ging mir darum, herauszufinden, warum da nichts geschrieben wurde. Einige Medien hatten es einfach nicht mitbekommen“, sagte der Student der Politik- und Medienwissenschaften. Behauptungen, er habe den Bundespräsidenten „gestürzt“, wies Schaible zurück. „Ich habe im „Bildblog“ von Horst Köhlers Interview im Deutschlandradio Kultur gelesen und auch in anderen Blogs stand es bereits. Ich war nicht der Erste.“ Allerdings kann sich Schaible damit rühmen, die Aufmerksamkeit der großen Medien auf das Thema gelenkt zu haben.
Wegen des überraschenden Rücktritts von Köhler hat Kanzlerin Angela Merkel ihren für Montagabend geplanten Besuch der Deutschen Fußballnationalmannschaft in Südtirol abgesagt . Sie habe am Nachmittag DFB-Manager Oliver Bierhoff telefonisch darüber informiert, dass sie ihren für den Abend vorgesehenen Besuch im Trainingslager der Nationalmannschaft in Südtirol aus aktuellen Gründen absagt, teilte der DFB mit.