Am Ende waren es zu wenig “Wutbürger“: Volksentscheid in Baden-Württemberg gibt grünes Licht für das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21.
Stuttgart/Hamburg. Am Ende hat es einfach nicht gereicht: Trotz jahrelangem Protest ist der Weg frei für Stuttgart 21 : Die Gegner des Milliarden-Projekts sind bei der Volksabstimmung am Sonntag in Baden-Württemberg klar gescheitert. Die Mehrheit von 58,8 Prozent stimmte gegen einen Ausstieg des Landes, wie Landeswahlleiterin Christiane Friedrich am Sonntagabend in Stuttgart mitteilte. Nur 41,2 Prozent waren für eine Kündigung der Finanzierungsverträge mit der Bahn. Die Wahlbeteiligung lag bei 48,3 Prozent. Damit kann der umkämpfte Tiefbahnhof weitergebaut werden. Stuttgart 21 war in den vergangenen Jahren auch bundesweit zum Symbol für die mangelnde Beteiligung von Bürgern an Großprojekten geworden. Das Vorhaben sieht den Bau eines unterirdischen Durchgangsbahnhofs und dessen Anbindung an die geplante ICE-Neubaustrecke nach Ulm vor. Die S21-Befürworter jubelten am Sonntagabend bei ihrer Party und skandierten: „Weiterbauen!“. Die S21-Kritiker verfehlten auch das Quorum von 33 Prozent der Wahlberechtigten deutlich.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gestand die Niederlage ein: „Wir werden dieses Votum akzeptieren. Das wird die ganze Landesregierung machen.“ Gleichwohl zeigte er sich zerknirscht über das Ergebnis: „Ich trage daran schwer.“ Jedoch werde das Land nicht mehr als 930 Millionen Euro zu dem Bahnprojekt beisteuern. „Mehr werden wir nicht bezahlen“, mahnte Kretschmann an die Adresse der Bahn.
Zur ersten Volksabstimmung seit 40 Jahren in Baden-Württemberg sagte der Regierungschef: „Das ist ein großer Sieg für die Demokratie und ein großer Schritt in die Bürgergesellschaft.“ Davon habe die ganze Republik profitiert.
Die grün-rote Landesregierung war bei S21 tief gespalten. Die Grünen wollten den Bau verhindern, die SPD war mehrheitlich dafür. Die Grünen befürchten, dass die bisher auf 4,1 Milliarden Euro bezifferten Kosten aus dem Ruder laufen.
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Auch Vize-Regierungschef Nils Schmid (SPD) betonte, das Land werde penibel darauf achten, dass der Kostenrahmen von maximal 4,5 Milliarden Euro nicht gesprengt wird. Die Bahn sieht das Land dagegen in der Pflicht: „Auch das Land muss seinen Beitrag leisten, wenn mehr Kosten kommen sollten“, sagte Projektsprecher Wolfgang Dietrich.
Nicht alle S21-Gegner akzeptieren das Ergebnis des Referendums. „Wir stellen unsere Aktivitäten erst ein, wenn Stuttgart 21 beendet ist“, sagte Matthias von Herrmann, Sprecher der sogenannten Parkschützer. Dagegen erklärte die Landesvorsitzende des Umweltverbands BUND, Brigitte Dahlbender: „Das Ergebnis müssen wir wohl hinnehmen.“ Der prominente S21-Gegner und Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) sagte: „Der politische Widerstand gegen das Projekt ist beendet.“
Die Opposition von CDU und FDP zeigte sich erleichtert. „Mir ist ein Felsbrocken vom Herzen gefallen“, sagte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Er forderte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) als vehementen S21-Gegner zum Rücktritt auf. Hermann lehnte dies umgehend ab.
CDU-Landeschef Thomas Strobl sagte: „Jetzt ist Ministerpräsident Kretschmann gefordert: Er muss den verbohrten S21-Gegnern, die weiteren Widerstand angekündigt haben, klar machen, wie Demokratie funktioniert.“ Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) freute sich über das Resultat: „Alles andere hätte zu chaotischen Situationen geführt.“
Die Bauarbeiten sollen bis 2019 dauern. Dann wäre seit den ersten Planungen ein Vierteljahrhundert vergangen. Bei dem Volksentscheid waren 7,6 Millionen Bürger aufgerufen, über den Ausstieg des Landes abzustimmen. Sogar in der Landeshauptstadt behielten die Befürworter von S21 die Oberhand. Knapp 53 Prozent stimmten gegen einen Ausstieg, gut 47 Prozent dafür. In Baden gab es in den großen Städten wie Mannheim, Karlsruhe, Freiburg und Heidelberg eine Mehrheit für die Projektkritiker. Allerdings wurde auch dort das Quorum verfehlt.
Die Grünen halten eine Modernisierung des Kopfbahnhofs für die bessere und billigere Alternative. Die SPD-Spitze sowie CDU und FDP sehen in dem Bau der Durchgangsstation ein Jahrhundertprojekt, durch das die Landeshauptstadt verkehrlich ins Herz Europas rückt.
Der Streit über das Vorhaben hatte sich im Sommer 2010 – bei Beginn des Abrisses von Teilen des alten Bahnhofs – zugespitzt. Zehntausende gingen gegen das Projekt und die damalige schwarz-gelbe Landesregierung von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) auf die Straße.