Bürgermeister und Sozialdemokrat Jens Böhrnsen gewinnt wie erwartet die Wahl in Bremen klar. Aus Rot-Grün wird eine Große Koalition.
Bremen. Dieser Moment war so vorhersehbar wie Borussia Dortmunds Meisterschaft drei Spieltage vor Saisonende. Und deshalb steigt Jens Böhrnsen schon zehn Minuten nach der ersten Prognose auf die Bühne im Lokal der "Ständigen Vertretung" in der Altstadt. Die 200 Genossen jubeln kurz, aber heftig. Böhrnsen lacht, er greift zum Mikrofon, dankt den Wählern und denjenigen, die bei diesem Wahlsieg geholfen haben. Nur drei Minuten spricht er zu den Sozialdemokraten, eine junge Frau drückt ihm einen Strauß rote Rosen in die Hand, dann geht es zurück in die Bürgerschaft.
Böhrnsen braucht nicht viel Zeit an diesem Abend, seine Botschaft ist klar: weiter wie bisher, Rot-Grün eben. Wenige haben anderes erwartet.
Seit 65 Jahren regiert die SPD in der Hansestadt. Sie ist so fest in die politische Kultur verankert wie die Bronzestatue der Stadtmusikanten vor dem Rathaus. Und das rot-grüne Bündnis geht gestärkt aus dieser Wahl hervor. Die Sozialdemokraten sind klar stärkste Partei - nicht vor der CDU, sondern vor den Grünen. Wenn nach dieser Wahl eine Nachricht aus Bremen in die Republik geht, ist es diese: Die Grünen sind in Bremen zur zweitstärksten Kraft aufgestiegen. An der Weser spotten sie schon: Das rot-grüne Bündnis sei eigentlich die neue große Koalition.
Auf der Wahlparty der Grünen ist es um Punkt 18 Uhr vorbei mit der Zurückhaltung, die Verluste von CDU und FDP feiern die Anhänger der Partei mindestens so laut wie den eigenen Erfolg. Es dauert einen Moment, bis Karoline Linnert etwas sagen darf - zu laut sind die "Karo, Karo"-Sprechchöre. Die sonst auf Sachlichkeit bedachte Spitzenkandidatin genießt, unterdrückt die Tränen und fasst dann einen langen politischen und persönlichen Kampf an der Weser in einen Satz: "Es ist ein Traum für alte Dinosaurier wie mich, dass wir hier nach über 30 Jahren über 20 Prozent holen, wir sind mitten in der Stadt angekommen." Es ist ein typischer Linnert-Satz. Gleich nach der Freude kommt die Mahnung an die Adresse des alten und neuen Koalitionspartners: "Wir Grünen haben Verantwortung für die Modernisierung von Bremen." Dass Bürgermeister Böhrnsen ihr Wunschpartner war, daraus hat sie nie einen Hehl gemacht. Aber die SPD wird für den Höhenflug der Grünen personelle Opfer bringen müssen. "Wir erwarten, dass wir mehr Verantwortung übernehmen in der Regierung", sagt Linnert.
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Es ist dieses neue grüne Selbstbewusstsein, mit dem nun auch Jens Böhrnsen umgehen muss. Er wird jetzt noch stärker die Rolle spielen, die er ohnehin am liebsten spielt: der präsidiale Regierungschef. Der Vermittler. Zwischen dem wirtschaftsfreundlichen Flügel der SPD und einer ökologischen grünen Basis. Seitdem er 2010 für einen Monat den zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler vertrat, halten ihn 80 Prozent der Bremer für den passenden Bürgermeister. Nicht nur Arbeiter, auch viele Selbstständige haben ihn gewählt. Und nicht die FDP. Wer SPD-Mitglieder an diesem Abend in der Ständigen Vertretung nach dem politischen Potenzial Böhrnsens fragt, hört schnell eine Antwort: Wer Bundespräsident war, kann auch Kanzler. Aber der Böhrnsen, der wolle ja sowieso viel lieber in Bremen arbeiten, wird schnell nachgeschoben. Keine Sorge also. Der 61 Jahre alte Jurist ist unaufgeregt. Hanseatisch, sagen die einen. Fade nennen ihn die anderen. Böhrnsen passt zur pragmatischen Linnert. Sie wird wohl Deutschlands erste grüne Finanzministerin bleiben und will sich in dem mit 18 Milliarden Euro verschuldeten Bundesland als hartnäckige Sparerin profilieren. Den Haushalt zu sanieren, wird die schwierigste Aufgabe der neuen Regierung. In der Vergangenheit ist das Rot-Grün noch nicht gelungen.
Die Finanzpolitik - sie könnte Konfliktherd werden in der rot-grünen Harmonie. Denn sonst sind beide Parteien sich einig: ein schneller Ausstieg aus der Atomkraft, ein zweigliedriges Schulsystem und die offensive Integration von Migranten.
Rot-Grün konnte auch von der Schwäche der Opposition profitieren. Die Eindeutigkeit, mit der die FDP in den Prognosen die Fünf-Prozent-Hürde reißt, lässt es still werden bei der Wahlparty. Überall in der Stadt hängen Plakate, auf denen der neue Bundesvorsitzende Philipp Rösler freundlich lächelt. Doch gewirkt hat der Machtwechsel an der Spitze der Bundespartei in Bremen nicht. Vier Jahre lang haben die Liberalen sich vor allem mit internen Querelen profiliert, Spitzenkandidat Oliver Möllenstädt kann sich jetzt, gerade 33 Jahre jung, überlegen, ob er den quälenden Prozess mitgestalten will, als außerparlamentarische Opposition wieder Vertrauen zurückzugewinnen.
Bitter war das Wahlergebnis vor allem für die CDU-Spitzenkandidatin Rita Mohr-Lüllmann. Sie gestand die Wahlniederlage ein. Doch es ist nicht abzusehen, wie sich die CDU jetzt neu organisiert: eine Volkspartei mit knapp 20 Prozent der Stimmen und ohne Regierungsbeteiligung. Trotz ihres engagierten Wahlkampfes wusste wohl auch Mohr-Lüllmann, dass ihre Chancen für eine Wahlsensation gering waren.
Bremen hat keine Überraschung gebracht. Das Haus der Bürgerschaft leerte sich schnell. Wer heraustritt, schaut auf das Rathaus: roter Backstein, darauf ein grünes Kupferdach.