Der Fall der Berliner Mauer ist im Reich der Mitte ein heikles Thema. 1989 war auch für die Chinesen ein bewegtes Jahr.
Peking. Der Fall der Berliner Mauer ist in China ein heikles Thema. Im August hatten die Zensurbehörden noch verboten, „über die Aktivitäten zum Gedenken an den Fall der Berliner Mauer zu berichten, weil sie unseren ideologischen Wirkungskreis vergiften und westliche Demokratie und Freiheit propagieren“, wie informierte Kreise zitierten.
Angesichts der bevorstehenden Feiern in Berlin zum 20. Jahrestag ließ sich der Mauerfall aber nicht völlig totschweigen. Der Maulkorb wurde langsam aufgehoben. Erst brachten zweitrangige Zeitungen einige Berichte. Am Donnerstag druckte dann die renommierte „Nanfang Zhoumo“ sogar drei Seiten über den 9. November 1989. Der Niedergang des Sozialismus oder der Ruf nach Demokratie und Freiheit wurden aber immer noch nicht thematisiert.
Überhaupt sei die DDR ganz anders als China gewesen – viel „zu starr“, meint der einflussreiche Deutschlandpolitiker Mei Zhaorong in einem Interview der „Nanfang Zhoumo“. Er arbeitete in den 60er Jahren während des Mauerbaus als Diplomat in Ost-Berlin und erlebte als Botschafter in Bonn den Mauerfall 1989. „Wir hätten nicht erwartet, dass es so schnell passieren würde“, sagt Mei Zhaorong, der heute gleichwohl vorgibt, das Ende der DDR vorhergesehen zu haben.
Anfangs habe China das sozialistische Bruderland noch bewundert, weil es weiter entwickelt war. Doch hätten sie später festgestellt, „dass Ostdeutschland ganz anders als China war“. Die Planwirtschaft sei viel stärker sowjetisch orientiert und rigide bis hin zu Mengenvorgaben gewesen, während China nur einen Rahmen vorgegeben habe, erklärt der Ex-Botschafter. Sein Interview vor dem Jahrestag soll offensichtlich die – aus offizieller Sicht – „politisch richtige“ Interpretation der Geschichte vorgeben und die Unterschiede zur DDR deutlich machen, da die Erinnerung an 1989 ein Minenfeld für Chinas Führer ist.
Während 1989 in Deutschland für Freiheit und Einheit steht, ist die Jahreszahl in China ein Synonym für Unterdrückung und Blutvergießen. Chinesen denken sofort an das Massaker vom 4. Juni
1989, mit dem die Demokratiebewegung niedergeschlagen wurde. Diese „chinesische Lösung“ war immer das abschreckende Beispiel, das in der DDR vielleicht ein härteres Vorgehen gegen die Proteste verhindert hat. „China war eines der ersten Dominosteinchen in den größten Veränderungen des späten 20. Jahrhunderts“, sagt der damalige chinesische Studentenführer Wu’er Kaixi. „Und jetzt können wir nicht die Früchte des Wandels ernten“, blickt der exilierte Bürgerrechtler mit Neid auf den politischen Wandel in Osteuropa: „Warum nicht wir?“
Solche Parallelen wollen die Mächtigen in China tunlichst vermeiden. Vergangene Woche sperrten sie den Zugang von China zu einer vom Land Berlin geschalteten Internet-Seite zum Mauerfall. Nutzer des Kurznachrichtendienstes Twitter aus aller Welt konnten unter der Adresse berlintwitterwall.com ihre Gedanken verewigen. „20 Jahre sind vergangen, aber wir sind weiter hinter einer Mauer“, wird in einem der 1500 chinesischen Kommentare über die „große Firewall“ im chinesischen Internet geklagt, die unliebsames Gedankengut von den heute schon 330 Millionen Nutzern in China fernhalten soll.
Auch Twitter, Facebook und Youtube sind in China gesperrt, weil sich Nachrichten und Meinungen darüber unkontrolliert verbreiten können. Immer schwieriger wird es selbst für technisch versierte Nutzer, auf der Suche nach Meinungsfreiheit die Sperren zu umgehen. In Erinnerung an die berühmten Worte des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan 1988 an den sowjetischen Parteichef Michail Gorbatschow appellierte ein chinesischer Kommentar an der Twittermauer jetzt an Chinas Staats- und Parteichef: „Mr. Hu Jintao, reißen Sie die große Firewall nieder!“