Am Ende waren es zu wenig “Wutbürger“: Die Mehrheit der Bürger will den Tiefbahnhof weiter finanzieren. Der Volksentscheid in Baden-Württemberg gibt grünes Licht für das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21.
Stuttgart/Hamburg. Nach langem und heftigem Streit ist das Votum der Bürger überraschend eindeutig. Bei der Volksabstimmung über den Ausstieg aus dem milliardenteuren Bahnprojekt „Stuttgart 21“ stimmte am Sonntag in Baden-Württemberg mit 58,8 Prozent eine deutliche Mehrheit für das Projekt, das unter anderem den Bau eines Tiefbahnhofs in der Landeshauptstadt vorsieht.
Mehr als ein Jahr hatte „Stuttgart 21“ die Gemüter heftig erregt. Bei einem Polizeieinsatz im mittleren Schlosspark wurden Ende September vergangenen Jahres über 100 Menschen verletzt. Befürworter wie Gegner hoffen jetzt auf eine Befriedung des Konflikts. Die selbst ernannten Parkschützer kündigen aber weiteren Widerstand an.
Konfliktstoff birgt das Abstimmungsergebnis vor allem für die Grünen, die als Gegner von „Stuttgart 21“ nun den bei vielen Stuttgartern unbeliebten Bau durchsetzen müssen, mit einem Verkehrsminister der sich vehement gegen das Projekt gestellt hat.
Grüne kündigen Umsetzung des Projekts an
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) versicherte nach dem Scheitern der Gegner von „Stuttgart 21“, dass er dieses Ergebnis akzeptieren wird. Er sagte am Sonntagabend im SWR-Fernsehen: „Das Volk hat gesprochen.“ In dessen Namen werde er nun „ohne Wenn und Aber“ handeln. Finanzminister Nils Schmid (SPD) kündigte an, die Landesregierung werde nun den Bau vollenden – „so wie das Volk es gewünscht hat“.
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Die Befürworter von „Stuttgart 21“ gingen als deutlicher Sieger aus der ersten Volksabstimmung in Baden-Württemberg seit 40 Jahren hervor. Für einen Weiterbau des Tiefbahnhofs votierten am Sonntag 58,8 Prozent der Wähler, wie Landesabstimmungsleiterin Christine Friedrich am Abend im Stuttgarter Landtag sagte. Für einen Ausstieg stimmten 41,2 Prozent. Die Abstimmungsbeteiligung lag landesweit bei 48,3 Prozent.
Überraschend setzten sich die „Stuttgart 21“-Gegner sogar in der Landeshauptstadt durch: Dort stellten sich 52,9 Prozent der Wähler hinter das milliardenschwere Bahnprojekt, für einen Ausstieg sprachen sich 47,1 Prozent aus. Die Abstimmungsbeteiligung war mit 67,8 Prozent die höchste von allen 44 Kreisen und annähernd so hoch wie bei der Landtagswahl im März.
Gegner sehen direkte Demokratie gestärkt
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer begrüßte den Ausgang der Volksabstimmung zugunsten des Milliardenprojekts „Stuttgart 21“. „Das Ergebnis ist ein wichtiges Signal für den Wirtschaftsstandort Deutschland“, sagte der CSU-Politiker in Berlin. Der Präsident der baden-württembergischen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, forderte die grün-rote Landesregierung zur uneingeschränkten Unterstützung des Baus von „Stuttgart 21“ auf.
Die „Stuttgart 21“-Gegner zeigten sich enttäuscht über das Ergebnis der Volksabstimmung, sehen aber die direkte Demokratie durch die Auseinandersetzung über das Projekt gestärkt. Der Sprecher des Aktionsbündnisses gegen „Stuttgart 21“, Hannes Rockenbauch, sagte, es sei der Verdienst der Aktivisten, dass die Bürger in Zukunft stärker an politischen Entscheidungen beteiligt würden und dies hoffentlich ohne das hohe Zustimmungsquorum.
Befürworter fordern Rücktritt des Verkehrsministers
Mit Jubelrufen nahmen die Befürworter des Bahnprojektes „Stuttgart 21“ das Ergebnis der Volksabstimmung auf. Auf der zentralen Feier nahe des Stuttgarter Rathauses verlangten sie außerdem den Rücktritt von Landesverkehrsministers Winfried Hermann (Grüne). Dieser sei nach der Volksabstimmung erst recht nicht mehr haltbar.
Kretschmann stärkte seinem Minister den Rücken. Dass die Grünen und damit auch Hermann gegen das Projekt gewesen seien, sei bekannt. „Der Verkehrsminister Hermann hat einen schwierigen Job gemacht und er hat ihn gut gemacht. Ich stehe hinter meinem Verkehrsminister.“
In der Kostenfrage verlangte der Ministerpräsident von der Bahn klare Aussagen. „Ich möchte mich nicht in eine Situation bringen lassen, wo mit dem Bau begonnen wurde, dann die Kosten explodieren und ich dann nachschießen muss, ob ich will oder nicht“, sagte Kretschmann am Abend im „heute journal“ des ZDF. Deswegen erwarte er von der Bahn eine klare Erklärung, dass sie die Kosten übernehme, wenn sie auf mehr als 4,5 Milliarden Euro steigen sollten.