Für die Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm ist Kanzlerin Merkel breite Zustimmung sicher. Die Zweifler konnte sie nicht überzeugen.
Berlin. Ende September musste Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm noch um die Mehrheit der Stimmen der Regierungskoalition bangen. Heute fährt sie mit größtmöglicher Rückendeckung des Parlaments nach Brüssel. Die Fraktionen von Union, FDP, SPD und Grünen einigten sich gestern auf einen gemeinsamen Entschließungsantrag zur Stärkung des Euro-Rettungsschirms EFSF, über den am Nachmittag im Plenum abgestimmt wird. Die Fraktionen betonen in ihrem Entschließungsantrag, dass die "weiterhin angespannte Marktlage" es erforderlich macht, "einen möglichst effizienten Einsatz dieser Mittel zur Stabilisierung der Euro-Zone sicherzustellen". Konkret werden zwei "Optimierungsmodelle" für den Rettungsschirm benannt: die sogenannte Fonds- und die Versicherungslösung. "Beide Modelle schließen sich nicht gegenseitig aus", heißt es in dem Antragsentwurf.
+++Koalition mit SPD und Grünen einig - Gysi: "nicht hinnehmbar"+++
+++Versicherungsfall Europa+++
Bei einer Abstimmung in der Unionsfraktion gab es nur sieben Gegenstimmen und drei Enthaltungen. In der FDP-Fraktion war der Antrag nach Angaben aus Fraktionskreisen ebenfalls mit großer Mehrheit gebilligt worden bei vier Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen. Ein Meinungsbild bei den Grünen fiel mit 49 Ja-Stimmen, keiner Nein-Stimme, zwei Enthaltungen und vier unentschiedenden Abgeordneten positiv aus. Die SPD signalisierte ebenfalls Zustimmung. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) begrüßte den gemeinsamen Antrag von Koalition und Opposition. "Das ist eine großartige Stärkung der Verhandlungspositionen unserer Bundesregierung, unserer Bundeskanzlerin in Brüssel."
Die Schlagkraft für den EFSF soll erhöht werden, seine Wirkung durch einen Kredithebel vervielfacht und somit mehr Geld für die Bekämpfung der Schuldenkrise bereitgestellt werden. Und dafür braucht Merkel 311 Stimmen im Parlament. Doch selbst wenn der Bundestag den weiteren Euro-Verhandlungen grünes Licht gibt: Der Euro ist noch nicht gerettet. Im Gegenteil. Der große Befreiungsschlag wird heute nicht gelingen. Trotz des dramatischen Verhandlungsmarathons der vergangenen Tage bleiben die schwierigen Detailfragen ungelöst. Wie der Schuldenschnitt für Athen aussehen soll, wie genau der Rettungsfonds EFSF "gehebelt" wird: Das sollten eigentlich die EU-Finanzminister am Vormittag vorbereiten, damit es die Staats- und Regierungschefs am Abend verabschieden können. Doch in letzter Minute musste das Treffen abgeblasen werden.
Selbst der Gipfel, der schon vom Sonntag auf heute verschoben worden war, stand zeitweise auf der Kippe. Ratschef Herman Van Rompuy sah sich gestern Nachmittag gezwungen, per Twitter zu bestätigen, dass der Gipfel stattfindet. Wozu? Nun, die Arbeit an einem Gesamtpaket zur Eindämmung der Schuldenkrise werde "fortgesetzt", teilte die polnische Ratspräsidentschaft mit. Von Entscheidungen keine Rede mehr. Nach dem Spitzentreffen werde die weitere Arbeit von den Finanzministern erledigt, damit das Gesamtpaket "so schnell wie möglich" angenommen werden könne. Im Klartext: Ein weiterer Gipfel wird notwendig.
Und die Kritik am Euro-Rettungsschirm verstummt nicht. Die Koalitionsabweichler von Ende September haben bereits ihr Nein angekündigt. So auch die Hamburger FDP-Abgeordnete Sylvia Canel. "Alle Hebel erhöhen auch die Haftung für alle Mitgliedstaaten im Ernstfall. Das möchte ich nicht, deshalb werde ich nicht zustimmen können", sagte sie dem Abendblatt. Ihrer Meinung nach würden jetzt die gleichen Fehler gemacht, wie sie die Vorstände und Aufsichtsräte deutscher Landesbanken gemacht hätten, "die auch nicht wussten, welche Risiken sie mit gebündelten Krediten übernehmen". Die Folge sei eine faktische Insolvenz der Landesbanken gewesen, die wiederum nur durch den Steuerzahler aufgefangen worden sei. Canel warnte: "So könnte es auch beim gehebelten EFSF enden." Bei den Landesbanken hätten auch viele Politiker im Aufsichtsrat gesessen. Das Ergebnis der Aufsicht sei nicht überzeugend gewesen. "Der Deutsche Bundestag ist kein Aufsichtsrat und auch keine Bank", so Canel weiter.
Der lauteste liberale Kritiker der Euro-Hilfen, Frank Schäffler, nahm die bevorstehende Parlamentsentscheidung zum Anlass, erneut den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone zu fordern. Griechenland könne im Euro nicht mehr wettbewerbsfähig werden. "Die Bedenken der Kritiker sind nicht ausgeräumt, sondern haben sich eher bestätigt", sagte CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach. Parteikollege Klaus-Peter Willsch kündigte gestern seine Ablehnung an. Er sprach von der Befürchtung, dass durch den geplanten EFSF-Hebelmechanismus das Risiko von Zahlungsausfällen gewaltig steigen werde. Damit würde sich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Deutschland mit seiner Haftungssumme von 211 Milliarden Euro tatsächlich einspringen müsste. Diese Summe werde aber in keinem Fall überschritten, stellte die CSU-Landesgruppenchefin im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, klar. Fest steht auch, dass der Bundestag nicht über die genauen Leitlinien, sondern über die Akzeptanz für zwei Hebel-Modelle abstimmen werde. Später soll sich der Haushaltsausschuss noch mit den genauen EFSF-Leitlinien beschäftigen.
Während die Koalition in Berlin noch für die Zustimmung zum Antrag für die Erweiterung des Rettungsschirms kämpfte, machten der frühere Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) und sein Bruder Eggert Voscherau, Präsident Bundesarbeitgeberverband Chemie, in der "Bild"-Zeitung deutlich, wie es aus ihrer Sicht um Europa steht: "Wer möchte einem deutschen Arbeiter oder Angestellten, der bis 67 arbeiten soll und seinen sauer erarbeiteten Lohn in der Regel sauber versteuert, bitte klarmachen, dass er bluten muss für einen europäischen Landsmann in Griechenland, der bis Mitte 50 arbeitet, nur sehr ungern je eine Quittung aus der Hand gibt, keine vollständigen Steuern zahlt - und die Reichen haben ihr Geld im Ausland?"