Autonome, Kameradschaften, Rocker - die rechte Szene tritt nicht nur klischeehaft mit Glatze und Springerstiefeln auf. Eine Bestandsaufnahme.

Hamburg. Am Anfang des großen Erschreckens über das mörderische Gedankengut stand Paulchen Panther. Die nette Comicfigur mit dem rosa Fell führt durch die rassistische Welt des Zwickauer Neonazi-Trios . Auf ihrer Bekenner-DVD verhöhnt die Gruppe des selbst ernannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) mithilfe der Zeichentrickfigur ihre Opfer. Jeder Tag bringt neue Details über die Verstrickungen der mutmaßlichen Mörder an die Öffentlichkeit, der rechtsextreme Thüringer Heimatschutz drängt in den Fokus - und Fragen: Wie eng waren die Kontakte des NSU zu rechten Szene? Wer half der Gruppe? Wie stark ist "brauner Terror" verbreitet?

+++Gabriel will mehr Polizei gegen die "braunen Horden"+++

+++Kommentar: Verbote helfen nicht+++

Die Fragen, die nun immer mitklingen, verraten vor allem eines: das Unwissen der Medien, der Bürger und von Teilen des Staates über die rechte Szene. Im Fokus des Verfassungsschutzes stand zuletzt der islamistische Terrorismus. Gewaltverbrechen von rechts blinkten nur selten auf dem Radar der Öffentlichkeit auf - und die Szene profitierte davon. Sie wuchs, vernetzte sich und wurde militanter. Dem Klischee der Neonazis in Springerstiefeln und Bomberjacken steht heute eine rechte Subkultur gegenüber, die sich abseits der NPD in losen Gruppen und Cliquen organisiert. Autonome, Kameradschaften und Wehrsportgruppen vernetzen sich bei Konzerten und im Internet. Vielerorts gelingt es ihnen, eine rechte Alltagskultur zu etablieren. Ein Blick in Deutschlands braunen Kosmos:

Propaganda mit E-Gitarren: Rechtsrock

Folgende Zeilen sind nichts für zarte Gemüter: "Ich tret ihn zu Boden, rotz ihm ins Gesicht, denn dreckige scheiß Punks, die mag ich nicht. (...) Sein Kiefer zerschmettert durch die Doc-Stahlkappe (...) Er blutet aus dem Schädel und bewegt sich noch, da tret ich noch mal rein (...), immer auf'n Kopf." Es sind vor Hass und Gewalt triefende Zeilen aus einem Song von Kraftschlag, einer Neonazi-Band aus Itzehoe, die mit harter Gitarrenmusik und dumpf gegröltem Männergesang arbeitet, Markenzeichen des sogenannten Rechtsrocks . Endlöser, Gestapo, Nordfront oder Küstensturm - schon die Band-Namen verraten die Gesinnung: Kraftschlag ist in Nazi-Kreisen weit bekannt, obwohl die meisten ihrer Platten auf dem Index stehen und nicht offen verkauft werden dürfen. Rechtsradikale Musik verbreitet sich vor allem über das Internet. In Online-Shops können Neonazis sich CDs extrem rechter Bands bestellen, von denen allein in Deutschland im letzten Jahr 165 den Behörden bekannt waren. Sie können ihre Songs aber auch in einem von 30 rechtsradikalen Internetradios hören oder bei YouTube nach den Musikvideos suchen.

Trotzdem treten jedes Jahr auch in der realen Welt immer wieder rechtsradikale Bands auf. Verfassungsschützer zählten rund 125 Konzerte in 2010. Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher liegen, denn die Organisation der Konzerte läuft oft konspirativ ab - Aussteiger der Szene erzählen von Treffen auf Tankstellen und Fahrten in verschiedenen Autos auf abgelegene Höfe.

Musik ist für die Szene beides: gewaltverherrlichendes Aufputschmittel und Transportmittel brauner Propaganda. Neonazistische Kameradschaften und rechtsextremistische Parteien nutzen sie auch, um Jugendliche anzulocken, die ideologisch noch nicht geprägt sind. "Eine besondere Bedeutung kommt hier der NPD zu", heißt es im Verfassungsschutzbericht 2010. Rechtsextreme Gruppen und Liedermacher gehörten auf Veranstaltungen der Partei "fest zum Programm".

Möglich wird das unter anderem dadurch, dass sich die Szene wandelt. Die Mehrzahl der rechtsextremistischen Musikgruppen verzichtet laut Verfassungsschützern mittlerweile auf strafbare Liedtexte, um auf diese Weise ein größeres Publikum anzusprechen. Doch "nicht strafbar" heißt noch lange nicht harmlos - die Bands singen von "antideutscher Volksverdummung", "Ehre" und "Besatzerterror".

