Das soziologische Quartett im Ersten: Reinhold Beckmann eröffnete seine neue Talkshow-Saison in der ARD mit prominenten Bekennern.

Hamburg. Was war das für ein Abend der Bekenntnisse! Reinhold Beckmanns soziologisches Quartett in seiner ARD-Talkshow war zwar eine reine Männerrunde – aber eine von Verstehern. Frauenversteher, Politikversteher, Feindversteher. Mit sich selbst gingen Enoch zu Guttenberg (Vater von Karl-Theodor), Winfried Kretschmann (Landesvater von Baden-Württemberg, erster grüner Ministerpräsident) und Björn Engholm (Vater des gepflegten Rücktritts als Ministerpräsident und SPD-Chef) am härtesten um. Sie alle gaben Verirrungen in ihren Karrierewegen zu. Der alte Guttenberg bekannte gar: Wenn er in Baden-Württemberg Wahlrecht hätte, hätte er dem Grünen Kretschmann seine Stimme gegeben. Und Kretschmann offenbarte: Im Jahr 1968 sei er in den Schützenverein eingetreten. 1968!

Es scheint, als hätte der neue Sendeplatz im neuen ARD-Talkshow-Zirkus aus Beckmann den neuen Maischberger gemacht. Was heißt das für Günther Jauch, der, von RTL kommend, am Sonntag, den 11. September zum ersten Mal im Ersten moderiert? Während Anne Will am Mittwoch mit gemischten Gästen (von Rapper Sido bis Edmund Stoiber) und üblen Quoten (1,2 Millionen, 8,4 Prozent Marktanteil) den neuen Sendeplatz besetzte, holte sich Beckmann eine entspannte Oldie-Runde an den Tisch. Bis dato war Sandra Maischbergers belächelt worden, weil sie so viele Senioren-Runden in ihrer Talkshow machte: „Mumien bei Maischberger“ spottete die TV-Branche. Und nun Betagte bei Beckmann?

Die über 60-Jährigen sind wieder gefragt, seit die Boy Groups in Politik, Wirtschaft und Kultur schwächeln. In der Krise auf die alten Rezepte setzen: Beckmann hat eine Nase dafür. Engholm lobte Kretschmann und teilte gegen den auf dem Karriereweg gestolperten Karl-Theodor zu Guttenberg fein aus: „Der Kretschmann“, so Engholm, „verbreitet nicht so viel Schein – das ist sein Erfolg.“ Mehr Sein als Schein – davon könnte sich Karl-Theodor zu Guttenberg nach seiner Plagiatsaffäre um den erschlichenen Doktortitel eine Scheibe abschneiden. Doch sein Vater Enoch bekannte auch bei Beckmann: Der Sohn bereut. „Glaubwürdigkeit ist die Identität der Familie“, predigte der Alte.

Mit seinem eigenen Vater, dem konservativen Ex-Staatssekretär der Ära Kiesinger/Brandt, habe er in der einen oder anderen Sache über Kreuz gelegen. Aber man habe in Würde gestritten. Und: „Auch ich werde immer meine Kinder lieben, egal was passiert.“ Beckmann hielt dem Ministerpräsidenten Kretschmann seine Irrungen der Vergangenheit vor: Mitglied im Kommunistischen Bund, zwischendurch Ausstieg aus der Politik. Und jetzt als Grüner plötzlich Ministerpräsident im Autoland. Kretschmann sprach von Verirrungen der Jugend. Und er erklärte genau, wie das war, als er mal Schützenkönig wurde. „Man muss auch treffen können.“

Das macht Beckmann nicht schlecht: Sich ranwanzen und dann nachfragen. Erst den Gästen Honig um den Bart schmieren – und dann mit der Rasierklinge absäbeln. Guttenberg, Kretschmann und Engholm beklagten unisono die „Menschenjagd“ auf die Polit-Promis, wenn einer gefehlt hat. Da werde die Familie in Sippenhaft genommen, sagte der Dirigent Enoch zu Guttenberg. „Wer liegt, den tritt man nicht.“ 1,47 Millionen Zuschauer, 10,2 Prozent Marktanteil – Beckmann hatte einen ordentlichen Start in die neue Fernsehsaison. Und die Gäste, um die sich künftig alle ARD-Talker von Jauch bis Plasberg kabbeln, werden eines wissen: Bei Beckmann können sie langsam sprechen, ausreden und werden schlimmstenfalls sanft hingerichtet.