Michael Neumann: Jetzt oder nie. CDU-Experte Bosbach warnt hingegen vor einer Blamage. Die rechtsextreme Partei steckt derweil in der Krise.
Hamburg. Holger Apfel trägt Anzug, Krawatte und eine Brille mit schmalem Rand, er bellt nicht mehr so laut ins Mikrofon wie früher im Straßenwahlkampf. Der 40-jährige Chef der sächsischen NPD-Landestagsfraktion steht seit gut einer Woche ganz oben in der rechtsextremen Partei. Als Vorsitzender will er die NPD zu einer "seriösen Radikalität" führen, wie er sagt. Apfel hatte sich durchgesetzt gegen den bisherigen Bundesvorsitzenden der Rechtsradikalen, Udo Voigt. Der neue Chef zeigt sich im Mantel des Bürgerlichen - wirbt für eine NPD als Anti-Euro-Partei, als Sammelbecken rechter Globalisierungsgegner.
Doch hinter der neuen Tapete der Partei klebt weiter brauner Putz. In den Führungspositionen sitzen Radikale, Volksverhetzer, oftmals Vorbestrafte. Die Partei hat enge Verbindungen zur gewalttätigen rechtsextremen Szene, den Kameradschaften und den "Freien Kräften". Und es gab Schnittstellen zum Thüringer Heimatschutz, aus der auch der selbst ernannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) des Neonazi-Trios hervorgegangen ist. Wie Beate Z. und ihre inzwischen toten Kumpanen war auch Patrick Wieschke Teil des rechten Netzwerks. Jetzt sitzt er im Bundesvorstand der NPD. Als es den "Heimatschutz" noch gab, tummelten sich dort zahlreiche andere NPD-Mitglieder. Die neue Strategie von Apfel hat vor allem einen Grund: Es kann für seine Partei nicht weitergehen wie bisher. Die Partei hat 6500 Mitglieder, 400 weniger als 2009. Auch die bis heute nicht abgeschlossene Fusion mit der rechtsnationalen DVU werde nicht mehr Mitglieder bringen, vermutet der Verfassungsschutz. Im Moment sorgt die Fusion eher für Unruhe im extrem rechten Lager. Das Wahljahr 2011 brachte der NPD nicht die gewünschten Wahlerfolge. Sie konnte in keinen weiteren Landtag einziehen, sie scheiterte in Sachsen-Anhalt, in Berlin kam sie auf knapp über zwei Prozent. Nur in Mecklenburg-Vorpommern waren die Rechtsextremen erfolgreich. Und so braucht die Partei nicht nur Mitglieder, sondern dringend Geld. Derzeit droht wegen eines falschen Rechenschaftsberichts eine Strafe von 2,5 Millionen Euro. Und so flüchtet sich der frisch gewählte Vorsitzende in die Rhetorik des Neustarts. Doch vielleicht wird es seine Partei nicht mehr lange geben.
Das politische Deutschland diskutiert über ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD. Und die Stimmen für ein Verbot werden lauter. Auch Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) schätzt die Chancen weitaus höher als die Risiken ein. "Zur Gefährlichkeit der NPD ist alles Wissen vorhanden", so Neumann zum Hamburger Abendblatt. "Die NPD gehört verboten, ganz unabhängig davon, ob die Zwickauer Terroristen Beziehungen zur NPD hatten oder nicht." Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung müssten sich jetzt entscheiden. Seiner Meinung nach darf die Debatte diesmal nicht - wie in den Jahren zu vor - versanden. "Die ständige Diskussion führt nicht dazu, dass die Menschen den Eindruck gewinnen, dass es der Politik ernst mit dem Thema ist. Entweder machen wir es jetzt, oder wir hören endlich auf, ständig über ein Verbotsverfahren zu reden."
+++ Verbote helfen nicht ++++
+++ Neonazis töteten seit 1990 bis zu 182 Menschen +++
+++ Noch mehr V-Leute im Umfeld des Neonazi-Trios +++
+++ Feuerwehrmann wundert sich über Einsatz im Zschäpe-Haus +++
+++ ... und plötzlich im Visier der Neonazis +++
Befürworter eines Verbots finden sich quer durch die politischen Lager - von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) bis zur Grünen-Chefin Claudia Roth. Den CDU-Innenexperten Wolfgang Bosbach erinnert die Stimmung in der Republik an die Lage vor zehn Jahren, als der Bundestag sich für ein Verbotsverfahren aussprach. Schon damals äußerte Bosbach Bedenken. Warnende Stimmen seien beiseitegeschoben worden, sagt Bosbach zurückblickend dem Abendblatt. "Wer gegen einen Antrag war, musste sich plötzlich rechtfertigen." Und er vermutet, dass sich die Dinge wieder so entwickeln wie 2000 - hin zu einem erneuten Verbotsversuch: "Angesichts dieser Erfahrung gehe ich davon aus, dass auch jetzt wieder der Zug in Richtung NPD-Verbot abfährt."
Bosbach ist überzeugt, selbst wenn der neue Antrag Erfolg hätte, würde das nicht am Extremismus und der Gewaltbereitschaft der Mitglieder ändern. "Ein erneutes Scheitern wäre eine riesige Blamage für den Staat."
Bevor die Dinge ihren Lauf nehmen, will Bosbach allerdings neues Material über die NPD sehen. "Wir brauchen jetzt rasch eine komplette Erfassung aller auf Landes- und Bundesebene vorhandenen Argumente für ein NPD-Verbot, einschließlich aller Indizien und Beweise für aggressiv-kämpferisches Verhalten gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung."
Heute wird Bosbach als Vorsitzender des Innenausschusses eine Sondersitzung zum Rechtsterrorismus leiten. Auskunft erhoffen sich die Abgeordneten vor allem von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Generalbundesanwalt Harald Range, die zu der Sitzung erwartet werden. Auch der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, und der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, kommen nach Berlin, ebenso der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Thomas Sippel.
Auch die Einberufung eines Sonderermittlers zum Rechtsterror könnte Thema auf der Sitzung sein. Abgeordnete von Union und SPD wollen die Pannen bei der Fahndung und mögliche Verwicklungen des Verfassungsschutzes durch einen solchen Berichterstatter aufklären, berichtet die "Mitteldeutsche Zeitung" unter Berufung auf Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums.