CSU-Chef Horst Seehofer legt neuen Finanzierungsentwurf für die Pflegereform vor. Dieser widerspricht jedoch dem Koalitionsvertrag.
Berlin. So ganz vergessen ist er noch nicht, der heftige Streit zwischen CSU und FDP im Sommer 2010. Um die Gesundheitsreform ging es damals und die beiden kleinen Koalitionsparteien lagen sich mächtig in den Haaren. "Gurkentruppe" nannte man sich und "Wildsau" - selbst im Ausland schüttelten einige den Kopf über das unflätige Gebaren der deutschen Politiker.
Zwar bemühen sich die Kontrahenten jetzt um einen sachlicheren Ton - doch droht neues Ungemach auf diesem Feld. Denn während Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) das wohl wichtigste Projekt seiner noch kurzen Amtszeit auf die Zielgerade bringen will, funkt ihm die CSU - mal wieder - dazwischen. Es geht um die Pflegereform, die bereits Bahrs Vorgänger, der heutige Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) an den Start gebracht hat - 2011 rief er sogar zum "Jahr der Pflege" aus. Am 23. September sollen nach der bisherigen Planung die Eckpunkte der bislang nur grob umrissenen Reform präsentiert werden. Doch jetzt geht die CSU mit eigenem Konkurrenzmodell für die neue Pflegeversicherung ins Rennen, wie die "Süddeutsche Zeitung" gestern berichtete. Ein klarer Affront gegen Bahr - und ein neuer, offener Bruch in der einstigen schwarz-gelben "Wunschkoalition" von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Dabei sollte in der zweiten Hälfte der laufenden Legislaturperiode alles besser werden. Denn nach zwei Jahren Regierung fällt die Bilanz von Union und FDP mager aus. Neben immer neuem Zoff ist außer der hastig vollzogenen Energiewende, einer in letzter Minute getroffenen Entscheidung über die Zukunft der Anti-Terror-Gesetze und der auf den Weg gebrachten Bundeswehrreform kaum etwas im Gedächtnis geblieben. Dass bei dem ewigen Streitthema Steuersenkungen vor allem die Entlastung von Hoteliers unter dem Strich steht, tut da sein Übriges. Heute ist Schwarz-Gelb in den Umfragen weiter ohne Mehrheit - und die Zahl der offenen Baustellen wächst: Auf der Agenda der nächsten Wochen stehen neben Euro-Rettung und Pflegereform unter anderem die Vorratsdatenspeicherung (Union gegen FDP), die Pkw-Maut (CSU gegen FDP), die Zukunft der Hauptschule (CDU gegen CSU) und die Steuern (Union gegen FDP).
Dass die bayerische Landesregierung unter CSU-Chef Horst Seehofer jetzt erneut den offenen Konflikt sucht, liegt einerseits in grundverschiedenen Auffassungen in der Sache - andererseits aber auch darin, dass 2013 in Bayern ein neuer Landtag gewählt wird. Nach den letzten Wahlen 2008 musste die CSU dort zum ersten Mal seit mehr als 40 Jahren die Alleinregierung aufgeben und mit der FDP koalieren. Das soll sich so schnell wie möglich wieder ändern. Man muss sich also profilieren - vor allem gegen die Liberalen. Größter Streitpunkt in der Pflege ist dabei die Finanzierung. Die Herausforderung ist klar: 2,34 Millionen Pflegebedürftige gibt es gegenwärtig. Bis 2030 wird diese Zahl um rund eine Million zunehmen. Unter ihnen werden dann auch viele Demenzkranke sein, deren Betreuung heute noch nicht ausreichend von der Pflegeversicherung abgedeckt ist. Vor allem diese sollen mit der neuen Reform besser versorgt werden. Um diese Probleme zu lösen, will Gesundheitsminister Bahr die Bürger zu einer pauschalen Zusatzversicherung verpflichten, um eine Reserve anzulegen. So ist es auch im Koalitionsvertrag von Union und FDP festgelegt. Eine Art "Pflege-Riester" also für die Beitragszahler. Die CSU und vor allem Seehofer lehnen jedoch sowohl die Einführung eines Kapitalstocks als auch die einer "Kopfpauschale" vehement ab.
Die nun bekannt gewordenen Pläne der Partei würden auf einen neuen Zweig der Sozialversicherung hinauslaufen, in dem die Leistungen für Behinderte, Demenzkranke und besonders schwere Pflegefälle zusammengefasst würden. Zur Finanzierung sollen Steuermittel herangezogen werden. "Ich plädiere für ein Bundesleistungsgesetz, das die Pflegeversicherung finanziell von den schwersten Risiken entlastet", sagte Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU). Auf den Haushalt von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) kämen damit jährliche Mehrausgaben von zwölf Milliarden Euro zu. Das Konzept entkoppelt die Leistungen von der Pflegeversicherung, um eine Erhöhung der Beitragssätze zu vermeiden. "Spätestens wenn zukünftig jede zweite Frau und jeder dritte Mann von Demenz betroffen ist, stößt die Pflegeversicherung an ihre Grenzen", sagte Haderthauer.
Bahr hatte vor einigen Wochen bereits angedeutet, dass es mit seinem Konzept wohl auf steigende Beiträge hinauslaufen werde. Nach Ansicht mancher Koalitionspolitiker kosten die geplanten Verbesserungen, durch die auch pflegende Angehörige unterstützt und Pflegefachkräfte besser bezahlt werden sollen, vier bis sechs Milliarden Euro pro Jahr, was einen Anstieg um bis zu 0,6 Beitragssatzpunkte ausmachen würde. Derzeit liegen die Beiträge bei 1,95 Prozent für Versicherte mit Kindern und 2,2 Prozent für Kinderlose. Allein in den vergangenen zehn Jahren sind die Ausgaben der gesetzlichen Pflegeversicherung um ein Viertel auf über 20 Milliarden Euro in 2010 gestiegen.
Die Bundesregierung hielt sich zum CSU-Konzept gestern bedeckt. Solange die Arbeiten liefen, wolle der Gesundheitsminister Details nicht kommentieren, sagte ein Sprecher. Ärgerlich ist für Bahr aber, dass er jetzt zum zweiten Mal überholt wurde: Die SPD hatte bereits im Juli ein Pflegekonzept vorgelegt.