Der gewaltige personelle Aderlass kann der CDU-Parteichefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Ende selbst gefährlich werden.
Berlin. Es hätte ein rundweg angenehmer 56. Geburtstag für Angela Merkel werden können. Weit weg von Berlin, auf Dienstreise in der chinesischen Provinzhauptstadt Xi'an, mit Ministerpräsident Wen Jibao als prominentem Gratulanten am Frühstückstisch. Da war es in Deutschland gerade halb zwei in der Nacht, und ungefähr zum gleichen Zeitpunkt lief dort eine undementierte Meldung über alle Kanäle, die die Kanzlerin auf Nachfrage keinesfalls kommentieren wollte. Ihr Thema: Ole von Beusts freiwilliger Rückzug aus der Politik.
Zwar hatte der Erste Bürgermeister die Kanzlerin bereits vor einigen Monaten in seine Gemütslage eingeweiht. Doch nach Auffassung politischer Beobachter vermindert das kaum den Schlag, den Ole von Beust der Parteivorsitzenden damit bereitet. Denn mit dem über die Parteigrenzen hinaus beliebten Hamburger Bürgermeister verliert Angela Merkel innerhalb weniger Monate bereits den sechsten CDU-Landeschef. Zunächst trat im Herbst Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus zurück - nach seinen Skiunfall und herben Verlusten bei der Landtagswahl arbeitet er heute als Autolobbyist. Dann wurde Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger in die EU-Kommission weggelobt. Schließlich erklärte in Hessen Roland Koch seinen Rücktritt ("Politik ist nicht mein Leben"). Auch Jürgen Rüttgers gab nach seiner Abwahl in Nordrhein-Westfalen bekannt, keine Ämter mehr anzustreben - und dann tauschte Christian Wulff den Job des niedersächsischen Ministerpräsidenten gegen das Amt des Bundespräsidenten, in dem er keine Parteipolitik mehr machen darf.
"Auch wenn jeder dieser Rückzüge andere Gründe hatte, die nicht allein Angela Merkel angelastet werden können, so bleibt das für die Vorsitzende wenig erfreuliche Gesamtbild, dass immer mehr führende Köpfe der Partei das CDU-Boot verlassen", sagte der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth dem Hamburger Abendblatt. Dieser gewaltige personelle Aderlass sei für die Parteivorsitzende insgesamt "problematisch". Zwar habe Ole von Beust sich aus der praktischen Bundespolitik meist herausgehalten, aber eben dennoch "eine wichtige Rolle übernommen", in der er künftig fehlen werde: "Als personifiziertes Symbol der großstädtisch-liberalen, neuen orangefarbenen CDU und als Eisbrecher für schwarz-grüne Koalitionen."
Kein Wunder, dass CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe am Sonntagabend stellvertretend für Merkel erklärte, dass Ole von Beusts Ausscheiden aus dem Amt "einen großen Verlust" bedeute, "sowohl für die Stadt Hamburg als auch die CDU als Partei". Beust ist mit Angela Merkel befreundet, in innerparteilichen Auseinandersetzungen stärkte er ihr manches Mal den Rücken, beide verbindet auch ihre eher liberale Grundhaltung zu den Dingen. Als schwarz-grüne Leitfigur habe die Parteivorsitzende Ole von Beust allerdings nicht mehr zwingend gebraucht, seitdem auch Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) gemeinsam mit den Grünen und der FDP regiere, heißt es in Fraktionskreisen. Den Appell der SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles an die Grünen, sich nun von der CDU zu trennen, sieht man in der Union auch deshalb gelassen, weil alle wissen, dass die Grünen diese Alternative zu Bündnissen mit der SPD auch selber unbedingt weiter wollen. Prominente Abgänge seien zudem nur dann wirklich problematisch, wenn kein Nachwuchs parat stünde. Davon könne jedenfalls in Niedersachsen und Baden-Württemberg keine Rede sein, wo mit David McAllister und Stefan Mappus auch innerparteilich starke Regierungschefs das Ruder übernommen hätten.
Diese Argumentationslinie hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) entwickelt, als er der "Welt am Sonntag" sagte: "Wen es keinen Wechsel gäbe, würden alle sagen, oh, das sind immer dieselben, da ist keine Innovation." Angela Merkel bleibe als Parteivorsitzende "die erste Integrationsfigur". Damit wies Schäuble allerdings auch elegant auf den Umstand hin, dass Merkel nunmehr endgültig alleine an vorderster Front steht. Das berge, heißt es in der Partei, auch das Risiko, am Ende für alles allein verantwortlich gemacht zu werden. Dabei gilt die Landtagswahl in Baden-Württemberg 2011 bereits als möglicher "Schicksalstag" für die Parteivorsitzende. Sollte dieses wichtige Bundesland womöglich verloren gehen, so werde die bisher unterdrückte Debatte über eine mögliche Trennung von Parteivorsitz und Kanzleramt an Dynamik gewinnen.