Die Energiebranche soll zusätzlich zur Brennelementesteuer belastet werden. DGB-Chef Michael Sommer hingegen fordert Vorrang für Kohle.
Hamburg. In der Debatte um längere Laufzeiten für Atomkraftwerke gehen die Gewerkschaften auf Kollisionskurs mit der Bundesregierung. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, sagte dem Hamburger Abendblatt: "Wir sehen in der Atomenergie keine Brückentechnologie und erteilen der beabsichtigten Verlängerung der Restlaufzeiten von Atomkraftwerken eine klare Absage." Die Bundesregierung tue gut daran, am rot-grünen Atomkompromiss festzuhalten, sagte der DGB-Chef. Würden die Atomkraftwerke länger am Netz bleiben, bremste dies Innovationen in der Energiebranche.
Statt auf Atomenergie müsse man verstärkt auf Kohle setzen, forderte Sommer. "Um Deutschland in ein Zeitalter der regenerativen Energieversorgung zu führen, macht die Kohle als Brückentechnologie viel mehr Sinn als die Kernkraft. Die Atomenergie führt uns klima- und industriepolitisch ins Abseits."
Sommer ist überzeugt, dass die Energiebranche in jedem Fall belastet werde. "Die Brennelementesteuer wird kommen, und zwar unabhängig von der Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke", sagte Sommer. Das höre er jedenfalls aus der Regierung. Er zeigte Verständnis dafür, dass die Energieversorger sich gegen eine Steuer sperrten. "Es ist legitim, dass die Energiekonzerne ihre Interessen artikulieren", sagte Sommer. "Es wäre aber nicht gut, wenn sie sich damit durchsetzen."
Der SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber sprach sich gegen eine verstärkte Nutzung von Kohlekraftwerken aus: "Es wäre falsch, statt auf Atomenergie nun auf Strom aus Kohlekraftwerken zu setzen", sagte Kelber dem Abendblatt. "Wenn wir die erneuerbaren Energien ausbauen wollen, brauchen wir eher flexible Gaskraftwerke, die die kurzfristigen Schwankungen in Stromverbrauch und -erzeugung ausgleichen können."
Wenige Wochen, bevor die Bundesregierung ihr Energiekonzept vorstellen will, stimmte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern die Atomwirtschaft auf Belastungen ein, die über die geplante Brennelementesteuer hinausgehen. Bei einem Besuch im Atomkraftwerk Lingen sagte Merkel auf die Frage, ob sie für eine zusätzliche Abgabe über die neue Steuer hinaus sei: Einerseits müsse der Haushalt konsolidiert werden. Die Regierung habe da bestimmte Abgaben im Auge. "Ich glaube, dass wir darüber hinaus - aber hier verwende ich ausdrücklich nicht das Wort Abgabe - natürlich darüber sprechen müssen, in welcher Weise auch die Energiewirtschaft einen Beitrag für die erneuerbaren Energien leisten kann." Zugleich ließ sie keinen Zweifel an der Verlängerung der Atomlaufzeiten, wollte aber keine Anzahl an Jahren nennen. Merkel besichtigte den Meiler in Lingen gemeinsam mit dem Chef des Energiekonzerns RWE, Jürgen Großmann, dem Vorstandsvorsitzender von E.on, Johannes Teyssen und von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU).
Umweltminister Röttgen fordert bereits länger eine Abgabe der Stromkonzerne, die auch die erneuerbaren Energien unterstützen soll. In der ARD-Sendung "Hart aber fair" sprach er sich für eine zusätzliche Belastung über die geplante Brennelementesteuer hinaus aus und bekräftigte seinen Widerstand gegen eine vertragliche Festlegung der Industrie anstelle eines Steuergesetzes. Röttgen sagte, die Energieversorger würden aus der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke "enorme Zusatzgewinne" haben. "Von diesen Zusatzgewinnen möchten wir einen substanziellen Teil haben, um ihn für den Ausbau, die Erforschung der erneuerbaren Energien zu verwenden." Auf Widerstand stößt Merkels Kurs bei der CSU. Der Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller, sagte, eine zusätzliche Abgabe sei "derzeit alles andere als sinnvoll". Eine Brennelementesteuer dürfe nur bei einer Verlängerung der Laufzeiten kommen.
SPD-Politiker Kelber warnte vor Gedankenspielen, bei dem zusätzlichen Beitrag die Energiekonzerne nicht finanziell zu belasten, sondern sie lediglich auf Investitionen in erneuerbare Energien zu verpflichten: "Damit würde man auch bei den grünen Energien Monopolstrukturen schaffen, und das würde wieder für uns alle teuer werden." Kelber forderte stattdessen eine Brennelementesteuer, die mit 3,5 bis vier Milliarden Euro pro Jahr deutlich über den von der Regierung bislang vorgesehenen 2,3 Milliarden liegen solle.
Der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister (CDU) verlangte eine angemessene Beteiligung der Länder an dem Geld aus der Brennelementesteuer. Als Grund nannte McAllister die Sanierungskosten für das marode niedersächsische Atomlager Asse.