Während Europas Politiker über den Kurs von EZB-Chef Draghi streiten, kündigt Griechenland an, notfalls kurzfristige Anleihen auszugeben.
Frankfurt/Main/Athen/Berlin. Der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Otmar Issing, kritisiert einen möglichen Kauf von Staatsanleihen durch seinen früheren Arbeitgeber scharf. „Die Geldwertstabilität ist mittelfristig massiv gefährdet“, sagte Issing der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Er warnte, dass sich in der EZB-Bilanz massenweise Staatspapiere mit minderem Wert ansammeln könnten. „Müssen die Papiere abgeschrieben werde, stehen dafür am Ende die Steuerzahler gerade.“ Der mögliche Staatsanleihenkauf der EZB heizt auch in der deustchen Politik die Debatte über den Kurs der Euro-Rettung an. Griechenland erwägt unterdessen die Ausgabe kurzfristiger Anleihen, um bis zur Freigabe weiterer Milliarden-Hilfen von EU, EZB und IWF nicht in die Pleite zu rutschen.
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Weil auch die amerikanische Fed und andere Notenbanken die Märkte mit Geld fluteten, mahnte Issing: „Es gibt eine globale Liquiditätsschwemme, die wird früher oder später ihre gefährliche Wirkung entfalten.“ Die EZB hatte am Donnerstag bekannt gegeben, möglicherweise Anleihen angeschlagener Euro-Staaten zu kaufen, um deren Zinslast zu reduzieren. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) trat im „Tagesspiegel“ für einen Zusammenhalt der Eurozone ein und widersprach damit Vizekanzler Philipp Rösler (FDP), der sich skeptisch zu den Chancen auf einen Verbleib Athens im Euro geäußert hatte.
Unterdessen berichtete die „Welt“, die EZB habe einen Bankrott Griechenlands offenbar vorerst abgewendet. Der Notenbankrat habe in seiner Sitzung am Donnerstag eine Zwischenfinanzierung Athens mit zusätzlichen Notkrediten der griechischen Zentralbank sichergestellt. Dadurch sei es der griechischen Regierung möglich, sich bis zu vier Milliarden Euro zusätzlich zu besorgen, die letztlich aus Zentralbankmitteln stammen.Griechenland erwägt zudem die Ausgabe kurzfristiger Anleihen, um sich zu finanzieren. Der stellvertretende griechische Finanzminister Christos Staikouras sagte der Zeitung „Kathimerini“ vom Sonntag, Griechenland bewege sich mit seinen Geldreserven im Grenzbereich. Das werde auch bis September so bleiben, denn erst dann gebe es den Troika-Bericht der internationalen Geldgeber über die Entwicklung in Griechenland. „Wir gehen mit unseren Geld-Reserven vorsichtig um und prüfen mehrere Lösungen“, sagte Staikouras. Dazu gehöre auch die Aufstockung kurzfristiger Anleihen (T-Bills). „Wir werden die optimale Lösung in Einvernehmen mit unseren (Troika-)Partnern finden.“ Griechenland muss zum 20. August eine fällige Anleihe im Volumen von 3,2 Milliarden Euro bedienen. Bei den jetzt diskutierten T-Bills geht es um Anleihen mit einer Laufzeit von einem Monat.
Spanien schloss derweil einen Hilfsantrag an den Euro-Rettungsschirm entgegen früherer Aussagen nicht mehr aus. Ministerpräsident Mariano Rajoy gab am Freitagabend bekannt, seine Regierung wolle mit einem 102,2 Milliarden Euro schweren Sparpaket das Vertrauen in die Staatsfinanzen wieder herstellen. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) lehnte im „Focus“ eine Aufstockung des ESM-Rettungsfonds ebenso ab wie den verstärkten Ankauf europäischer Staatsanleihen. Von Griechenland forderte er mehr Tempo und Disziplin. Der Schlüssel dafür, dass Griechenland im Euroraum bleibt, liege in Athen. „Eines geht nicht: Hilfsprogramme vereinbaren, aber die zugesicherten Reformen infrage stellen.“
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Gegen die Euro-Rettung formiert sich indes Widerstand in beispielloser Größe. Knapp 36.000 Bundesbürger hätten Vertretungsvollmachten für die von ihr vertretenen Verfassungsklagen gegen die umstrittenen Verträge zur Euro-Rettung unterzeichnet, sagte die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) der „Augsburger Allgemeinen“. Damit gilt die von zahlreichen Organisationen unterstützte Verfassungsbeschwerde des Vereins „Mehr Demokratie“ als größte Massenverfassungsklage in der Geschichte der Bundesrepublik.
Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) kritisierte die Ankündigung des EZB-Präsidenten Mario Draghi, Anleihen zu kaufen, scharf. „Die EZB geht einen gefährlichen Weg. Sie darf sich nicht vom Währungshüter zur Inflationsbank entwickeln“, sagte Söder der Zeitung „Bild am Sonntag“ einem Vorabbericht zufolge. Diesen Vorwurf bezeichnete wiederum SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier als Unverschämtheit, von der sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) distanzieren müsse. Steinmeier argumentierte, Draghi tue genau das, „was die europäischen Regierungschefs samt Merkel erwarten“. Die Kanzlerin selbst habe den erneuten Weg zu Anleihekäufen der EZB eröffnet.
Der Philosoph Jürgen Habermas und zwei weitere prominente Autoren fordern mehr Macht für Brüssel zulasten der einzelnen EU-Staaten und die Einberufung eines Verfassungskonvents in Deutschland. Nur mit einer Vertiefung der europäischen Integration lasse sich die derzeitige Krise überwinden und Europas Einfluss in der Welt sichern, heißt es in einem gemeinsamen Beitrag des Philosophen und seines Kollegen Julian Nida-Rümelin sowie des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Von der Leyen (CDU) erklärte im „Tagesspiegel“: „Wir müssen das Vertrauen stärken, dass die Eurozone zusammenhält.“ Es irritiere die europäischen Partner und die Märkte, wenn in der Eurokrise aus der deutschen Politik unterschiedliche Signale kämen.
MIt Material von dpa/dapd/rtr