Das Ergebnis ist veröffentlicht und doch bleibt in Stuttgart alles im Unklaren. So wurde der Stresstest durchgeführt.
Stuttgart. Jeder spricht vom Stresstest, der Klarheit bringen sollte und doch alles im Unklaren gelassen hat. Geißler muss wohl wieder schlichten. Doch wie hat der Stresstest überhaupt funtkioniert und wie kommt es zu dem Wort?
Als Stresstest wurde im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise ursprünglich die regelmäßige Analyse von Banken daraufhin bezeichnet, wie gut sie internationale Wirtschafts-, Finanz- und Währungskrisen aushalten können.
Inzwischen hat sich der Begriff aber zum Modewort für Simulationen oder Belastungsversuche bis an Systemgrenzen und darüber hinaus eingebürgert – eine Vorgehensweise, wie sie etwa bei technischen Qualitätsprüfungen üblich ist. In der Regel müssen Produkte, die vom TÜV – oder besser noch, vom firmeneigenen Qualitätsmanagement zertifiziert werden sollen, solche Versuchsreihen mit Belastungsproben absolvieren, die über die Beanspruchung im Regelbetrieb hinausgehen. Die Infrastruktur von Bahnstrecken beispielsweise wird regelmäßig mit Versuchsfahrten daraufhin untersucht, ob sie zehn Prozent höhere Geschwindigkeiten und höhere Achslasten aushält als im Regelbetrieb zugelassen.
So einigten sich die streitenden Parteien bei der Schlichtung zwischen „Stuttgart 21“-Gegnern und -Befürwortern auch auf einen Stresstest für den tiefer gelegten Bahnhof. Er sollte in einer Stoßzeit-Stunde, morgens ab 7.00 Uhr, 30 Prozent mehr Verkehr mit vernünftigen Verbindungen und kundengerechten Aufenthaltszeiten verkraften können als der bestehende Kopfbahnhof.
Dieser Test konnte mangels bestehender Hardware – der Bahnhof soll ja erst 2019 in Betrieb gehen – nur als Simulation ausgeführt werden. Die Ausarbeitung leistete die Deutsche Bahn AG, der „TÜV“, auf den sich die Kontrahenten geeinigt haben, war die Schweizer Gutachterfirma SMA. Sie hat auch Simulationen für andere Verkehrsprojekte erstellt. Am (heutigen) Freitag stellte sie ihr Gutachten öffentlich vor.
Die Stuttgart-21-Gegner wollen einen neuen Belastungstest erzwingen, die Bahn weigert sich
Gegner und Befürworter von Stuttgart 21 haben sich bei der Präsentation des Stresstests einen harten Schlagabtausch über das Bahnprojekt geliefert. Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 beurteilte das Gutachten als wertlos, weil die Bahn falsche Annahmen zugrunde gelegt habe. „Das ist kein Stresstest, das ist ein Schönwetterbetrieb mit leichten Störungen“, sagte die Bündnis-Sprecherin Brigitte Dahlbender am Freitag bei der Präsentation der Ergebnisse in Stuttgart. Die Gegner seien bei der Vorbereitung des Tests „systematisch ausgegrenzt“ worden. Deshalb sei ein neuer Belastungstest nötig.
Bereits in der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass das umstrittene Milliarden-Projekt den Test bestanden hatte. Das Gutachten bestätigt die Leistungsfähigkeit des geplanten Tiefbahnhofs.
Bahn-Technikvorstand Volker Kefer lehnte einen neuen Belastungstest ab und wies den Vorwurf zurück, man habe die Gegner nur unzureichend beteiligt. Er erinnerte daran, dass sich beide Seiten in der Schlichtung auf das Schweizer Ingenieurbüro sma als Gutachter geeinigt hatten: „Wir wollten einen neutralen Gutachter.“ Die Gegner hätten Anfang des Jahres aber gefordert, einen weiteren, eigenen Gutachter benennen zu dürfen.
Schlichter Heiner Geißler rügte die Bahn wegen der mangelnden Beteiligung der Gegner: „Ich stehe in dieser Frage völlig hinter der Kritik.“ Zuvor hatte er aber bereits erklärt, ein weiterer Stresstest komme nicht infrage. Im ZDF sagte er, der Stresstest für die Durchgangsstation und den Anschluss an die neue Schnellbahnstrecke nach Ulm sei einwandfrei durchgeführt worden. „Das sagt sogar die Landesregierung.“ sma hatte attestiert, dass Stuttgart 21 den Test „mit optimaler wirtschaftlicher Betriebsqualität“ bestanden hat.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte zuletzt eine weitere Überprüfung des Stresstests ins Gespräch gebracht. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) bekräftigte diese Forderung: Nötig sei kein kompletter neuer Stresstest, aber ein weiterer Simulationslauf: „Es ist ein ergänzender Stresstest.“
Aus Sicht der Gegner ist der bestehende Stuttgarter Kopfbahnhof leistungsfähiger und kundenfreundlicher als die geplante Durchgangsstation. „Es gibt die bessere Alternative“, sagte Bündnissprecher Hannes Rockenbauch. Der jetzige Bahnhof sei der zweitpünktlichste Deutschlands und habe noch ungenutzte Kapazitäten.
Der Stuttgart-21-Gegner und Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) stellte die Unabhängigkeit der sma infrage: Die Firma bewerbe sich derzeit um ein neues Fahrplanungsprogramm der Deutschen Bahn. Palmer spielte damit auf die wirtschaftliche Bedeutung der Bahn als Auftraggeber für das Verkehrsberatungsbüro an. Im Zweifelsfall hätten die Gutachter die Weichen immer zugunsten von Stuttgart 21 gestellt, kritisierte Palmer. Geißler sprach von einer Unterstellung, für die Palmer die Beweise schuldig bleibe: „Ich werde es nicht zulassen, dass man die Gutachter unter Verdacht stellt.“
Zum erneuten Schlichtungstreffen hatten sich nach Schätzungen der Polizei etwa 400 Demonstranten versammelt. Die Pfeifkonzerte der Gegner waren auch im Sitzungssaal des Rathauses zu hören. (dapd/dpa)