Rassisten im Kapuzenpulli: Nationale Autonome

Sie hören auch Hip-Hop, tragen keine Springerstiefel und keine Bomberjacken, stattdessen schwarze Kapuzenpullover und Baseball-Kappen. Sie kleiden sich wie linke Autonome, stehen aber auf der anderen politischen Seite. "Autonome Nationalisten" sind laut Verfassungsschutz in der neonazistischen Szene die am schnellsten wachsende Strömung. Die sogenannte AN-Bewegung richte sich "vorwiegend an jüngere und gewaltbereite Aktivisten". Bundesweit fielen die Autonomen Nationalisten erstmals am 1. Mai 2008 in Hamburg auf, als unter den 1200 Rechtsextremisten auch 400 schwarz gekleidete Neonazis durch Barmbek marschierten. Es kam zu Angriffen gegen Polizisten, Journalisten und Gegendemonstranten. Ihre Militanz finden sie chic. Doch die AN sind längst kein Großstadtphänomen mehr - auch in kleineren Städten in Norddeutschland gibt es einzelne Gruppen mit oftmals nur wenigen Mitgliedern, die jedoch bundesweit eng vernetzt sind. In Deutschland soll es nach Angaben der Sicherheitsbehörden etwa 1000 Anhänger der Nationalen Autonomen geben.

Wie linke Autonome benutzen die AN englische Parolen wie "Fuck the System", sie wenden sich gegen den Kapitalismus. Coole Klamotten, antikapitalistische Parolen, Internationalismus wird suggeriert - mit ihrem Stil wollen sie auch die "Altnazis" und ihre Deutschtümelei provozieren, doch der Hass ist oft derselbe. Autonome beteiligen sich an Fackelzügen und "Heldengedenken" an Nationalsozialisten, sie verbreiten Aufkleber und T-Shirts mit ihren Symbolen. Nationale Autonome fallen "durch einen aktionsorientierten Nationalismus auf", sagt Mark Sauer, Vorsitzender des Vereins Miteinander leben in Mölln. "Die politische Aktion bekommt einen kruden und oft auch gewaltbereiten Eventcharakter, dabei steht die Propaganda der Tat im Vordergrund." Und die Tat ist oftmals Gewalt gegen andersdenkende Jugendliche.

Gewalt und Hierarchie: Kameradschaften

Schon Mitte der 1990er-Jahre riefen Neonazi-Größen wie Thomas Wulff zur Gründung sogenannter Freier Kameradschaften auf. Es war eine Reaktion auf das Verbot mehrerer rechtsextremer Organisationen. Kameradschaften sind heute meist Gruppen mit etwa 15 Mitgliedern - bewusst organisiert als Netzwerk und nicht als Partei oder Organisation, um sich gegen Verbote und Ermittlungen zu schützen. Viele Gruppen der extrem rechten Autonomen Nationalisten sind aus den Kameradschaften hervorgegangen - und grenzen sich gegen deren uniformen Kleidungsstil ab. "Kameradschaften treten militaristischer und uniformierter auf. Sie sind stärker hierarchisch strukturiert mit Kameradschaftsführern an der Spitze", sagt Mark Sauer vom Verein Miteinander leben. Einige der "Kameraden" tragen noch Glatzen oder Tattoos der Neonazi-Organisation Blood and Honour.

Gewaltbereite Skinheads und Rechtsrocker finden sich genauso in den Kameradschaften wie völkisch denkende Nationalisten. In Niedersachsen waren 2010 laut Verfassungsschutz die Snevern Jungs für die Rechten "prägend". Die "ideologisch gefestigte" Gruppe sei für Niedersachsen ein Scharnier zwischen Szene und den Parteistrukturen der NPD.

Kameradschaften organisieren auch Wehrsportgruppen. Sie spielen mit Softair-Waffen im Wald und Kriegsszenen in Uniform nach. Was harmlos klingt, sind paramilitärische Übungen. Neonazis trainieren den bewaffneten Kampf, den sie so gerne gegen ihre politischen Gegner führen würden. 1982 verübte das Mitglied einer Wehrsportgruppe ein Sprengstoffattentat auf dem Münchner Oktoberfest, zwölf Menschen starben.

Analoge und digitale Hetze: Rechte Medien

Es dürften schwere zweieinhalb Jahre für Axel Möller werden. 30 Monate, in denen der 47-Jährige seine rechte Meinung nicht mehr aller Welt kundtun kann. Der Mitbetreiber der rechtsradikalen Info-Seite Altermedia wurde wegen Volksverhetzung, Verwendens verfassungsfeindlicher Symbole, Aufruf zu Straftaten und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener verurteilt. Aus ihrer Gesinnung machten die verschiedenen Autoren des Portals keinen Hehl: Angesichts "Hunderter" Morde von Ausländern an Deutschen weine er den türkischen und griechischen Opfern der Zwickauer Nazizelle nicht "auch nur eine einzige Krokodilsträne" nach, höhnte einer von ihnen. Inzwischen befindet sich die Seite angeblich im Wartungsmodus. Die braune Suppe im Internet wird dadurch jedoch kaum dünner. Auf "widerstand.info" fragt Hans Püschel, ein rechtsgesinnter Bürgermeister aus Sachsen-Anhalt: "Sind die 'Dönermörder' verfassungsgemäße Widerständler?" Die Liste der rechten Portale lässt sich kaum überblicken, viele von ihnen sind auf ausländischen Servern angemeldet und daher vor dem Zugriff deutscher Behörden sicher.

Nationalisten, Rassisten und Holocaustleugner finden jedoch auch außerhalb ihrer sicheren Internet-Welt genügend Lesestoff. Legale Verlage wie der Arndt-Verlag des vor allem in Schleswig-Holstein tätigen Dietmar Munier verbergen ihre Ideologie durch Andeutungen. Zu ihren Autoren gehören auch regelmäßig Holocaustverleugner wie David Irving oder Günter Deckert.