Die Union hat ein Großstadt-Problem, wie die letzten Ergebnisse zeigen. Die Anhänger der CDU sind unzufrieden mit der Kanzlerin.
Hamburg/Bremen/Berlin. Nach der gewonnenen Bundestagswahl 2009 wurde gewartet und gezittert: Wie gehen die Wahlen in Nordrhein-Westfalen aus? Die schwarz-gelbe Bundesregierung bekam für dieses Zaudern die Quittung: Eine rot-grüne Minderheitsregierung übernahm das bevölkerungsreichste Land und schickte Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) in den Ruhestand. Dann kamen die Verluste der CDU-Regierungschefs von Hamburg und Baden-Württemberg, und zwischendrin waren die Resultate für die Union bei den Wahlen ebenfalls erschütternd. Die CDU und ihre Chefin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, haben ein fundamentales Problem: den Wähler. Obwohl Merkel bei den Umfragen in der Popularität gut abschneidet und Deutschland sich nach der Wirtschafts- und Finanzkrise im Aufschwung befindet, erodiert die CDU im Vertrauen der Wähler. Vor allem nach dem historischen dritten Platz bei der Bürgerschaftswahl in Bremen fragt man sich: Was nun, Frau Merkel?
In der Partei ist bereits eine Debatte über den Kurs der Partei ausgebrochen. Die Partei müsse Abstand zu den Grünen halten, forderte der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder im Deutschlandradio Kultur. Viele Unions-Politiker sind besorgt, weil die CDU auch bei Umfragen für die Abgeordnetenhaus-Wahl in Berlin im September hinter der SPD und den Grünen liegt. „Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir gerade in großen Städten stärker und attraktiver werden“, sagte der hessische Ministerpräsident und CDU-Parteivize Volker Bouffier. „In erster Linie müsse wir für uns werben, nicht für Schwarz-Grün.“ Auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder forderte in der ARD von seiner Partei, sie müsse als Großstadt-Partei die richtigen Akzente setzen.
Der CDU-Generalsekretär in Baden-Württemberg, Thomas Strobl, forderte Konsequenzen. „Man wird nicht sagen dürfen: Wir gehen bundesweit wieder zur Tagesordnung über“, sagte Strobl im Südwestrundfunk. Das schwache Abschneiden der CDU in Bremen nannte Strobl einen „harten Schlag ins Kontor“. Die einzelnen Entscheidungen der Regierung seien zwar richtig, aber der „rote Faden“ des Regierungshandelns sei für viele Menschen nicht erkennbar.
Kauder sagte, bei den jüngsten Wahlen habe die CDU „in der Fläche ganz gute Ergebnisse“ erzielt. Nun rate er seiner Partei, die unterschiedlichen Situationen in den Städten anzuschauen. In Berlin, wo im Herbst gewählt wird und der CDU ein Abrutschen auf den vierten Platz hinter SPD, Grüne und Linkspartei droht, gebe es eine ganz andere Lage als beispielsweise in Hamburg. In der Hauptstadt gehe es außer um die Wirtschaftspolitik darum, die Stimmungen etwa in der Bildungs- und der Gesundheitspolitik zu treffen.
Die SPD wird in der Bremer Bürgerschaft künftig mit 35 bis 36 Sitzen vertreten sein, die Grünen mit 22, die CDU mit 18 oder 19 und die Linke mit 6 Sitzen. Die Vereinigung „Bürger in Wut“ (BIW) bekommt wieder einen Sitz, weil sie in Bremerhaven relativ stark ist. Mit einem vorläufigen amtlichen Endergebnis wird in Bremen nicht vor Mittwoch gerechnet.
Rund 24 Stunden nach dem Ende der Bürgerschaftswahl in Bremen war am Montag in der Hansestadt erst ein Drittel der Stimmzettel ausgezählt. Im zweiten Wahlbereich Bremerhaven, der erheblich kleiner ist, lag dagegen schon ein vorläufiges amtliches Ergebnis vor. In der Stadt Bremen waren am Sonntag rund 408 000 Menschen wahlberechtigt, in der Stadt Bremerhaven knapp 86 000.
Nach der Hochrechnung des Landeswahlleiters kam die SPD landesweit auf 38,7 Prozent (+2,0). Die Grünen wurden mit 22,5 Prozent (+6,0) zweitstärkste Kraft vor der CDU, die bei 20,4 Prozent (-5,2) landete. Die Linke erzielte 5,7 Prozent (-2,7). Die FDP flog mit 2,4 Prozent (-3,6) aus dem Landesparlament. Die SPD wird danach in der neuen Bürgerschaft mit 36 Abgeordneten vertreten sein, die Grünen mit 21, die CDU mit 20 und die Linke mit 5. Ein Mandat erhält die Vereinigung „Bürger in Wut“, weil sie in Bremerhaven die Fünf-Prozent-Hürde übersprang.
Für die Tagesschau hat der ARD-Umfrageexperte Jörg Schönenborn die Lage sehr treffend analysiert. Die Achsen im Parteiensystem hätten sich bereits seit der letzten Bundestagswahl deutlich verschoben. Der Deutschland-Trend zeige: „Die politischen Sieger des Jahres 2011 sind unangefochten die Grünen. In der Sonntagsfrage der vergangenen Woche stehen sie bei 23 Prozent und damit vier Punkte besser als zu Jahresbeginn. Und als einzige Partei haben sie bei allen fünf bisherigen Landtagswahlen Gewinne erzielt.“
Charakteristisch für die politische Stimmung 2011 sei die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung und mit den Regierungsparteien. Ganze 26 Prozent der Bürger erklärten sich zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung – selbst bei den Anhängern von Union und FDP sei eine Mehrheit unzufrieden. Angela Merkel, Guido Westerwelle und der zurückgetretene Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Stehen bei den Unzufriedenen besonders stark im Fokus. „Fast zwei Drittel der Antworten konzentrieren sich auf diese drei Politiker“, so Schönenborn. Seit Längerem schon ist der SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der beliebteste Politiker. Ob er oder SPD-Chef Sigmar Gabriel oder sogar der frühere Finanzminister Peer Steinbrück zum nächsten Herausforderer von Merkel werden, ist unklar. (ryb/dpa/abendblatt.de)