Er posierte auf einem US-Flugzeugträger, sein Haus muss kräftig sparen, und ein Experte bringt ein freiwilliges Dienstjahr ins Gespräch.
Berlin. Der Verteidigungsminister posierte auf einem US-Flugzeugträger, sein Haus muss kräftig sparen, und ein Experte bringt ein freiwilliges Dienstjahr für alle ins Gespräch: Die Diskussion um die Wehrpflicht und den Zivildienst ist in quasi mit Händen zu greifen. Zehntausende junge Männer verfolgen das Pingpongspiel der Politik und der Verbände. Es geht um die Grundsatzfrage: Soll man die Wehrpflicht aussetzen oder womöglich ganz abschaffen, um Kosten zu sparen, die Bundeswehr effektiver zu machen und damit europaweiten Beispielen folgen?
Der Konfliktforscher Berthold Meyer fordert von der Bundesregierung, die Wehrpflicht durch ein freiwilliges Dienstjahr für alle zu ersetzen. „Warum sollte es nicht gelingen, fortlaufend
120.000 bis 130.000 junge Männer und Frauen dafür zu gewinnen, sich ein Jahr lang gegen Bezahlung (...) für die Gesellschaft einzusetzen?“, fragte der Professor von der Universität Marburg in einer Stellungnahme vor dem Verteidigungsausschuss. Experten und Verbände diskutierten einen Gesetzentwurf von CDU/CSU und FDP zur geplanten Reduzierung des Wehr- und Zivildienstes von neun auf sechs Monate.
Die Bezahlung eines freiwilligen Dienstjahres, das Meyer anstelle der Wehrpflicht vorschlägt, sollte sich dem Experten zufolge an der Ausbildungsvergütung im öffentlichen Dienst orientieren. Er betonte die freie Wahl der Einsatzstelle, etwa bei der Bundeswehr, im Kindergarten oder in der Altenpflege.
Die Bundeswehr könnte die Freiwilligen nach diesem System militärisch adäquat ausbilden, so Meyer. Die bisherige Spaltung in Grundwehrdienstleistende und freiwillig länger Dienende entfiele.
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte das bislang Undenkbare gesagt und eine „Aussetzung“ der Wehrpflicht vorgeschlagen. Derzeit wird im Verteidigungsministerium geprüft, welche Konsequenzen das für die Landesverteidigung hätte. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille: Wenn die Wehrpflicht wegfiele, gäbe es auch keine Zivildienstleistenden mehr. Das hätte finanzielle Folgen und würde die Wohlfahrtsverbände vor große Herausforderungen stellen.
Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) scheint sich aus Kostengründen mit der Idee anfreunden zu können. Sie sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ über den Verteidigungsminister: „Ich habe gesagt: Er soll und darf über alles nachdenken.“
Geprüft wird auch im Bundesfamilienministerium. Denn wenn keine Soldaten mehr eingezogen werden, können auch keine Zivis mehr zum Dienst verpflichtet werden: „Als Wehrersatzdienst folgt der Zivildienst dem Wehrdienst“, heißt es aus dem Ministerium. Alles Weitere müsse der Gesetzgeber klären. Das Bundesamt für den Zivildienst zog im vergangenen Jahr rund 90.500 Kriegsdienstverweigerer zum Dienst ein.
Die Wohlfahrtsverbände bereiten sich auf eine Zeit nach dem Zivildienst vor. „Wir kommen auch ohne Zivis in unseren Einrichtungen zurecht“, sagt der Sprecher für die Diakonie in Niedersachsen, Frerk Hinrichs. Mit fast 2000 Plätzen ist das evangelische Hilfswerk der größte Anbieter an Zivildienststellen in Niedersachsen. Die Diakonie denke aber über einen flexiblen Freiwilligendienst nach, ähnlich dem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ): „Wir finden den Zivildienst als sozialen Lerndienst so wertvoll, dass wir uns das auch etwas kosten lassen. Viele junge Männer ergreifen nur deshalb einen sozialen Beruf, weil sie diese Welt als Zivis kennengelernt haben.“
Das Malteser-Hilfswerk beschäftigt bundesweit nur noch 1200 Zivis. „Das ist nur ein Bruchteil dessen, was wir noch vor zehn Jahren an Zivis hatten“, sagt Sprecherin Claudia Kaminski. Sollten die Zivis wegfallen, hätte dies auch finanzielle Konsequenzen. Die meisten Zivis arbeiten bei den Maltesern im Behindertentransport, dem Menü-Bringdienst oder beim Hausnotruf. „Als Ersatz müssten wir geringfügig Beschäftigte und Hauptamtliche einsetzen. Das wird teurer und trifft dann vor allem die Kommunen“, so Kaminski.
Solche Äußerungen bringen den Geschäftsführer der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer mit Sitz in Wilhelmshaven, Peter Tobiassen, auf die Palme: „Einrichtungen, die ihre Zivis gemäß den Bestimmungen eingesetzt haben, werden mit einem Wegfall der Wehrpflicht kein Problem haben.“ Wer finanzielle Probleme bekomme, habe folglich bislang die Zivis als günstige Arbeitskräfte missbraucht. Dies betreffe vor allem private Pflegedienste und privatisierte Krankenhäuser. Fast ein Drittel aller Zivis arbeiteten mit Billigung des Bundesamtes bei Privatfirmen.
Sollte die Wehrpflicht wegfallen, ginge damit eine alte Forderung der Zentralstelle in Erfüllung, sagt Tobiassen. „Eine Wehrgerechtigkeit gibt es schon lange nicht mehr.“ Von allen gemusterten Männern eines Jahrgangs werde nur die Hälfte tauglich geschrieben. Davon verweigere wiederum die Hälfte. Von den dann noch verbleibenden Männern müsse wiederum nur die Hälfte tatsächlich in die Kasernen einziehen.
Im vergangenen Jahr wurden noch 68.300 Männer in die Kasernen einberufen, bestätigt ein Sprecher der Bundeswehr. Davon leisten jedoch nur 35.000 ihren neunmonatigen Grundwehrdienst. Der Rest dient freiwillig länger oder schlägt eine Karriere als Berufssoldat ein. Auf der anderen Seite sind nach Informationen des Bundesamtes für den Zivildienst nahezu alle 90.500 Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst eingezogen worden.
Unerwartete Schützenhilfe erhält Tobiassen von dem Historiker und Publizisten Michael Wolffsohn, der an der Universität der Bundeswehr München Neuere Geschichte lehrt. Der stellte den Begriff „Wehrgerechtigkeit“ in einem Interview mit dem Nordwestradio in das Reich der Legende: „Ein schönes Wort, aber nichts dahinter.“ Die Abschaffung der Wehrpflicht sei ein konsequenter Schritt: „Ob das gut ist oder schlecht ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.“