Bei zentralen Themen verlaufen die Fronten quer durch alle Regierungsparteien. Wegen des Sparpakets gab es Massenproteste.
Berlin. "Wir zahlen nicht für eure Krise!" Das war der Ruf von Zehntausenden Demonstranten, die am Wochenende in Berlin und Stuttgart auf die Straße gingen, um gegen die Sparpläne der Bundesregierung zu demonstrieren. Es soll der Auftakt zu einer großen Protestwelle gewesen sein. Die Bundeskanzlerin, so wurde skandiert, müsse sich auf einen "kämpferischen Sommer und Herbst" einstellen.
Leitartikel von Abendblatt-Chefredakteur Claus Strunz: Angst vorm Geschichtsbuch
Doch Angela Merkel hat es in diesen Wochen mit noch viel gefährlicheren Kämpfen als dem erwartbaren Protest gegen das Sparpaket zu tun - die Fronten verlaufen dabei quer durch ihre eigene Regierung. Und die Kommentare werden immer drastischer: Merkel sei offensichtlich nicht fähig oder aber nicht willens, die Koalition mit der FDP ernst zu nehmen, kritisierte der hessische FDP-Vorsitzende Jörg-Uwe Hahn. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) prangerte "verbale Ausfälle" an. Und der Vorsitzende des Finanzausschusses, Volker Wissing (FDP), forderte schlicht: "Das Chaos muss aufhören." Das Abendblatt erläutert die zentralen Konfliktfelder.
Konfliktfeld Sparen/Steuern: Weil die FDP als erklärte "Steuersenkungsparteien" nicht bereit war, zusätzlich zum Sparpaket auch höhere steuerliche Belastungen von Besserverdienern zu beschließen, verständigte sich die Koalition darauf, in erster Linie bei den Arbeitslosen, im öffentlichen Dienst und bei Familien den Rotstift anzusetzen.
In Teilen der Unionsfraktion herrscht die Ansicht, dass das die Akzeptanz des Pakets gefährdet. Auch aus unionsregierten Ländern wurden am Wochenende wieder Forderungen nach Steuererhöhungen beziehungsweise Korrekturen am Paket laut, obwohl Merkel in der "Bild am Sonntag" gefordert hatte, "alle in der Koalition" müssten nun für das Paket werben. So wandte sich Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) im "Spiegel" dagegen, das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger zu streichen.
Auch Saarlands Regierungschef Peter Müller (CDU) plädierte für eine Anhebung des Spitzensteuersatzes: "Wenn schon der Gürtel enger geschnallt werden muss, dürfen die größten Gürtel nicht außen vor bleiben", sagte er der "Wirtschaftswoche". Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schloss im "Spiegel" nicht aus, dass es bei den Beratungen über das Sparpaket im Bundestag auch zu Änderungen in diesem Bereich kommen könnte. Doch da würden die Liberalen nicht mitziehen. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle sagte: "Mit dem Sparpaket gehen wir endlich den Schuldenberg an, der auf unserem Land lastet und den die FDP in der neuen Regierung vorgefunden hat."
Konfliktfeld Wehrpflicht: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sieht in der Aussetzung des Wehrdienstes offenbar die einzige Chance, seinen Etat zu verkleinern. Die Kanzlerin ist dafür, dass Guttenberg sich "ohne Denkverbote" mit der Zukunft der Bundeswehr beschäftigt.
Doch in der CDU sind viele schlicht entsetzt über Guttenbergs Pläne. Auch die CSU hadert mit ihrem Minister - und die FDP, die die Wehrpflicht lieber heute als morgen fallen sehen würde, drängt bei der Entscheidung auch noch zur Eile. Mit Unionsfraktionschef Volker Kauder und Familienministerin Kristina Schröder sprachen sich am Wochenende zwei prominente CDU-Leute klar für die Beibehaltung der Wehrpflicht aus. Hessens neuer CDU-Chef Volker Bouffier griff Guttenberg direkt an. "Einer Partei wird schwindelig, wenn sie quasi über Nacht das Gegenteil von dem vertreten soll, was sie bisher mit viel Herz und Verstand vertreten hat", sagte er der "Leipziger Volkszeitung".
Konfliktfeld Kundus-Affäre: Wegen eines Konflikts mit dem Bundeskanzleramt soll Verteidigungsminister Guttenberg nach Informationen der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" seinen Rücktritt erwogen haben. Der Minister habe gegenüber Freunden und Vertrauten gesagt, dass er ernsthaft an sein Ausscheiden aus dem Kabinett denke, schreibt die Zeitung.
Ein Ministeriumssprecher sagte dazu: "Das entbehrt jeder Grundlage." Guttenberg fühlt sich angeblich bei der Erstellung eines Gutachtens zum Kundus-Untersuchungsausschuss übergangen, während das Kanzleramt sagt, der Minister sei informiert gewesen. Guttenberg sagte dazu: "Solche Vorgänge lassen sich kaum kommentieren."
Konfliktfeld Gesundheit: Die von FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler angestrebte Kopfpauschale bleibt ein Zankapfel. Zwar wollen Union und FDP Ende dieser Woche einen neuen Anlauf für eine Reform des Gesundheitswesens wagen, doch der Ausgang ist offen (siehe Interview mit CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt auf Seite 4).
Konfliktfeld Atomkraft: Im Zentrum steht die Frage, ob die geplante Brennelemente-Steuer für Kernenergiekonzerne an die von der Bundesregierung geplante Laufzeitverlängerung gekoppelt wird oder nicht. Hier streiten inzwischen sogar die Kanzlerin (dagegen) und Fraktionschef Kauder (dafür) auf offener Bühne. Unklar ist auch noch, wie die geplanten Laufzeitverlängerungen am Ende ausgestaltet werden.
Konfliktfeld Opel: Der Autobauer hoffte auf Bürgschaften in Höhe von 1,1 Milliarden Euro vom Bund. Doch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) war strikt dagegen und lehnte den Antrag ab. Nachdem die Bundeskanzlerin Brüderle mit den Worten düpierte, in Sachen Opel sei das letzte Wort noch nicht gesprochen, ging sogar FDP-Generalsekretär Christian Lindner auf Angela Merkel los und warf ihr "winkeladvokatische Versuche" vor, Opel doch noch helfen zu wollen. Jetzt sollen die Länder übernehmen.