Pöbeleien von Ronald Pofalla gegen Wolfgang Bosbach im Vorfeld der Euro-Rettungsschirm-Entscheidung sorgen für Empörung in Koalition.
Berlin. Weit oben im siebenten Stock arbeitet er auf einer Etage mit der Bundeskanzlerin. Sein Bürotrakt im Kanzleramt liegt gegenüber dem Angela Merkels. Er ist ihr wichtigster Koordinator zwischen den Ministerien, und er ist dafür da, die Regierungsarbeit so geräuschlos und effizient wie möglich zu gestalten. Von den 15 Ministern ist er der unbekannteste: Der Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts arbeitet üblicherweise hinter den Kulissen. Knapp zwei Jahre lange ist dies Ronald Pofalla (CDU) auch relativ gut gelungen.
Das Rampenlicht, in dem Pofalla nun aber steht, hat rein nichts mit seiner Arbeit zu tun. Ein unkontrollierter Wutausbruch hat Merkels Kanzleramtsminister in den Fokus der Öffentlichkeit katapultiert. Das Ereignis, das den früheren CDU-Generalsekretär in Bedrängnis gebracht hat, liegt nunmehr acht Tage zurück. Es ist der Montagabend der vergangenen Woche. Die Sitzung der Gruppe der nordrhein-westfälischen CDU-Bundestagsabgeordneten ist beendet. Pofalla und Wolfgang Bosbach, der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, treffen beim Hinausgehen aufeinander. Die Stimmung ist angespannt, Bosbach will bei der Bundestagssitzung drei Tage später gegen die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms EFSF stimmen - und damit gegen die klare Mehrheit der Unionsfraktion und gegen die Pläne der Kanzlerin. Deren langjähriger Vertrauter ist Pofalla.
Erst jetzt - nach der erfolgreichen Abstimmung inklusive Kanzlermehrheit - ist die folgenschwere Begegnung Pofallas und Bosbachs auf den Fluren der nordrhein-westfälischen Landesvertretung kolportiert worden. Nach Berichten von Beobachtern geht Pofalla den Abweichler hart an. Es fallen Sätze, die so laut sind, dass Anwesende sie hören müssen. "Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen", "Du machst mit deiner Scheiße alle Leute verrückt". Als Bosbach zu beschwichtigen versucht und zu Pofalla sagt: "Ronald, guck bitte mal ins Grundgesetz, das ist für mich eine Gewissensfrage", ist Pofalla schon auf der Straße vor seinem Dienstwagen angekommen. Doch Pofalla will nicht diskutieren. Er antwortet Bosbach schroff und knapp: "Lass mich mit so einer Scheiße in Ruhe."
Kaum war am Wochenende die Entgleisung des Kanzleramtsministers bekannt geworden, machten mehrere Koalitionäre ihrem Ärger über Pofalla Luft. Der FDP-Abgeordnete Erwin Lotter warf dem Merkel-Vertrauten in "Bild am Sonntag" vor, das politische Klima in der Koalition zu vergiften. "Das stellt seine Eignung als Kanzleramtsminister infrage." Die CDU-Abgeordnete Erika Steinbach sagte, es dürfe nicht sein, "dass wir Kollegen mobben oder sogar beschimpfen, wenn sie eine andere Meinung haben und dazu stehen". Bundestagspräsident Lammert bezeichnete Bosbach als einen der angesehensten Kollegen der Bundestagsfaktion, und dieser sei nicht als notorischer Nörgler bekannt. "Wenn Druck ausgeübt wird, können sich die Abgeordneten aber auf meine Solidarität verlassen", machte Lammert deutlich, was er von Pofallas Schimpftiraden hält. Lammert war am Donnerstag selbst von führenden Unionspolitikern attackiert worden, weil er zwei Abweichlern aus der Regierungskoalition vor der EFSF-Entscheidung Rederecht gewährt hatte, obwohl sie von ihren Fraktionen nicht als Redner aufgestellt worden waren.
Auch die frühere Bundestags-Vizepräsidentin und jetzige CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt zeigte sich irritiert über Pofallas Verbalattacke und warnte vor einem Ansehensverlust des Bundestags: "Wenn wir als Parlament respektiert werden wollen, braucht es auch Respekt der Abgeordneten untereinander", sagte sie dem Abendblatt. "Dazu halte ich alle Seiten an", betonte die CSU-Parlamentarierin. Ihr Vorgehen in der Landesgruppe funktioniere eher nach dem Motto: "Klar und hart in der Sache, freundlich im Ton." Auch Hasselfeldt beschrieb die Situation vor der EFSF-Entscheidung als aufreibend. "Jeder Abgeordnete trägt große Verantwortung. Niemand aus der Fraktion hat sich die Abstimmung leicht gemacht. Im Vorfeld haben wir alle Argumente ausführlich gehört und diskutiert. Dann erwarte ich aber auch Solidarität mit der großen Mehrheit der Fraktionskollegen, wenn es sich nicht um eine Gewissensfrage handelt", sagte sie weiter.
Während Pofalla am Wochenende zu den Vorgängen und der Kritik an seiner Person schwieg, sendete Bosbach versöhnliche Signale: "Es ist alles gesagt. Ich muss ihm zugutehalten, dass er sich am nächsten Tag bei mir entschuldigt hat - wir haben uns zu einem Gespräch verabredet, und damit ist die Sache für mich erledigt", sagte er dem Kölner "Express". Doch wie es Bosbach wirklich geht, wurde trotz seiner relativierenden Worte nicht ganz ersichtlich. Mehrere Medien berichteten, der 59-Jährige erwäge nach dem Vorfall, 2013 nicht wieder für den Bundestag zu kandidieren. Steigt womöglich einer der profiliertesten Politiker Deutschlands aus, weil er sich von den eigenen Leuten gemobbt fühlt? Einen solchen Vorwurf will Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gar nicht erst gelten lassen. Mobbing gegen Politiker, die im Parlament gegen die Aufstockung des Rettungsschirms stimmten, gebe es nicht, sagte sie im ZDF. Es gebe aber "bis an die Existenz gehende Debatten", da es um die Zukunft Europas gehe. Hinter den Politikern lägen enorm schwierige Wochen. Niemandem falle dies leicht, daher sei es wichtig, "schonungslos und offen" zu diskutieren.
Für Pofalla, der als Generalsekretär von 2005 bis 2009 für die Abteilung Attacke der CDU zuständig war, dürften die kommenden Tage dennoch unangenehm werden. Dass bei einem zentralen Minister die Nerven blank liegen in einer Phase, in der die Koalition ihre Euro-Rettungsmaßnahmen gegen große Vorbehalte in der Bevölkerung durchsetzt, könnte das Vertrauen in die Regierung weiter erschüttern. Gut möglich, dass Merkel ihren Kanzleramtsminister öffentlich maßregeln wird, um für Ruhe zu sorgen.
Es wäre das erste Mal, dass die Kanzlerin sich bei Pofalla dazu genötigt sieht. Allerdings war es nicht Pofallas erste auffällige Taktlosigkeit. Als die Koalition im Juni 2010 in Sparklausur ging, soll der Kanzleramtschef dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wegen dessen forcierter Aussetzung der Wehrpflicht vorgeworfen haben, er führe sich auf wie ein Rumpelstilzchen. Damals ließ Pofalla den Satz dementieren, Guttenberg jedoch nicht.